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Genetik

Genom des ersten Speisepilzes entschlüsselt

Tintling entpuppt sich als wertvolle Ressource für die Biotechnologie

Genom entschlüsselt: der Wollstielige Mist-Tintling (Coprinopsis cinerea), auch Struppiger Tintling genannt. © Universität Göttingen

Eine internationale Forschergruppe hat zum ersten Mal das Genom eines essbaren Hutpilzes entschlüsselt. Der Tintling Coprinopsis cinerea gilt in Asien als Delikatesse und diente im Mittelalter als Tintenlieferant. Seine 13.300 Gene geben nun unter anderem einen Einblick in seine ungewöhnliche Fortpflanzung, entpuppten sich aber auch als wertvolle Ressource für zukünftige biotechnologische Anwendungen. Die Ergebnisse der Sequenzierung sind in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ erschienen.

Der Wollstielige Mist-Tintling (Coprinopsis cinerea), auch Struppiger Tintling genannt, wächst in der Natur bevorzugt auf Pferdemist und Agrarabfällen. Im Mittelalter nutzte man seine Sporen als Tinte, heute wird er beispielsweise in Thailand als Delikatesse gezüchtet. Der Pilz verfügt über rund 12.000 verschiedene sexuelle „Geschlechter“ (so genannte Kreuzungstypen), die eine Fortpflanzung mit fast allen anderen Individuen seiner Art ermöglichen. In der Natur einmalig ist außerdem die Tatsache, dass während der Fortpflanzung die Prozesse der Zellkernverschmelzung, Zellkernteilung und der Sporenbildung synchron verlaufen. Ein kleines Lichtsignal reicht aus, um die Vorgänge in rund 100 Millionen Zellen gleichzeitig anzustoßen und quasi über Nacht ablaufen zu lassen.

Genaustausch auf Chromosomen unterschiedlich häufig

Eine internationale Forschergruppe unter Leitung des amerikanischen Broad Institute in Cambridge, einer gemeinsamen Einrichtung der Universität Harvard und des Massachusetts Institute of Technology, hat nun das Genom dieses Pilzes sequenziert und ausgewertet. Die hochauflösende Genkarte der 13 Chromosomen des Pilzes enthüllte unter anderem, dass der DNA-Austausch während der Zellteilung zwischen Chromosomen nicht an allen Genorten gleich häufig ist, sondern bevorzugt in den Regionen knapp unterhalb der Telomere, der Endstücke der Chromosomen auftritt.

Dramatische Verdopplung der Genzahl

Vergleiche mit den verwandten, ebenfalls zu den Basidiomyceten gehörenden Pilzarten Coprinopsis neoformans und Ustilago maydis (Maisbeulenbrand) zeigten, dass sich die Anzahl der Gene gegenüber diesen verdoppelt hat – von rund 7.000 auf 13.342 beim Tintling. Bei näherer Untersuchung stellten die Wissenschaftler fest, dass vor allem Gene für Kinasen der so genannten Funk1-Familie vermehrt auftraten, die einew wichtige Rolle bei der Vermehrung und Zellteilung spielen.

Eine Rolle bei der Identifikation dieser Pilzgene spielte auch das von Forschern der Universität Göttingen unter Leitung von Mario Stanke entwickelte Computerprogramm „Augustus“. Mit seiner Hilfe entschlüsselten die Wissenschaftler unter anderem die zahlreichen Kreuzungstyp-Gene des Genoms, die für die Koordination der sexuellen Entwicklungsprozesse zuständig sind.

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Proteine für biotechnologische Anwendungen

Die Sequenzierung zeigt auch, dass der Tintling einige Enzyme besitzt, die für biotechnologische Anwendungen nutzbar wären. So verfügt er über eine Familie von 34 Genen zur Bildung von Hydrophobinen. Diese Proteine können an Oberflächen dünne molekulare Filme bilden, deren eine Seite wasserabweisend ist, während die andere Seite Wasser anzieht. In der Lebensmittelindustrie könnten Hydrophobine zum Beispiel eingesetzt werden, um Schäume wie beispielsweise die Blume eines frisch gezapften Bieres zu stabilisieren, in der Medizin bei der Anzucht von Zellen auf Teflon und in der Pharmazie bei der Herstellung von Suspensionen für die orale Einnahme von wasserunlöslichen Arzneimitteln.

Eine weitere Gruppe der jetzt identifizierten Gene ist für die Bildung von verschiedenen Enzymen zur Zersetzung von Pflanzenmaterialien zuständig, wie zum Beispiel von 17 Laccasen zum Abbau von Lignozellulose in verholzten Zellwänden. Speziell die Laccasen können nützlich sein in biotechnologischen Prozessen, beispielsweise beim Abbau giftiger Phenole, beim Herstellen von Chemikalien aus Holz und beim Verkleben von Fasern in der Holzwerkstoffproduktion.

(Universität Göttingen / PNAS, 30.06.2010 – NPO)

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