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Genetik

Mehr Boten als Gene

Neue Methode entschlüsselt Umsetzung der Erbinformation genauer als bisher

Wie schafft es der Körper, unterschiedliche Zellen auf der Basis der gleichen Erbinformation entstehen zu lassen? Eine der Antworten auf diese Frage erhielten Berliner Wissenschaftler, als sie die Sequenzen von Botenmolekülen, die Erbinformationen aus dem Zellkern ins Plasma transportieren, detailliert in der Zelle nachwiesen. Wie sie erstmals in „Science“ berichten, übertrifft die Vielzahl der Boten-RNA die der aktiven Gene in der Zelle bei weitem.

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Muskeln, Knochen, Nerven – der menschliche Organismus besteht aus einer Vielzahl unterschiedlicher Zellen. Jede besitzt ihr eigenes spezifisches Aussehen sowie bestimmte Funktionen. Gemeinsam bilden sie einen Organismus, dessen Erbinformation in allen Zellen identisch ist. Die Umsetzung der genetischen Information läuft nach einem seit langem bekannten Schema ab. Die DNA-Moleküle im Zellkern enthalten sämtliche Gene, die ein Organismus für alle seine Zellen in allen Entwicklungsphasen seines Lebens benötigt.

Keine Umsetzung ohne Botenmoleküle

Je nach Zellart werden zu bestimmten Zeitpunkten aber nur bestimmte Gruppen dieser Gene in genau festgelegten Mengen benötigt. Dazu werden die jeweils „aktiven“ Gene in Botenmoleküle, die mRNAs abgeschrieben (transkribiert). Jede mRNA enthält nur noch die Information eines einzigen Gens, die Moleküle sind daher viel kürzer als die DNA. Nach der Transkription verlassen die mRNAs den Zellkern und gelangen zu den im Zellplasma befindlichen Ribosomen. Dort werden sie in Proteine übersetzt, die „Ausführungsorgane“ der DNA.

Der menschliche Organismus enthält nach heutigem Wissen etwa 25.000 Gene, die für Proteine kodieren. Dies ist nicht viel mehr als bei einem einfachen Organismus wie zum Beispiel dem Fadenwurm. Der Mensch ist jedoch ungleich komplizierter aufgebaut. Daher benötigt sein Organismus deutlich mehr genetische „Befehle“, als sie die DNA zur Verfügung stellt.

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DNA-Chip verrät Zugehörigkeit

Auf der Suche nach diesen „Befehlen“ untersuchten Marie-Laure Yaspo und ihre Kollegen vom Berliner Max-Planck-Instituts für molekulare Genetik gemeinsam mit Forschern der Firma Genomatix Software in München das „Transkriptom“ von zwei menschlichen Zelllinien. Als solches bezeichnen die Wissenschaftler die gesamte mRNA, die sich zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer bestimmten Zelle befindet.

Die Forscher verwendeten für ihre Untersuchungen Sequenziermethoden der nächsten Generation. Diese bieten eine Reihe von Vorteilen gegenüber den bislang für solche Fragestellungen eingesetzten Chip-Technologien. DNA-Chips bestehen aus kleinen Fragmenten bekannter Gene, die in kontrollierter und geordneter Weise auf einer festen Oberfläche fixiert werden. Die aus der Zelle extrahierte mRNA wird mit einem fluoreszierenden Farbstoff markiert und dann mit dem Chip in Kontakt gebracht.

Dort versucht jedes mRNA-Molekül, einen Genabschnitt zu finden, dessen DNA-Sequenz zu seiner eigenen Sequenz komplementär ist. An diesen bindet er und kann dort mithilfe des fluoreszierenden Farbstoffes nachgewiesen werden. Für die Auswertung werden die Position und Intensität der fluoreszierenden Signale auf dem DNA-Chip gemessen. Die Gene, die mRNA-Moleküle gebunden haben, sind in der untersuchten Zelle aktiv.

Einzelne Moleküle in der Zelle nachweisbar

Durch die Verwendung neuartiger Hochdurchsatz-Sequenziertechnologien gelang es den Wissenschaftlern, die Menge an mRNA, die von jedem Gen produziert wird, weit genauer zu bestimmen, als es mit den bisherigen Methoden möglich war.

„Die Auflösung des neuen Verfahren ist fantastisch“, begeistert sich Yaspo, Koordinatorin der Gruppe, die die Untersuchungen durchgeführt hat. „Mithilfe der verwendeten Sequenziermethode können wir tatsächlich einzelne Moleküle in der Zelle nachweisen. Mit herkömmlichen Chip-Technologien haben wir dagegen bislang immer nur die relative Stärke eines Gen-Signals im Vergleich zum Hintergrund gemessen. Der technologische Fortschritt lässt sich in etwa mit dem Unterschied zwischen einer Schallplatte und einer CD vergleichen. Die Genauigkeit beim Zählen der Moleküle wird bei der neuen Methode nicht mehr durch störendes Rauschen limitiert, das zuvor unvermeidbar war.“

Mehr mRNAs als aktivierte Gene

Ein weiteres Ergebnis war die Vielzahl an unterschiedlichen mRNAs, die sich in den untersuchten Zellen befanden. Von den vorhandenen 25.000 Genen waren in den untersuchen Nierenzellen etwa 15.000 Gene aktiv, in B-Zellen (Lymphozyten) etwa 14.000. Die Forscher stellten jedoch fest, dass sich viel mehr verschiedene mRNAs in den Zellen befanden, als nach der Zahl der aktiven Gene zu erwarten war.

„Die menschlichen Gene sind mosaikartig aufgebaut“, erläutert Yaspo dieses Ergebnis. „Zwischen den Exons, den Abschnitten mit genetischer Information, befinden sich lange DNA-Abschnitte, die nach unserem bisherigen Wissen keine genetische Information enthalten. Diese Introns werden direkt nach der Transkription entfernt, erst dann entsteht die eigentliche mRNA.

Allerdings werden für eine mRNA nicht unbedingt alle Exons eines Gens benötigt. Der Organismus kann die mRNA-Moleküle aus verschiedenen Kombinationen der Exons eines Gens zusammensetzen. Dieser Vorgang wird als alternatives Splicen bezeichnet. Auf diese Weise kann jedes Gen ein Reihe an unterschiedlichen mRNAs produzieren.“

Neben den unterschiedlichen Splice-Varianten fanden die Wissenschaftler außerdem eine Reihe von mRNAs (34 Prozent), die sie keinen der bislang bekannten Gene zuordnen konnten. Aufgrund ihrer Ergebnisse gehen sie davon aus, dass allein bei den beiden untersuchten Zelllinien zahlreiche Gene aktiv sind, deren Existenz bislang noch nicht bekannt ist.

Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass ihre Arbeit massiven Einfluss auf die künftige Untersuchung der molekulare Ursachen menschlicher Erkrankungen haben wird, da Zellen insbesondere bei Krebserkrankungen die genetische Information in ihrem Inneren häufig anders übersetzen als im gesunden Organismus.

(Max-Planck-Institut für molekulare Genetik, 07.07.2008 – NPO)

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