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Phänomene

Winterschläfer Bär?

Von Winterruhe und Kältestarre

Braunbären © Mila Zinkova / GFDL

„Alle nördlich wohnenden größeren Bärenarten schweifen bloß während des Sommers umher und graben sich vor dem Eintritte des Winters eine Höhle in den Boden oder benutzen günstig gestaltete Felsenspalten und andere natürliche Höhlungen, um dort den Winter zuzubringen. […] In einen ununterbrochenen Winterschlaf fallen die Bären nicht, sie schlafen vielmehr in großen Zeiträumen, ohne jedoch eigentlich auszugehen.“

Dies schrieb der Urvater der Tierdokumentation Alfred Edmund Brehm bereits vor mehr als 130 Jahren in seinem Nachschlagewerk „Tierleben“. Und er hatte recht – zumindest weitgehend. Denn Eisbären beispielweise zeigen dieses Verhalten nicht. Arten wie der auch in Europa lebende Braunbär ziehen sich aber tatsächlich in ein Winterquartier zurück und verbringen die bis zu sieben Monate dauernde Ruhephase in einer Art Dämmerzustand. Dabei leben sie ausschließlich von den großen Fettreserven, die sie sich im Sommer angefressen haben.

Winterruhe statt Winterschlaf

Dennoch unterscheiden sich Bären – und mit ihnen viele andere Tiere wie Dachse oder Eichhörnchen – in einem wesentlichen Punkt von den „echten“ Winterschläfern: Während Herz- und Atemfrequenz auch bei ihnen deutlich abgesenkt sind, bleibt die Körpertemperatur weitgehend stabil. Biologen sprechen in solchen Fällen deshalb von einer Winterruhe.

Daneben gibt es im Tierreich auch noch die so genannte Kältestarre, von der vor allem wechselwarme Tiere wie Frösche, Schlangen oder Schnecken betroffen sind. Bei ihnen passt sich die Körpertemperatur nahezu komplett an die Umweltbedingungen an. Wird es zu kalt, können sie sich nicht mehr bewegen und fallen in eine Art Wachkoma.

Bären kennen keinen Muskelschwund

Während all dies bereits seit Jahren bekannt ist, gaben Bären Wissenschaftlern lange Zeit Rätsel auf: So verlieren die massigen Tiere beispielsweise trotz monatelanger Tatenlosigkeit während der Winterruhe kein Gramm an Muskelmasse. Warum dies so ist, konnten spanische Wissenschaftler im Mai 2008 klären.

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Die Forscher um Professor Josep M. Argilés, Francisco J. López-Soriano und Gemma Fuster von der Universität von Barcelona untersuchten dazu in einem Experiment die physiologische Reaktion der Muskelzellen von Laborratten, die mit Plasma von überwinternden Bären gezüchtet worden waren. Ergebnis: der Proteinabbau in den Rattenmuskeln ging signifikant zurück – und dies um rund 40 Prozent.

„Dies legt nahe, dass im Plasma von Winterruhe-haltenden Bären ein Faktor vorhanden ist, der die Eiweißzersetzung reguliert und der diese in den Versuchstieren blockiert hat“, erklärt Argilés die Beobachtungen seines Teams, das samt und sonders aus Krebsforschern besteht.

Krebsforschung an Bären?

Doch warum beschäftigen sich gerade Tumorspezialisten mit Bären? Ganz einfach: Die Ergebnisse der Tierexperimente könnten auch für Krebs- oder Aids-Kranke wichtig sein, die häufig unter Auszehrung beziehungsweise massivem Muskelabbau leiden. Der Mechanismus der Proteinzerstörung ist aber noch immer nicht endgültig verstanden.

„Verglichen mit unseren Kenntnissen über die Proteinsynthese wissen wir heute nur sehr wenig über den Eiweißabbau, vor allem über seine Regulierung. Der mögliche Hemmstoff im Plasma der Bären könnte die Eiweißspaltung auf natürliche Weise aufhalten. Daraus könnten sich eine ganze Reihe von Folgen für die Behandlung ergeben“, so Argilés.

Schwarzbär © David Ba&

Resistent gegen Knochenabbau

Doch nicht nur gegen Muskelschwund hat die Natur Bären perfekt geschützt, sie sind auch resistent gegen Osteoporose. Denn im Gegensatz zu bettlägerigen Menschen, produzieren Schwarzbären nach Erkenntnissen von Forschern der Michigan Technological University auch in den Ruhephasen reichlich Knochensubstanz. Genug Baustoffe für diesen Prozess sind vorhanden, denn die Tiere verlassen im Winter ihre Höhlen nicht um Urin oder Kot abzugeben. Kalzium und andere für den Knochenaufbau nötige Mineralien bleiben daher im Körper der Bären in ausreichender Menge verfügbar.

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

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