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Physik

Molekülballett im Röntgenlaser

Forscher schießen erstes Gruppenfoto von freien Molekülen

Die zufällig orientierten Moleküle (grüner Strahl) werden von einem optischen Laser (rot) alle in dieselbe Pose gebracht und dann mit dem Röntgenpuls (blau) abgelichtet. Aus dem resultierenden Röntgen-Streubild (rechts oben) lassen sich Informationen über die Molekülstruktur berechnen. © Stephan Stern/CFEL

Wer Moleküle fotografieren will, braucht mehr als nur eine Digitalkamera: Mit der stärksten Röntgenquelle der Erde hat ein internationales Forscherteam freie Moleküle im Bild eingefangen. Dazu haben die Wissenschaftler eine Art Molekülballett im Röntgenstrahl choreographiert. Wie sie im Fachmagazin „Physical Review Letters“ berichten, soll die verwendete Technik es in Zukunft sogar ermöglichen, die Bewegungen der Moleküle zu filmen.

Um die atomare Struktur von Molekülen zu bestimmen, werden diese gewöhnlich kristallisiert und dann mit Röntgenlicht durchleuchtet. Allerdings lassen sich manche Moleküle nur sehr widerwillig in Kristallform zwingen, insbesondere bei vielen Biomolekülen ist dies ein Problem. Zudem verhalten sich Moleküle in einem Kristall unter Umständen anders als in freier Form, oder sie nehmen andere Formen an. Die Bewegung von Molekülen oder Teilen davon lässt sich daher im Kristallzustand nur sehr eingeschränkt erkunden. Gerade diese Informationen sind jedoch in Chemie, Physik, Materialforschung und den Lebenswissenschaften heiß begehrt. Forscher arbeiten daher an Methoden, um Schnappschüsse einzelner, ungebundener Moleküle machen zu können.

Belichtungszeit: eine zehnbillionstel Sekunde

Dabei gibt es zwei wesentliche Schwierigkeiten zu überwinden: Moleküle sind extrem klein und bewegen sich extrem schnell. Sichtbares Licht, wie für ein normales Foto, hat eine viel zu große Wellenlänge. Um ausreichende Details auf molekularer oder sogar atomarer Ebene abbilden zu können, nutzen Wissenschaftler daher Röntgenstrahlen. Wegen der schnellen Bewegung der Moleküle sind außerdem extrem kurze Belichtungszeiten nötig: Ein Zehnbillionstel einer Sekunde ist gerade kurz genug.

Damit sie in dieser kurzen Zeit ein ausreichend belichtetes Bild machen können, nutzten die Wissenschaftler um Jochen Küpper vom Hamburger Center for Free-Electron Laser Science (CFEL) die stärkste Röntgenquelle der Erde: die Linac Coherent Light Source (LCLS) in Kalifornien. Dieser sogenannte Freie-Elektronen-Laser (FEL) erzeugt kurzwelliges Röntgenlicht, indem er schnelle Elektronen aus einem Teilchenbeschleuniger mit starken Magneten auf einen eng gesteckten Slalomkurs schickt. In jeder Kurve geben die schnellen Teilchen Lichtblitze ab, die sich zu einem intensiven Laserpuls verstärken. Diese Röntgenpulse sind so kurz und hell, dass sich die ultraschnelle Bewegung von Molekülen abbilden lässt.

Hundert Moleküle posieren synchron

Allerdings lässt sich gegenwärtig selbst mit diesem hellen Licht noch kein brauchbares Bild von einem einzelnen Molekül gewinnen. Daher untersuchen Forscher die Moleküle mit einem Trick: Sie messen, wie stark das Röntgenlicht an mehreren freien Molekülen gestreut wird. Aus einem solchen Streubild lässt sich die Molekülstruktur berechnen, ähnlich wie es auch bei Kristallen funktioniert. Je mehr Moleküle zu dem Bild beitragen, desto deutlicher wird es. Allerdings müssen auch hier, wie in einem Kristall, die Moleküle regelmäßig ausgerichtet sein, damit sich ihre einzelnen Streubilder überlagern und verstärken.

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Eine Sortiermaschine für Moleküle sorgt dafür, dass nur gleichartige Moleküle in den Röntgenstrahl gelangen. Dazu durchfliegen die Moleküle ein inhomogenes elektrisches Feld zwischen dem Stab im Zentrum und dem darunterliegenden Trog, das unterschiedliche Molekülarten verschieden stark ablenkt. © Jochen Küpper/CFEL

Mit einem elektrischen Feld und einer speziellen Laseranordnung brachten die Forscher jeweils rund 100 Moleküle der chemischen Verbindung Di-Iodobenzonitril dazu, wie die Mitglieder einer Ballettgruppe für ein Foto alle dieselbe Haltung einzunehmen. „Wir haben die Moleküle sortiert, auf die Bühne geführt und dazu gebracht, dass sie sich für das Foto synchron in Pose werfen“, schildert Co-Autor Stephan Stern vom CFEL. „Dort haben wir sie mit einem ultrakurzen Blitz von unerreichter Helligkeit fotografiert.“

Die Belichtungszeit war so kurz, dass die superschnellen Bewegungen der Moleküle eingefroren wurden und die Forscher ein scharfes Bild der winzigen Strukturen aufnehmen konnten. Auf diese Weise bestimmten sie beispielsweise den Abstand der beiden Iodatome am Benzolring auf 800 Pikometer, also 800 milliardstel Millimeter, was gut mit dem aus der Theorie bekannten Wert von 700 Pikometern übereinstimmt.

Mehr Durchblick mit XFEL

Die Versuche weisen damit den Weg zur Untersuchung von ultraschnellen Molekülbewegungen. Noch genauere Gruppenfotos von Molekülen sollen in Zukunft am europäischen Röntgenlaser European XFEL entstehen, der zurzeit noch gebaut wird. Er wird vom DESY-Gelände in Hamburg-Bahrenfeld bis in die benachbarte Stadt Schenefeld in Schleswig-Holstein reichen und soll eine rund 200-fach höhere Pulsrate als bisherige Röntgenlaser besitzen.

„Künftig werden wir die Moleküle dazu bringen können, festgelegte Bewegungsabläufe auszuführen, beispielsweise alle mit den Armen zu winken“, sagt Küpper. „Diese Bewegung lässt sich dann filmen, indem wir das Experiment oft wiederholen, jeweils Schnappschüsse zu leicht unterschiedlichen Zeiten machen und diese zu einem Film zusammensetzen. Ähnlich wie eine Superzeitlupe im Sport oder in Dokumentarfilmen werden diese Filme die genauen Bewegungsabläufe der Moleküle während chemischer Reaktionen in bislang unerreichter Detailgenauigkeit zeigen.“

(Physical Review Letters, 2014; doi: 10.1103/PhysRevLett.112.083002)

(Deutsches Elektronen-Synchrotron DESY, 03.03.2014 – AKR)

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