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Medizin

Diabetesmittel unter Fehlbildungsverdacht

Möglicher Zusammenhang von Metformin-Einnahme bei Vätern und Fehlbildungen bei Kindern

Leiden Vater oder Mutter an Diabetes, kann dies das Risiko für Fehlbildungen beim Nachwuchs erhöhen. Gilt dies auch für das Diabetesmittel Metformin? © Handemandaci/ iStock.com

Eine neue Studie wirft Fragen zum gängigen Diabetes-Medikament Metformin auf. Denn in ihr haben Forschende einen möglichen Zusammenhang zwischen der Einnahme des Mittels bei Vätern und genitalen Missbildungen der kurz darauf gezeugten Kinder festgestellt. Dieser Effekt trat nur auf, wenn die Väter das Metformin während der Spermienbildung eingenommen hatten. Unklar ist allerdings, ob das Arzneimittel die Ursache ist oder möglicherweise ein ungenügend eingestellter Blutzucker.

Die Zahl der an einem Diabetes Typ-2 leidenden Menschen nimmt zu – und die Betroffenen werden immer jünger. Denn ungesunde Ernährung, Übergewicht und mangelnde Bewegung erhöhen das Risiko für eine gestörte Blutzuckerregulation durch Insulin. Als Therapie der Wahl empfehlen die Leitlinien den Wirkstoff Metformin, der ein Enzym für die Glucosebildung in der Leber hemmt und die Aufnahme des Zuckers aus der Nahrung im Darm bremsen soll.

Metformin
Chemische Formel des Wirkstoffs Metformin. © gemeinfrei

Diabetesmittel auf dem Prüfstand

Ob Metformin und andere Diabetesmittel sich auch auf die Fortpflanzung auswirken, haben nun Maarten Wensink von der Universität Süddänemark in Odense und seine Kollegen untersucht. Ausgangspunkt waren Hinweise darauf, dass die Enzyme, an denen Metformin ansetzt, auch eine Rolle bei der Spermienbildung zu spielen scheinen. Für seine Studie hat das Team daher Daten des dänischen Nationalregisters zu mehr als eine Million Geburten von 1997 bis 2016 ausgewertet.

Konkret ermittelten die Forschenden, wie viele dieser Kinder mit Missbildungen geboren wurden. Außerdem werteten sie Daten des nationalen Arzneimittelregisters aus, um herauszufinden, ob und wann die Väter und Mütter der Kinder wegen eines Diabetes Insulin, Metformin oder Sulfonylharnstoff eingenommen hatten.

Leicht erhöhte Fehlbildungsrate nach Metformin-Einnahme

Die Auswertung ergab: Bei gut 36.500 Neugeborenen wurde ein Geburtsfehler festgestellt, dies entspricht 3,3 Prozent der Neugeborenen. Bei 7.069 dieser Fälle hatten Mutter oder Vater der Kinder vor deren Geburt ein Diabetesmittel eingenommen. Nähere Analysen ergaben, dass die mütterliche Behandlung von Insulin, Metformin oder Sulfonylharnsäure keine erhöhten Fehlbildungsrate nach sich zog, bei den Männern gab es jedoch Auffälligkeiten.

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Hatten die Väter in den drei Monaten vor der Zeugung Metformin eingenommen, lag der Anteil der Missbildungen bei den Kindern höher als im Durchschnitt, wie Wensink und seine Kollegen berichten. Dies galt insbesondere für Genitalfehler bei Jungen. Das Risikoverhältnis lag bei 1,4, ein Wert von 1 würde dem Durchschnittsrisiko entsprechen. Auch für die Sulfonylharnsäure gab es Hinweise auf ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko, allerdings wurde dieses Mittel zu selten eingenommen, um statistisch signifikante Werte zu ergeben, wie das Team erklärt. Bei Insulin gab es hingegen keine Auffälligkeiten.

Kausalität nicht gesichert

Nach Angaben der Forschenden legen diese Ergebnisse nahe, dass die Einnahme von Metformin in der Zeit der Spermienbildung mit einer erhöhten Fehlbildungsrate vor allem bei männlichen Neugeborenen verknüpft ist. Dafür spricht, dass dieser Zusammenhang auch dann erhalten blieb, wenn weitere Einflussfaktoren wie Alter, Bildung, Einkommen, Herkunft oder Rauchen berücksichtigt wurden. In Tierversuchen unter anderem mit Ratten wurden zudem Veränderungen bei Spermien-Vorläuferzellen nach Einnahme von Metformin beobachtet, wie das Team erklärt.

Allerdings: Einen kausalen Zusammenhang kann die Studie nicht beweisen. Ob das Diabetesmittel Metformin tatsächlich die Ursache der Fehlbildung bei den Kindern ist, lässt sich allein aufgrund dieser Daten noch nicht belegen. Auch Wensink und seine Kollegen betonen, dass ihre Ergebnisse zunächst einmal nur Anlass für weitere Forschungen geben.

Auch ein schlecht kontrolliert Blutzucker könnte die Ursache sein

Einer der Gründe für die offenen Fragen: Aus den Daten ließ sich nicht ermitteln, wie gut die Patienten ihren Blutzuckerspiegel durch die Medikamente unter Kontrolle hatten. „Das ist aber wichtig, weil eine schlechte Blutzuckerkontrolle ebenfalls eine Erklärung für die erhöhte Zahl der Fehlbildungen bei den Kindern diabetischer Väter liefern könnte“, erklärt die nicht an der Studie beteiligte Medizinerin Sarah Martins Da Silva von der University of Dundee. Es ist bereits bekannt, dass auch Diabetes das männliche Reproduktionssystem beeinträchtigen kann.

Hinzu kommt, dass die Männer, die in der Studie Metformin eingenommen hatten, häufig zusätzlich Medikamente gegen zu hohen Blutdruck oder Blutfettwerte einnahmen. Das legt nahe, dass möglicherweise ihr allgemeiner Gesundheitszustand schlechter war als bei einigen Vergleichspatienten. „Die Ergebnisse der Studie machen daher nachdenklich, sind aber noch nicht eindeutig genug“, kommentiert der Androloge Channa Jayasena vom Imperial College London.

Metformin nicht eigenmächtig absetzen

Sowohl Wensink und seine Kollegen als auch die kommentierenden Experten empfehlen daher jüngeren Männern mit Diabetes und Kinderwunsch, auf keinen Fall das Metformin eigenmächtig abzusetzen. Denn das könnte den Blutzuckerspiegel unkontrolliert in die Höhe treiben und auch das Risiko für Fehlbildungen beim Nachwuchs erhöhen. Eine Rücksprache mit den behandelnden Ärzten sei daher in jedem Fall wichtig. (Annals of Internal Medicine, 2022; doi: 10.7326/M21-438)

Quelle: Science Media Centre, Annals of internal Medicine

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