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Medizin

Wie unser Schlucken funktioniert

Neuer Subtyp von Nervenzellen als Auslöser des Schluckreflexes identifiziert

Speiseröhre
Die Speiseröhre ist kein bloß passiver Schlauch – erst ihre aktiven Schluckbewegungen leiten die Nahrung in den Magen. © libre de droit/ Getty images

Aktiver Transport: Damit unser Schluckreflex funktioniert, müssen erst bestimmte Nervenzellen in der Wand unserer Speiseröhre aktiv werden, wie nun eine Studie enthüllt. Demnach fungieren diese neu identifizierten Sinneszellen als Dehnungsrezeptoren, die Signale über den Vagusnerv ans Gehirn senden und so das Schlucken auslösen. Erst dadurch kommt die peristaltische Bewegung der Speiseröhre in Gang, die die Nahrung zum Magen transportiert. Dieses Wissen könnte nun dabei helfen, krankhafte Schluckstörungen zu behandeln.

Der Schluckreflex ist für unsere Nahrungsaufnahme essenziell. Denn erst durch dieses aktive Zusammenziehen von Rachen und Speiseröhre wird die Nahrung vom Mundraum in Richtung Magen befördert. Dabei sorgen peristaltische Bewegungen der Muskeln in der Speiseröhrenwand dafür, dass der Nahrungsbrei vorankommt. Es gibt aber auch Menschen, bei denen dieser Reflex nicht richtig funktioniert, außerdem können auch neurologische Krankheiten wie Multiple Sklerose oder ALS zu Schluckstörungen führen.

Vom Stammhirn über den Vagusnerv zum Ösophagus

Doch wie das Schlucken gesteuert wird, war bisher erst in Teilen geklärt. Bekannt war, dass Motoneuronen im unteren Teil des Hirnstamms und der Vagusnerv dafür eine wichtige Rolle spielen. Dieser zum vegetativen Nervensystem gehörende zehnte Hirnnerv zieht sich vom Kopf über den Hals bis in den Brust- und Bauchbereich. Er steuert die Bewegungen von Kehlkopf und Rachen, leitet aber auch Reize aus Mund, Brustraum und Verdauungstrakt ans Gehirn weiter.

Damit liegt nahe, dass auch die Bewegungen der Speiseröhre vom Vagusnerv kontrolliert werden. Strittig ist allerdings, ob die Speiseröhre dafür spezielle Ganglien und Nervenenden besitzt und ob der Schluckreflex ein aktives Feedback von diesen Sinneszellen benötigt. Diese Fragen haben nun Elijah Lowenstein vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin und seine Kollegen geklärt.

Ein spezieller Subtyp von Nervenenden

Für ihre Studie nutzten die Forschenden zunächst einen genetischen Fluoreszenzmarker, um bei Mäusen die verschiedenen sensorischen Neuronen des Vagusnervs anzufärben. Dadurch konnten sie nachvollziehen, wo an der Speiseröhre spezielle, knötchenartige Ausläufer dieses Hirnnervs, sogenannte intragangliale laminare Endungen (IGLE) liegen. Mithilfe von elektrophysiologischen Methoden und Einzelzell-Genanalysen ermittelte das Team anschließend, wie diese Nervenknötchen beschaffen sind und funktionieren.

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Es zeigte sich: Die Speiseröhre ist von einem ganzen Netz an speziellen Nervenenden durchzogen, die drei zuvor unbekannten Subtypen angehören. Diese sogenannten Prox2/Runx3-Subtypen zeichnen sich durch ein spezifisches Muster der Genaktivität aus, wie Lowenstein und sein Team herausfanden. In der Speiseröhrenwand, aber auch in der Magenwand fungieren diese Endknötchen des Vagusnervs als eine eigene Form sensorischer Zellen.

Nervenverzweiungen an einem Mäuse-Ösophagus
Gelb angefärbt sind hier die Verästelungen und Ausläufer des Vagusnervs im Umfeld der Speiseröhre einer Maus. © Elijah D. Lowenstein, AG C. Birchmeier/Max Delbrück Center

Mechanosensoren als Schluck-Auslöser

Doch auf welche Reize reagieren diese Zellen? Das testeten die Wissenschaftler, in dem sie die Speiseröhre einer Maus mechanisch und optisch reizten und dabei die elektrophysiologische Reaktion der Endknötchen beobachteten. Das Ergebnis: Wurde der Ösophagus leicht gedehnt, feuerten die Prox2/Runx3-Nervenenden – und nur diese. „Diese Neuronen sind demnach die einzigen vagalen Mechanorezeptoren der Speiseröhre“, konstatieren Lowenstein und seine Kollegen. Die Präsenz dieser Dehnungssensoren im Ösophagus legt wiederum nahe, dass sie ihre Informationen an den Vagusnerv und das Gehirn weiterleiten.

Der Schluckreflex könnte demnach vom richtigen Funktionieren dieser Mechanorezeptoren abhängig sein. Um dies zu überprüfen, schaltete das Team die Prox2/Runx3-Subtypen der Speiseröhre bei einigen ihrer Testmäuse aus. Als Folge hatten Tiere klar erkennbare Probleme beim Schlucken: Selbst Flüssigkeiten blieben mehr als eine halbe Minute in der Speiseröhre hängen. In einigen Fällen kamen sie überhaupt nicht im Magen an, sondern stauten sich im Rachen oder flossen sogar wieder in den Mundraum zurück.

Neuer Ansatz auch für Therapien von Schluckstörungen

Dies betätigt: „Die Speiseröhre ist nicht nur ein hohler Schlauch, der den Mund mit dem Magen verbindet“, sagt Lowenstein. „Sondern sie ist auf eine mechanosensorische Rückkopplung angewiesen, um ihre Funktion zu erfüllen.“ Demnach funktioniert der Schluckreflex nur dann richtig, wenn die neu identifizierten Subtypen der Vagusnerv-Enden aktiv sind und auf Dehnungsreize reagieren können. Diese Dehnung der Speiseröhre löst dann das Schlucken aus.

Diese Erkenntnis könnte nun dabei helfen, die Ursachen für Schluckstörungen besser zu verstehen, und liefert auch neue Ansätze für eine Therapie: „Unsere Arbeit kann jetzt dazu beitragen, Schluckbeschwerden künftig besser zu behandeln – etwa indem man die von uns entdeckten Mechanorezeptoren pharmakologisch aktiviert“, sagt Seniorautorin Carmen Birchmeier vom Max-Delbrück-Centrum.

Gleichzeitig bieten die bei dieser Studie eingesetzten Methoden nun die Möglichkeit, auch die Funktionen anderer vagaler sensorischer Nervenzellen zu untersuchen – etwa jener, die die Lunge oder die Aorta ansteuern. „Womöglich spielen diese Neuronen eine entscheidende, aber noch unbekannte Rolle bei der Entstehung bestimmter Atemwegserkrankungen oder Herz-Kreislauf-Leiden wie Bluthochdruck“, sagt Birchmeier. (Neuron, 2023; doi: 10.1016/j.neuron.2023.04.025)

Quelle: Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft

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