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Technik

Computer als Rissfahnder im Atomkraftwerk

Lernfähiges Programm identifiziert Risse in Stahlbauteilen von Atomreaktoren

Die Wände und Bauteile des Reaktors können nur mit ferngesteuerten Kameras überwacht werden - ein lernfähiges Programm soll dies künftig erleichtern. © Purdue University

Scharfäugiger als der Mensch: Eine Software soll künftig dabei helfen, winzige Risse in stählernen Bauteilen von Atomreaktoren zu erkennen. Das von US-Forschern entwickelte lernfähige Programm wertet dafür die Videoaufnahmen ferngesteuerter Kameras aus den Reaktorbecken aus. Anhand der Textur kann es dabei Risse besser und schneller von bloßen Kratzern oder Schweißnähten unterscheiden als der Mensch, wie die Forscher berichten.

Ein Atomkraftwerk ist nur sicher, solange die Abschirmmaterialien des Reaktors dicht halten. Doch genau das ist das Problem: Die starke Belastung durch Hitze und harte Strahlung ermüdet Stahl und Beton und kann zu Schwachstellen führen – wie nicht zuletzt die tausenden Risse in der Hülle der belgischen Atomkraftwerke Doel und Tihange demonstrieren. Aber auch deutsche Kernkraftwerke zeigen durchaus Alterungserscheinungen.

Schwer zu erkennen

Eines der Probleme dabei: Gerade Mikrorisse im Stahl der Druckbehälter und Leitungen lassen sich nur schwer entdecken. Zum einen weil sie so klein sind und kaum von bloßen Kratzern oder Schweißspuren zu unterschieden sind. Zum anderen aber, weil sie meist in dem mit Kühlwasser gefüllten Teil des Reaktors liegen.

„Eine direkte Inspektion dieser Strukturen ist daher wegen der hohen Temperaturen und Strahlungsbelastung nicht möglich“, erklärt Mohammad Jahanshahi von der Purdue University. ‚“Man nutzt daher Videos von ferngesteuerten Kameras für die Inspektion.“ Doch Studien zeigen, dass menschliche Beobachter enorme Schwierigkeiten haben, Mikrorisse auf diesen Videobildern zu identifizieren.

Risse oder bloß Kratzer und Schweißspuren? Die Software erkennt dies. © Purdue University / EPRI

Lernfähiges Programm als Rissfinder

Abhilfe könnte nun ein von Jahanshahi und seine Kollegen entwickeltes lernfähiges Risserkennungsprogramm bieten. Im Gegensatz zu gängigen automatisierten Systemen betrachtet dieses Programm nicht nur ein Videobild nach dem anderen, sondern verarbeitet mehrere Videoframes auf einmal. Zudem erkennt es die Risse nicht anhand von Helligkeitsabweichungen, sondern anhand der Textur, die sie von den umliegenden Stahlbereichen unterscheiden.

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„Wir nutzen eine sogenannte Bayesische Datenfusion, um entdeckte Risse über mehrere Videoframes zu verfolgen und die Informationen dieser Frames zusammenzufügen“, erklärt Jahanshahi. „Das System versieht alle Entdeckungen mit einer Markierung, die gleichzeitig das Konfidenzniveau anzeigt.“ Sehr sicher detektierte Risse werden beispielsweise mit einem roten Kasten umrahmt.

Erfolgreicher Test

„Dann kann ein Techniker diese Stellen einer manuellen Überprüfung unterziehen, um sicherzustellen, dass dort wirklich ein Riss vorhanden ist“, sagt Jahanshahi. In einem ersten Test nutzten die Forscher ihr lernfähiges System, um Mikrorisse in 304 untergetauchten Stahlplatten zu finden – mit Erfolg. Das Programm unterschied die Risse von Kratzern und Schweißspuren mit hoher Treffsicherheit, wie die Forscher berichten.

Mohammad Jahanshahi erklärt die Funktionweise seines Rissfinders für Atomreaktoren© Purdue Engineering

Die Wissenschaftler haben ihr Programm bereits zum Patent angemeldet. Sie arbeiten zurzeit an einer zweiten Version, die mit Hilfe von neuronalen Netzwerken noch lernfähiger und treffsicherer werden soll. Ihre Hoffnung dabei ist, dass ihr Rissfinder auch und gerade die US-Atomkraftwerke sicherer machen kann. (Computer-Aided Civil and Infrastructure Engineering, 2017; doi: 10.1111/mice.12256)

(Purdue University, 20.02.2017 – NPO)

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