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Phänomene

Freispruch für die innere Uhr

Wer oder was reguliert den Winterschlaf?

So könnte die Urzeit-Großkatze ausgesehen haben © Mauricio Antón

Sind Sie eine Eule oder eine Lerche? Sie wissen es nicht? Die Antwort darauf, zu welcher Vogelart Sie zählen, gibt ihre innere Uhr. Denn Eulen finden meist spät ins Bett und schlafen lange, Lerchen dagegen treibt es zeitig in die Federn und genauso zeitig wieder heraus. Alles Quatsch? Keineswegs. Diese Vorlieben haben genetische Ursachen und sind kaum veränderbar.

Innere Uhren lassen aber nicht nur uns richtig „ticken“, Wissenschaftler gehen davon aus, dass sie auch bei allen Tieren zu finden sind. Lange Zeit galten diese Steuerungsinstrumente sogar als oberste Instanz, die den Winterschlaf reguliert und die Tiere rechtzeitig einschlafen und wieder aufwachen lässt.

Feldhamster tickt anders

Dass dies zumindest für den Feldhamster nicht stimmt, haben im August 2007 Forscher um Annika Herwig vom dem Institut für Zoologie der Stiftung tierärztliche Hochschule Hannover und Paul Pévet und Florent G. Revel aus dem Institut des Neurosciences Cellulaires et Intégratives in Frankreich gezeigt. Ihren Ergebnissen zufolge steht die innere Uhr der bis zu 40 Zentimeter großen Nager während des Winterschlafs sogar still.

Die Forscher stellten fest, dass bei den Hamstern die Uhren-Gene Per1, Per2, Bmal1 und ein Erbgutbaustein, der die Melatonin-Herstellung überwacht, entweder immer an- oder immer ausgeschaltet sind. Ein 24-stündiger Tagesrhythmus ließ sich nicht ermitteln.

Der Feldhamster, Cricetus cricetus, hält mehrere Monate Winterschlaf. Wie der Winterschlaf reguliert wird ist nach wie vor ungeklärt. © Mireille Masson Pévet

Auslöser unbekannt

„Dieses Ergebnis ist sehr überraschend, weil der Winterschlaf ein zeitlich sehr präzise regulierter Prozess ist. Ein genaues Timing ist für die Tiere überlebenswichtig“, so Herwig. „So müssen die Tiere beispielsweise ‚wissen‘, wann es im Frühjahr wieder aufzuwachen gilt. Eine nicht-rhythmische Aktivität von Uhren-Genen und Melatonin, wie wir sie zeigen konnten, bedeutet, dass diese Vorgänge nicht aktiv von der inneren Uhr gesteuert werden.“

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Unklar ist nach diesen auch für die Forscher überraschenden Resultaten, wie der Winterschlaf der Hamster nun tatsächlich „funktioniert“. Ungewiss ist zudem, ob die Funde bei diesem Nagetier auch auf andere Winterschläfer übertragbar sind.

Im Moment vermuten Wissenschaftler, dass es neben äußeren Faktoren, wie sinkende Temperaturen und kürzere Tage, auch innere Auslöser gibt, die den Beginn und den Ablauf des Winterschlafs regulieren. Dazu gehören vermutlich Veränderungen im Hormonhaushalt oder Jahreszyklen.

Immunsystem außer Betrieb

Eine anderes Problem im Zusammenhang mit den Ruhephasen der Tiere haben amerikanische Forscher im Jahr 2002 zumindest ansatzweise geknackt: Sie identifizierten einen Mechanismus, der dafür sorgt, dass Winterschläfer zwischendurch immer wieder aufwachen.

Das Team um Brian Prendergast und Randy Nelson von der Ohio State University sowie David Freeman und Irving Zucker von der Universität von Kalifornien injizierte Winterschlaf haltenden Erdhörnchen Pseudo-Bakterien, um eine Immunantwort zu provozieren. Ergebnis: Keines. Offenbar ist das Immunsystem der so genannten Goldmantel-Ziesel während der Schlafphasen vollständig abgeschaltet.

Verzögerte Reaktion

Eine umso heftigere Reaktion registrierten die Forscher dann aber, als die Erdhörnchen wenige Tage später kurzfristig aus dem Winterschlaf erwachten: Sie bekamen hohes Fieber – so als wären sie soeben erst infiziert worden.

„Tiere wachen aus dem Winterschlaf auf um einen ‚System Check‘ auf Infektionen oder Parasiten durchzuführen, die sie sich eingefangen haben“, fasst Prendergast im „American Journal of Physiology“ die Resultate zusammen. „Wenn sie nicht bisweilen wach würden, um ihr Immunsystem zu aktivieren, könnten sie möglichweise nicht bis zum Frühling überleben.“

Aber so spannend die Ergebnisse von Prendergast & Co auch sein mögen, als alleinige Erklärung für die Wachphasen von Winterschläfern reichen sie vermutlich nicht aus. Wissenschaftler vermuten, dass auch ein drohender Zelltod, beispielsweise durch zu niedrige Temperaturen, oder die Gefahr einer Vergiftung durch die Anreicherung von Schadstoffen im Körper dabei eine Rolle spielen könnten.

Noch sind also längst nicht alle Rätsel um den Winterschlaf und die Winterruhe gelöst. Doch je intensiver Wissenschaftler die Phänomene untersuchen, desto häufiger stoßen sie auf neue Fragen und Probleme…

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

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