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Phänomene

Akustische Merkmale heilsamer Musik identifiziert

Welche Eigenschaften Lieder in der Musiktherapie haben sollten

Junge Frau hört Musik über Kopfhörer
Musik kann helfen, Stress zu reduzieren, Schmerzen zu lindern und psychische Erkrankungen zu behandeln. © staticnak1983 / Getty Images

Heilsame Klänge: Musik kann therapeutisch wirken – aber wie muss diese Musik beschaffen sein? Wie Forschende herausgefunden haben, haben Musikstücke mit heilender Wirkung tatsächlich charakteristische akustische Merkmale, unabhängig von ihrem Genre. Demnach verfügen alle heilsamen Lieder über die drei gleichen akustischen Eigenschaften. Die Erkenntnis könnte helfen, die Musiktherapie zu verbessern. Zum Beispiel könnte künstliche Intelligenz personalisierte Playlists für Patienten erstellen.

Musik kann unsere Stimmung aufhellen oder uns trösten. Bei Menschen mit psychischen Erkrankungen wie Angststörungen, Depressionen und PTBS kann bestimmte Musik auch heilsam wirken. Sogar chronische Schmerzen und epileptische Anfälle lassen sich durch Musik abmildern. Dies funktioniert teilweise schon durch bloßes Zuhören, noch besser aber durch das aktive Singen und Musizieren. Unklar war bislang jedoch, welche akustischen Merkmale den therapeutischen Effekt heilsamer Musikstücke bewirken und was diese Klangsequenzen von „normalen“ Liedern unterscheidet.

Welche Musik empfehlen Therapeuten?

Dieser Frage ist nun ein Forschungsteam um Yue Ding von der Jiao Tong Universität in Schanghai nachgegangen. Die Forschenden stellten dafür eine Playlist mit 165 Liedern zusammen, die wegen ihrer heilenden Wirkung von 35 erfahrenen Musiktherapeuten empfohlen wurden. Viele dieser Musikstücke wenden die Therapeuten nach eigenen Angaben selbst regelmäßig bei Sitzungen mit Patienten an.

Die Stücke waren zwischen 70 Sekunden und 17 Minuten lang und umfassten insgesamt neun verschiedene Genres: Klassik, Elektronik, Rhythm and Blues (R&B), Filmmusik, Volksmusik, Jazz, Marschmusik, New Age und Pop. Am häufigsten empfahlen die Therapeuten dabei klassische Musik mit 29 Prozent, gefolgt von Popmusik mit 18 Prozent.

Ding und seine Kollegen verglichen diese als potenziell heilsam eingestuften Musikstücke zur Kontrolle mit anderen Musikstücken aus vier verschiedenen Genres: 330 Musikstücken aus der Klassik und 100 Jazzaufnahmen. Zusätzlich nahmen die Forschenden auch zwei verschiedene Playlists auf, die Kriterien der traditionellen chinesischen Medizin und Psychologie folgen.

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Musikgenre spielt für heilende Wirkung keine Rolle

Für einen objektiven Vergleich der akustischen Merkmale dieser Musikstücke verwendeten die Wissenschaftler eine Software (Mirtoolbox), die aus den Audiodateien jeweils ihre musikalischen Parameter extrahierte. Insgesamt ergaben sich damit aus der Therapie-Playlist 370 akustische Merkmale. Bei deren Analyse stellten die Forschenden fest, dass etwa 26 Prozent dieser Merkmale typisch für das jeweilige Genre waren. Die übrigen Merkmale kamen jedoch in allen Genres vor.

Beim Vergleich der verschiedenen Playlists zeigte sich: Auch innerhalb eines Genres, wie beispielsweise der Klassik, gab es Unterschiede zwischen den als heilsam empfohlenen und den „normalen“ Vergleichsstücken. Sie differierten in 26 Prozent ihrer akustischen Merkmale. Ein ähnliches Bild ergab sich, als die Wissenschaftler heilsame und nicht-heilsame Jazzstücke verglichen.

Die Forschenden schließen daraus, dass nicht allein das Genre für die heilende Wirkung verantwortlich sein kann, sondern dafür ganz bestimmte Merkmale nötig sind. Das legten auch bereits frühere Studien nahe.

Heilsame Musik weist drei charakteristische Merkmale auf

Aus der gemeinsamen Schnittmenge dieser Teilergebnisse sowie Überschneidungen mit Merkmalen der traditionellen chinesischen Musik identifizierten Ding und seine Kollegen schließlich drei akustische Merkmale, die für die heilende Wirkung der Musik ausschlaggebend sind. Diese treten demnach in heilsamen Musikstücken jeden Genres auf, sind aber nicht in „normalen“ Stücken aller Genres zu finden. Diese drei Merkmale sind die Standardabweichung der Rauheit sowie der Frequenz-Mittelwert und ein weiteres Merkmal, der sogenannte MFCC3-Koeffizient.

Das erste Merkmal, die Standardabweichung der Rauheit, zeigt an, wie stark und oft sich Töne im Musikstück „reiben“ und Dissonanzen erzeugen. „Dissonante Intervalle in Musik mit hoher Rauheit können beispielsweise ein Gefühl von Spannung hervorrufen, während konsonante Intervalle in Musik mit sanfteren Klängen ein Gefühl von Entspannung oder Auflösung hervorrufen können“, erklären die Forschenden. Es sei daher nicht verwunderlich, dass eine geringe Rauheit ein wesentliches Wahrnehmungsmerkmal von heilender Musik ist.

Der Mittelwert und die sogenannten MFCCs beschreiben dagegen die Bandbreite der akustischen Frequenzen. Sie bilden den spektralen Rahmen des Stücks und sind für den Gesamteindruck entscheidend, wie das Team erklärt. Dabei beschreibt der MFCC3-Koeffizient vor allem die Merkmale, die das Timbre und die Klangfarbe der Musik charakterisieren. An diesen akustischen Merkmalen erkennen wir beispielsweise, welche Instrumente spielen, sie beeinflussen aber auch, ob ein Stück sanft oder hart wirkt.

Personalisierte Musiktherapie in Sicht

Therapeuten, die diese drei akustischen Merkmale bei der Auswahl ihrer Musik berücksichtigen, könnten dadurch künftig bessere Erfolge erzielen, sagen die Wissenschaftler. Die Therapeuten könnten sogar personalisierte therapeutische Playlists für Patienten erstellen, indem sie KI-Algorithmen nutzen, die in Echtzeit die körperlichen und mentalen Reaktionen der Patienten analysieren.

„Unsere Erkenntnisse können in verschiedenen Kontexten angewendet werden, beispielsweise in der Musiktherapie zur Stressreduzierung sowie zur Behandlung psychischer Erkrankungen und chronischer Schmerzen“, sagt Ding. Künftige Studien müssen indes noch klären, welche neurologischen Mechanismen dieser heilenden Wirkung der Musik zugrunde liegen. (General Psychiatry, 2023; doi: 10.1136/gpsych-2023-101145)

Quelle: BMJ

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