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Phänomene

Dorsche legen sich selbst „auf Eis“

Winterschlaf-ähnliches Phänomen bei Fischen nachgewiesen

Die antarktischen Gewässer im Winter. Eiskalt ist es hier und stockdunkel. Trotzdem gibt es einiges an Leben tief unter der Wasseroberfläche. Recht häufig ist zum Beispiel der antarktische Dorsch Notothenia coriiceps. Er ist perfekt an die widrigen Bedingungen angepasst. So befindet sich in seinem Blut beispielsweise ein „Frostschutzmittel“ in Form von Proteinen, das ihn gegen die -1,8°C Wassertemperatur immun macht.

Antarktischer Dorsch (Notothenia coriiceps) © Hamish Campbell

Schon im Sommer schlägt das Herz der olivgrünen Tiere nur zehn Mal pro Minute. Und wichtige Lebensvorgänge wie Wachstum, Stoffwechsel oder die Schwimmbewegungen laufen nur langsam ab. Immerhin reicht es um Beute zu suchen und ohne Probleme zu überleben. Im antarktischen Winter von März bis November jedoch kippen die Dorsche einen ökologischen Schalter um und legen sich selbst „auf Eis“, um Energie zu sparen. Sie sinken zum Meeresboden hinab, nehmen kaum noch Nahrung auf und vermindern ihre Herzfrequenz weiter. Fast scheint es so, als hielten sie ein Nickerchen.

Wie im Koma

„Antarktische Dorsche sind ohnehin nicht die schnellsten Schwimmer, aber im Winter verhalten sie sich semi-komatös“, sagt Keiron Fraser, Meeresbiologe vom British Antarctic Survey, der zusammen mit seinem Kollegen Hamish Campbell von der Universität von Queensland in Australia dieses ungewöhnliche Phänomen im Jahr 2008 entdeckt hat. Die Forscher sprechen vorsichtig von einer „Überlebensstrategie ähnlich dem Winterschlaf“.

In der Tat sprechen einige Indizien dafür, dass diese Theorie stimmt. „Winterschlaf ist ein ziemlich komplexes Thema“, sagt Campbell. „Fische sind normalerweise nicht in der Lage, ihren Stoffwechsel unabhängig von den Temperaturen abzusenken. Daher treten die Ruhephasen von Fischen im Winter direkt proportional zu sinkenden Wassertemperaturen auf.“

Fische als Winterschläfer?

Doch bei Notothenia coriiceps ist das anders. Er scheint in der Lage zu sein, seine Stoffwechselvorgänge aktiv ohne ein nennenswertes Absinken der Meerwassertemperaturen zu minimieren. „Es scheint unwahrscheinlich, dass die geringfügig niedrigeren Winterwerte die Ursache für das Absinken der Stoffwechselrate sind“, meint Campbell.

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Hamish Campbell bei der Arbeit © Hamish Campbell

Die Wissenschaftler hatten im Rahmen ihrer Experimente Wildfische mit Pulsmessern versehen und ihre Bewegungen mithilfe von akustischen Sendern (Markierungen) über ein Jahr lang überwacht. Die Analysen ergaben, dass die Fische im Winter nicht nur um 20 Prozent inaktiver sind als sonst, sie zeigten auch noch andere Winterschlaf-typische Verhaltensweisen. So wachten sie alle paar Tage aus ihrer Regungslosigkeit auf, um ein wenig herumzuschwimmen, bevor sie anschließend wieder ins „Koma“ sanken.

Der Grund für das rätselhafte Verhalten der Dorsche ist für die Forscher weitgehend klar: „Es scheint, dass sie die kurzen antarktischen Sommer nutzen, um über die Ernährung genug Energievorräte anzuhäufen, damit sie den Winter über zu rechtkommen“, erklärt Fraser. „Der Winterschlaf-ähnliche Zustand ist später dann mutmaßlich ein Mechanismus, um ihren Energiebedarf auf das Minimum herab zu schrauben.“

Legt Licht den Schalter um?

Ausgelöst wird der jahreszeitlich bedingte Wechsel in der ökologischen Strategie vermutlich durch Licht. Denn während es im Sommer in der Antarktis 24 Stunden am Tag hell ist, sind die Wintermonate von fast undurchdringlicher Dunkelheit geprägt.

In einem nächsten Schritt wollen die Forscher um Campbell und Fraser noch ein weiteres Geheimnis um die antarktischen Dorsche lösen: „Eine interessante Frage, die wir noch beantworten müssen, ist weshalb die Fische die Nahrungsaufnahme im Winter fast vollständig einstellen, obwohl ausreichend Beute vorhanden ist.“

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