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Genetik

Messerfische überraschen Forscher

Auch Gehirnzellen mit abnormer Chromosomenzahl entwickeln sich zu dauerhaft überlebensfähigen Neuronen

Der höhlenbewohnende, zu den Messerfischen gehörende Peitschenmesseraal Apteronotus leptorhynchus © Günther Zupanc

Ein Bremer Forscher hat erstmals nachgewiesen, dass eine beträchtliche Abweichung von der für eine Tierart typischen Chromosomenzahl nicht unbedingt zu einem frühzeitigen Absterben der Zellen, physiologischen Defekten, Verhaltensstörungen oder Tumoren führen muss.

Entdeckt hat dies Günther Zupanc von der Jacobs University Bremen bei Untersuchungen am Messerfisch Apteronotus leptorhynchu, in dessen Gehirn etwa jede fünfte neu gebildete Zelle zum Teil erhebliche Abweichungen in der Chromosomenzahl aufweist. Der Neurobiologe konnte zeigen, dass sich von diesen Zellen eine große Anzahl zu Neuronen entwickelt, die bis zum natürlichen Lebensende des Fisches erhalten bleiben.

Bislang gingen Forscher davon aus, dass jede Zelle eines Organismus die identische Erbinformation enthält, die auf einer arttypischen Anzahl von Chromosomen gespeichert ist. Als Ausnahmen galten Spermien und Eizellen, die je nur einen halben Chromosomensatz enthalten.

Menschen beispielweise besitzen insgesamt 46 Chromosomen, 22 Paar autosomale Chromosomen und zwei Geschlechtschromosomen. Eine Abweichung von der arttypischen Anzahl, so genannte „Aneuploidie“, führt nach bisherigem Kenntnisstand entweder zum frühzeitigen Absterben der Zellen durch den so genannten programmierten Zelltod oder ruft schwere Beeinträchtigungen hervor, etwa das Down-Syndrom beim Menschen oder bösartige Tumoren, deren Zellen ebenfalls fast immer durch eine merklichen Variationen der normalen Chromosomenzahl gekennzeichnet sind.

Nervenzellen mit erheblicher Chromosomenvariabilität

Zupanc konnte nun zusammen mit seinem Team nachweisen, dass die Nervenzellen im Gehirn des Messerfisches Apteronotus leptorhynchus, die durch Fehler bei der mitotischen Zellteilung eine erhebliche Chromosomenvariabilität aufweisen, nur geringfügig häufiger durch programmierten Zelltod eliminiert werden, als Zellen mit „normaler“ Chromosomenausstattung.

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Die Mehrzahl der Zellen mit abweichender Chromosomenzahl, die dem Zelltod während oder kurz nach der Zellteilung entgehen, überleben dauerhaft. Im Experiment konnten die Forscher dies zeigen, indem sie das Schicksal der Zellen über einen Zeitraum von bis zu 860 Tagen verfolgen. Dies entspricht etwa der Hälfte der Gesamtlebenserwartung der untersuchten Fischart, die wie andere Knochenfische kontinuierlich neue Neuronen auch im ausgewachsenen Gehirn produzieren kann. Von den neuen Zellen mit abweichender Chromosomenzahl entwickeln sich etwa genauso viele zu Neuronen, wie von den Zellen mit normaler Chromosomenzahl.

Überraschende Resultate

„Dieses Ergebnis war eine große Überraschung für uns“, kommentiert Zupanc die Ergebnisse der Studie in der Fachzeitschrift Developmental Neurobiology. Das anscheinend völlig normale Funktionieren von aneuploiden Nervenzellen während der gesamten Lebensspanne von Apteronotus leptorhynchus stütze die Vermutung, dass es sich bei der beobachteten Chromosomenzahlvariabilität um einen Regelmechanismus für Genaktivität handelt, der für einige, vielleicht sogar alle Organismen ein ganz normaler Teil ihrer Entwicklung sei, so der Neurobiologe weiter.

„Unsere Studie wirft daher wichtige Fragen auf: Ist Aneuploidie doch nicht, wie bisher von zahlreichen Wissenschaftlern angenommen, die Ursache für Krebs? Oder gibt es bei Fischen einen speziellen Mechanismus, durch den die aneuploiden Zellen vor ihrem normalen Schicksal, Tumorzellen zu werden, geschützt sind? Das letztere ist eine faszinierende Idee, da sie die Möglichkeit beinhaltet, eventuell neuartige Strategien zur Krebsbekämpfung entwickeln zu können“, schlussfolgert der Wissenschaftler der Jacobs University.

(idw – Jacobs University Bremen, 18.08.2008 – DLO)

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