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Neurobiologie

Schlaf selektiert unsere Erinnerungen

Erinnerungen an emotionale Details werden gefördert, neutrale Informationen vergessen

In der Nacht entscheidet sich, was wir im Kopf behalten und was wir vergessen. Denn im Schlaf sortiert das Gehirn unsere Erinnerungen und speichert diejenigen mit großer emotionaler Bedeutung ab, während es neutrale Hintergrundinformationen eher weglässt. Das hat eine Studie amerikanischer Hirnforscher jetzt enthüllt.

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Dass der Schlaf eine wichtige Rolle für die Speicherung bestimmter Erinnerungen und gelernter Prozesse spielt, ist schon seit längerem bekannt. Nach einem Nickerchen ´haben sich beispielsweise neu erworbene, so genannte prozedurale Fertigkeiten, wie beispielsweise Tippen oder Klavierspielen gefestigt und können besser wieder abgerufen werden als ohne die Schlafpause. Aber die Rolle des Schlafs bei einer anderen Sorte Erinnerungen, dem episodischen Gedächtnis, ist bisher weitaus weniger klar. Wissenschaftler am Beth Israel Deaconess Medical Center in Boston haben dies nun in Experimenten speziell im Zusammenhang mit emotionalen Ereignissen getestet.

„Emotionale Erinnerungen enthalten hochgradig aufgeladene Elemente, beispielsweise das Auto, das uns auf dem Nachhauseweg fast gestreift hätte, zusammen mit anderen Elementen, die nur am Rande mit der Emotion verknüpft sind, wie beispielsweise der Name der Straße, in der dies passiert ist“, erklärt Elizabeth Kensinger vom Boston College. „Wir wollte wissen, ob der Schlaf die Erinnerung an alle diese Elemente in gleicher Weise beeinflusst oder ob dabei einige Komponenten des Ereignisses schneller verloren gehen als andere.“

Neutral versus emotional aufgeladen

In ihren Experimenten an 88 Collegestudenten zeigten die Wissenschaftler den Probanden zunächst jeweils zwei Szenen. Eine zeigte ein neutrales Objekt vor einem neutralen Hintergrund, beispielsweise ein Auto, das in einer Straße mit Geschäften geparkt war. Die andere einen ähnlich neutralen Hintergrund, davor aber ein Objekt, das negative Gefühle auslöste, beispielsweise ein nach einem schweren Unfall stark zerstörtes Auto.

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Hinterher wurde die Erinnerung an beide Vordergrundobjekte und die jeweiligen Hintergrundszenen getrennt abgefragt, um den Zusammenhang zwischen dem emotionalem Gehalt und dem Gedächtnis festzustellen. Dabei wurden die Freiwilligen in drei Gruppen eingeteilt: die erste Gruppe war nach dem Zeigen der Szenen zwölf Stunden wach, bevor ihr Gedächtnis getestet wurde. Die zweite Gruppe hatte zwölf Stunden Nachschlaf hinter sich und die dritte Gruppe, die als Vergleichsgruppe diente, absolvierte ihren Test bereits 30 Minuten nach dem Zeigen der beiden Szenen.

Details emotionaler Szenen gespeichert

„Unsere Ergebnisse enthüllten, dass die Studenten, die den ganzen Tag wachblieben, die negative Szene größtenteils vergessen hatten“, erklärt Payne. „Ihre Erinnerungen sowohl der zentralen Objekte als auch des Hintergrunds ließen in vergleichbaren Raten nach.“

Anders jedoch bei den Probanden, die nach zwölf Stunden Schlag getestet wurden: Sie konnte sich noch an alle Details des negativen Objekts, beispielsweise des Unfallautos erinnern. Nach einer Nacht des Schlafs rekonstruierten sie die emotionalen Komponenten so genau wie die Probanden, die nach nur 30 Minuten getestet worden waren. Im Gegensatz dazu trug der Schlaf wenig zur Erinnerung an die Hintergrundobjekte bei. Das Gedächtnis für diese Elemente war nach dem Schlafen ähnlich schwach ausgeprägt wie das der Probanden, die danach einen Tag lang wachbleiben.

Schlaf zerlegt und selektiert Erinnerungen

„Das passt zu der Theorie, dass die individuellen Komponenten des emotionalen Gedächtnisses während des Schlafs auseinander genommen werden“, so Payne. Dieses Zerlegen ermöglicht es dem Gehirn, selektiv nur die Information abzuspeichern, die es für besonders hervorstechend und wertvoll hält. Als typisches Beispiel nennt Payne den „Waffeneffekt“ bei einem Raubüberfall: Die Opfer können später oft in allen Details die ihnen vorgehaltene Waffe beschreiben, das Drumherum bleibt jedoch in ihren Erinnerungen schwammig.

Einen ähnlichen Effekt beobachtet man auch bei traumatischen Erinnerungen, beispielsweise bei Menschen, die an Posttraumatischem Stress leiden. Auch bei ihnen scheinen bestimmte Aspekte des Ereignissen wie eingraviert, während andere ausgelöscht sind. „Schlaf ist ein ausgeklügelter, hochentwickelter Prozess”, so Payne. „Man könnte sagen dass der Schlaf nachts darüber entscheidet, welche Erinnerungen behalten und welche vergessen werden sollen. Damit ist seine Rolle für die emotionalen Erinnerungen weit mehr als nur mechanistisch.“

(Beth Israel Deaconess Medical Center, 15.08.2008 – NPO)

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