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Astronomie

Sonnensystem: Durch Beinahe-Kollision geformt?

Naher Vorbeiflug eines Nachbarsterns könnte Eigenheiten des äußeren Sonnensystems erklären

Ein Nachbarstern könnte vor mehr als vier MIlliarden Jahren durch den Außenrand der Urwolke gewandert sein © NASA/ JPL-Caltech

Knapp an der Katastrophe vorbei: Unser Sonnensystem könnte in seiner Frühzeit den nahen Vorbeiflug eines Nachbarsterns überstanden haben. Dabei passierte ein etwa sonnengroßer Stern in nur dreifachem Neptunabstand unsere Sonne – und riss einen Teil der Urwolke mit sich. Diese Passage könnte auch erklären, warum die Flugbahnen vieler Himmelskörper jenseits des Neptun gegenüber der Bahnebene der Planeten geneigt sind, wie die Astronomen berichten.

Unser Sonnensystem hat eine turbulente Anfangszeit hinter sich: Die junge Sonne überzog ihre protoplanetare Scheibe mit heftigen Strahlenausbrüchen, Kollisionen schleuderten Protoplaneten aus ihrer Bahn oder ließen sie umkippen. Astronomen vermuten zudem, dass unsere Sonne einst Teil eines Doppelsternsystems war. Später dann kam ihr ein benachbarter Roter Zwerg vorübergehend nahe – und könnte einige Kometen aus ihrer Bahn geworfen haben.

Passage in dreifachem Neptunabstand

Doch wie sich jetzt zeigt, könnte unsere Sonne in ihrer Jugend sogar knapp einer Beinahe-Katastrophe entgangen sein. Denn wie Susanne Pfalzner vom Bonner Max-Planck-Institut für Radioastronomie und ihr Team herausfanden, spricht einiges dafür, dass vor mehr vier Milliarden Jahren ein Stern durch den Außenrand der solaren Urwolke wanderte.

Demnach zog damals ein Stern von 0,5 bis einer Sonnenmasse in einem Abstand von nur rund 100 astronomischen Einheiten (AU) an der jungen Sonne vorbei – das entspricht etwa dem dreifachen Abstand des Planeten Neptun zur Sonne. Der Stern streifte dabei durch den Rand der 150 AU großen solaren Akkretionswolke und riss dabei einen Teil des Materials aus ihr mit.

„Unsere Forschungsgruppe hat jahrelang untersucht, wie solch nahe Vorbeigänge von Sternen sich bei anderen Planetensystemen auswirken können und zunächst nicht daran gedacht, dass wir auch selbst in einem solchen System leben könnten“, sagt Pfalzner.

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Bahnänderungen in der Urwolke nach Vorbeiflug eines Sterns von 0,5 Sonnenmassen in 100 AU Entfernung. grau: Objekte werden komplett aus dem Sonnensytem herausgeschleudert, rot, grün und gelb: zunehmende Exzentritität der Orbits. © S. Pfalzner et al./ The Astrophysical Journal

Äußere Urwolke weggerissen

Doch ihren Computersimulationen nach könnten viele Eigenheiten des äußeren Sonnensystems durch eine solche nahe Passage erklärt werden. So könnte dies der Grund dafür sein, dass es jenseits des Neptun heute viel weniger Objekte gibt als es astronomische Modelle nahelegen: „Dieser Vorbeiflug verstümmelte die protoplanetare Scheibe und verringerte die Masse der Kuipergürtel-Region auf rund ein Prozent ihrer ursprünglichen Masse“, erklären die Astronomen. „Der Bereich innerhalb von 30 astronomischen Einheiten aber blieb davon weitgehend unberührt.“

Diese Sternenpassage könnte auch erklären, warum viele Bahnen transneptunischer Himmelskörper, darunter auch die des Zwergplaneten Sedna, exzentrisch und gegen die Planetenebene geneigt sind: Sie wurden durch dieses Ereignis aus ihren ursprünglichen Orbits gelenkt“, wie Pfalzner und ihre Kollegen berichten. Auch das Massenverhältnis von Neptun und Uranus oder die Existenz von zwei getrennten Populationen von Himmelskörpern im Kuipergürtel wären durch eine solche Passage erklärbar.

„Durchaus wahrscheinlich“

Doch wie wahrscheinlich war damals ein so naher Vorbeiflug eines anderen Sterns? Heute sind stellare Passagen sogar in hundertfach größerem Abstand extrem selten. Direkt nach der Geburt der Sonne in einem eher dicht gedrängten Sternenhaufen aber war dies anders. Nach den Modellrechnungen des Teams gab es damals eine 20- bis 30-prozentige Wahrscheinlichkeit für einen nahen Vorbeiflug während der ersten Milliarden Jahre im Leben der Sonne.

„Zusammengefasst können wir sagen, dass unser Vorbeiflug-Szenario eine realistische Alternative zu gängigen Modellen für die Erklärung der unerwarteten Eigenschaften des äußeren Sonnensystems darstellt“, sagt Pfalzner. „Die Stärke dieses Szenarios liegt darin, das eine ganze Reihe von Eigenschaften des äußeren Sonnensystems mit nur einem einzigen Mechanismus erklärt werden kann.“ (Astrophysical Journal, 2018; doi: 10.3847/1538-4357/aad23c)

(Max-Planck-Institut für Radioastronomie, 13.08.2018 – NPO)

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