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Astronomie

Europa: Doch chemische Reaktionen in Eiskruste?

Möglichkeit einer aktiven Chemie auf dem Jupitermond trotz Tiefsttemperaturen

Eiskruste von Jupitermond Europa © NASA / JPL / University of Arizona

Unter der Eiskruste des Jupitermonds Europa könnte sich noch mehr verbergen als ein Ozean flüssigen Wassers: Entgegen bisherigen Annahmen laufen in der Tiefe des Eises möglicherweise chemische Reaktionen auch zwischen gefrorenen Stoffen ab – und dies sogar erstaunlich schnell, wie jetzt Laborexperimente belegen. Die nun in der Fachzeitschrift „Geophysical Research Letters“ vorgestellten Erkenntnisse könnten bisherige Vorstellungen der Chemie und Geologie von Europa, aber auch von anderen Eismonden verändern.

Der Jupitermond Europa ist von einer dicken Eiskruste bedeckt, die wegen ihrer extremen Kälte kaum chemische Reaktionen unterhalb der Oberfläche zulässt – so dachte man bisher. Denn bei Temperaturen auf dem Mond von minus 187 bis minus 143 Grad Celsius benötigen die meisten Reaktionen eine zusätzliche Energiezufuhr. Eine bekannte Energiequelle für den Eismond ist der Einstrom energiereicher Teilchen aus den Strahlungsgürteln des Jupiter. Da jedoch die meisten dieser Teilchen nur wenige Zentimeter in die Eisoberfläche vordringen, wurden sie in Modellen der chemischen Vorgänge unter der Eisdecke bisher meist nicht berücksichtigt.

Reaktionen im Eis auch ohne Strahlungsenergie?

„Wenn Leute über Chemie auf Europa reden, dann geht es typischerweise um Reaktionen, die durch Strahlung angetrieben werden”, erklärt Mark Loeffler vom Goddard Space Flight Center der NASA. Jetzt jedoch haben er und seine Kollegen in Laborexperimenten herausgefunden, dass es auch ohne Strahlung und energiereiche Teilchen Reaktionen unter der Eisdecke von Europa geben könnte.

Für ihre Versuche sprühten die Forscher Wasserdampf und Schwefeldioxidgas auf Spiegel in einer Hochvakuumkammer, die auf 50 bis 100 Kelvin – dies entspricht minus 223 bis minus 173 Grad Celsius – heruntergekühlt waren. Die Gase kondensierten dabei sofort und wurden zu Eis. Durch frühere Messungen von Raumsonden ist bekannt, dass Schwefel im Eis von Europa präsent ist, vermutlich stammt es aus den Eisvulkanen des Jupitermonds Io, vielleicht aber auch aus dem untereisischen Ozean von Europa selbst. Was damit geschieht, war aber bislang unbekannt.

Ionenbildung noch bei minus 173°C

Mit Hilfe der Infrarotspektroskopie beobachteten die Wissenschaftler, was in ihrer Reaktionskammer weiter geschah. Es zeigte sich, dass das Schwefeldioxid trotz der extremen Kälte mit den Wassermolekülen reagierte und sich positive und negative Ionen bildeten. „Bei minus 143°C, was dem wärmeren Ende des auf Europa erwarteten Temperaturbereichs entspricht, verläuft diese Reaktion nahezu sofort“, erklärt Loeffler. „Bei minus 173°C erreicht die Reaktion nach rund einem halben bis einem Tag ihre Sättigung. Das klingt vielleicht nicht schnell, aber nach geologischen Maßstäben – Milliarden von Jahren – ist ein Tag wie ein Wimpernschlag.“

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Chemische Aktivität auch unter dem Eis möglich

„Wenn man unter die Oberfläche von Europa kommt, wie es fest und kalt ist, erwartet man nicht, dass die Dinge unter diesen Bedingungen schnell geschehen“, erklärt Reggie Hudson, ebenfalls von Goddard Center der NASA. Sein Kollege Loeffler ergänzt: „Aber bei der Chemie, die wir hier beschreiben, könnte man zehn oder hundert Meter dickes Eis haben und wenn dort Schwefeldioxid untergemischt ist, erhalten wir diese Reaktion.“

Im Labor wandelte die Reaktion nahezu ein Drittel des Schwefeldioxids um. „Das ist eine unerwartet hohe Ausbeute für diese chemische Reaktion“, so Loeffler. „Wir wären schon mit fünf Prozent zufrieden gewesen.“ Viel wichtiger aber: Die in dieser Reaktion entstehenden positiven und negativen Ionen können leicht mit weiteren Molekülen reagieren und damit weitere Prozesse in Gang setzen.

Kohlendioxid-Eis ist kein Hindernis

Um zu testen, ob diese Reaktion auch unter Beisein von Kohlendioxideis und damit unter den auf Europa herrschenden Bedingungen abläuft, ergänzten die Wissenschaftler anschließend ihre Reaktionsmixtur um CO2. Auch dieses gefror sofort auf den Spiegeln aus, behinderte aber die laufenden Reaktion nicht, wie zunächst befürchtet.

„Wenn das gefrorene Kohlendioxid die Reaktion geblockt hätte, dann wären wir nicht annähernd so interessiert an der ganzen Sache“, erklärt Reggie Hudson, ebenfalls von Goddard Center der NASA. „Denn dann wäre die Reaktion nicht relevant für die chemischen Vorgänge auf Europa. Es wäre nur eine Laborkuriosität.“ Doch die Reaktion lief ungehindert weiter ab und deutet damit darauf hin, dass sie nicht nur im Eis von Europa, sondern auch auf anderen Jupitermonden wie Ganymed und Callisto, aber auch auf anderen eisigen Himmelskörpern ablaufen könnte.

Suche nach Reaktionsprodukten beginnt

Der ultimative Test der Laborergebnisse wird nun sein, ob Sonden oder Teleskopdaten Belege für mögliche Produkte dieser Reaktion auf dem Eismond Europa entdecken. „Dies ist ein extrem wichtiges Ergebnis um die Chemie und Geologie von Europas eisiger Kruste zu verstehen“, kommentiert Robert E. Johnson von der Universität von Virginia in Charlottesville die Studie. „Wenn das Schwefeldioxid unterhalb der Oberfläche reagiert und chemische Abkömmlinge erzeugt, wie es jetzt scheint, dann ändert sich das Bild vollständig. Das könnte nicht nur unser Verständnis von Europa beeinflussen, sondern auch die Wahl der Modelle und Instrumente, die für die geplante Jupiter-Europa-Orbiter-Mission vorgesehen sind.“

(NASA/JPL, 07.10.2010 – NPO)

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