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Chemie

Zahl der Chemikalien verdreifacht

Neues Register erfasst mehr als 350.000 Industriechemikalien

Die Anzahl der in der Industrie verwendeten und registrierten Chemikalien umfasst mittlerweile 350.000 Verbindungen. ©Garsya /iStock.com

Rasante Neuentwicklungen: Eine globale Bestandsaufnahme aller registrierten Industriechemikalien ergab, dass heute weltweit etwa 350.000 verschiedene Substanzen hergestellt werden. Damit hat sich die Zahl der Chemikalien in den letzten 20 Jahren mehr als verdreifacht. Allerdings fehlen zu gut einem Drittel dieser Chemikalien öffentlich zugängliche Daten, wie die Forscher berichten.

Im Anthropozän, dem Zeitalter des Menschen, nimmt dieser nicht nur Einfluss auf andere Lebewesen, sondern auch auf die Substanzen und Materialien in seiner Umwelt. Durch seinen Einfluss hat sich beispielsweise die Anzahl der Minerale so stark erhöht wie durch kein anderes Ereignis zuvor.

Neue Bestandsaufnahme

Doch das gilt nicht nur für Minerale, auch die Anzahl der vom Menschen herstellten Chemikalien wächst rasant. Die letzte globale Registrierung von Chemikalien fand allerdings schon vor etwa 20 Jahren statt. Damals umfasste Liste etwa 100.000 Einträge. Ein Großteil der Daten stammte dabei aus den USA, Kanada und Westeuropa – Regionen, die damals für mehr als zwei Drittel des globalen Umsatzes aufkamen.

Was aber hat sich seither getan? Ein internationales Forscherteam um Zhanyun Wang von der ETH Zürich hat eine neue globale Bestandsaufnahme aller registrierten Industriechemikalien vorgenommen. Dazu hat das Team die Daten von 22 Verzeichnissen aus 19 verschiedenen Ländern und Staatsverbänden zusammengeführt und erfasst dabei auch die stark wachsenden Märkte in Asien. „Wir haben den Blick auf den globalen Markt ausgeweitet – und präsentieren zum ersten Mal eine umfassende Übersicht aller weltweit erhältlichen Chemikalien.“, sagt Wang.

Verdreifachung in 20 Jahren

Das Ergebnis: Weltweit werden etwa 350.000 verschiedene Verbindungen hergestellt und genutzt. „Die uns nun bekannte chemische Vielfalt ist damit dreimal größer als vor 20 Jahren.“, sagt Wang. Auch der Umsatz mit Chemikalien hat seit der Jahrtausendwende verdoppelt. Er lag 2017 bei 3,4 Billionen Euro, wie die Forscher berichten.

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Doch nicht nur die Gesamtzahl der Chemikalien ist gestiegen, auch die Bedeutung der verschiedenen Regionen und Länder für Produktion und Chemikalienhandel hat sich verschoben. Der Anteil des globalen Westens am Chemikalienhandel beträgt nur noch ein Drittel, wie die Studie ergab. Die BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) dominieren heute den Chemikalien-Welthandel. Allein auf die Volksrepublik China entfallen 37 Prozent des Umsatzes.
„Unsere neue Liste führt deshalb viele Chemikalien auf, die in Entwicklungs- und Schwellenländern – oft unter begrenzter Aufsicht – registriert wurden.“, erklärt Wang.

Fehlende Informationen zur Gefährlichkeit

Eine vollständige Auskunft darüber geben, welche Chemikalien schädlich, giftig oder gefährlich für die Umwelt sind, kann die Liste noch nicht. „Unsere Bestandsaufnahme ist der allererste Schritt in der Charakterisierung der Substanzen.“, sagt Wang. Aus den bisherigen Registern kann das Team um Wang allerdings abschätzen, dass in der neuen Liste etwa 6.000 potenziell schädliche Substanzen vorkommen.

Zum Erstaunen der Forscher ist jedoch etwa ein Drittel der Verbindungen in den Registern nur unzureichend beschrieben. Bei 70.000 Einträge der Datenbank handelte es sich um Mischungen und Polymere, bei denen oft Informationen zu den Einzelbestandteilen fehlten. Bei weiteren 50.000 Einträgen waren Details zur Verbindung nicht öffentlich zugänglich, da es sich dabei um vertrauliche Geschäftsinformationen handelte. „Das hinterlässt ein ungutes Gefühl wie bei einem Gericht, von dem man uns zwar sagt, dass es gut gekocht ist, aber nicht, was drin ist.“, meint Wang.

Globales Register notwendig

Nach Ansicht der Forscher müssen daher Transparenz und Vollständigkeit der Daten über die weltweit hergestellten Chemikalien künftig deutlich verbessert werden. Dafür sollten unter anderem die nationalen Register im globalen Maßstab zusammengeführt werden. Nur so könne die Menschheit den Überblick über die chemischen Verbindungen behalten, die irgendwo auf der Welt hergestellt und dann weiterverkauft werden.

Die Notwendigkeit einer internationalen Datenbank besteht auch deshalb, weil es aus einigen Ländern Südamerikas und Afrikas bislang kaum Einträge in übergeordneten Verzeichnissen gibt. Den Forschern zufolge gibt es aber in jedem Land Industriechemikalien, die nur in nationalen Registern aufgeführt werden.

„Nur wenn wir unsere Kräfte über Länder und Disziplinen hinweg vereinen, schaffen wir es, mit der immer größer werdenden chemischen Vielfalt zurechtzukommen.“, sagt Wang.(Environmental Science & Technology, 2020, doi: 10.1021/acs.est.9b06379)

Quelle: ETH Zürich

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