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Medizin

Wie stark ist das Coronavirus mutiert?

Hunderte Mutationen bei SARS-CoV-2 – die Auswirkungen sind jedoch strittig

SARS-CoV-2
Das Coronavirus SARS-CoV-2 verändert sich allmählich – aber welche Auswirkungen hat das auf die Pandemie und die Patienten? © Koto Feja/ iSTock

Ständige Veränderungen: Forscher haben bei Genanalysen schon hunderte Mutationen beim Coronavirus SARS-CoV-2 nachgewiesen – bei einer davon verschwanden sogar gut 80 RNA-Basen auf einmal. Doch welche Folgen diese Mutationen haben, ist strittig. Einige scheinen das Virus weniger aggressiv zu machen, andere könnten dagegen seine Infektiosität erhöhen. Und auch für die Impfstoff-Entwicklung sind einige Mutationen relevant.

Alle Viren mutieren im Laufe der Zeit. Denn bei ihrer Vermehrung in den Wirtszellen können immer wieder Kopierfehler auftreten, die dann von den viralen „Nachkommen“ weitergetragen werden. Typischerweise kommen solche Mutationen bei RNA-Viren besonders häufig vor, weil sie die DNA-Korrekturmechanismen der Wirtszellen nicht nutzen können. Es ist daher kein Zufall, dass besonders viele neu auftretende und neu an den Menschen angepasste Erreger zu den RNA-Viren gehören.

SARS-CoV-2 Varianten
Webseiten wie Nextstrain nutzen die weltweit gesammelten Gendaten des Coronavirus, um Stammbäume und Verbreitungswege zu rekonstruieren. © Nextstrain.org

Blick ins Genom von SARS-CoV-2

Doch wie schnell mutiert das Coronavirus SARS-CoV-2? Und wie verändert das seine krankmachende Wirkung? Diese Frage untersuchen Forscher schon seit Beginn der Corona-Pandemie, indem sie immer wieder Virenproben aus Patienten isolieren und deren Erbgut analysieren. In der zentralen Datenbank GISAID sind inzwischen mehr als 16.000 solcher Genomsequenzen für SARS-CoV-2 gesammelt.

Durch den Vergleich dieser viralen RNA-Sequenzen lässt sich feststellen, wo und wie stark das Virus mutiert ist – aber auch, auf welchen Wegen es sich über die Welt verbreitet hat. So zeigen die Mutationsvergleiche, dass SARS-CoV-2 eigentlich kein besonders schnell mutierendes Virus ist. Aber wegen der hohen Zahl der Infizierten und der schnellen Ausbreitung haben sich trotzdem schon viele Genveränderungen angesammelt.

Gleichzeitig bestätigen die Vergleiche, dass das Virus in Wuhan seinen Ursprung hatte und dass sich die ersten Menschen dort wahrscheinlich irgendwann zwischen Mitte Oktober und Anfang Dezember 2019 mit dem Virus infiziert haben.

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Drei Hauptstämme von SARS-CoV-2

Ein Ergebnis: Inzwischen hat das Coronavirus offenbar drei Hauptstämme entwickelt, die sich in unzählige weitere Varianten aufzweigen, wie Peter Forster vom Institut für forensische Genetik in Münster und sein Team herausfanden. Demnach sind die ältesten Vertreter von Stamm A den eng mit SARS-CoV-2 verwandten Fledermaus-Coronaviren am ähnlichsten und konzentrierten sich zunächst in Wuhan. Allerdings: „Das erste Genom, das am 24. Dezember 2019 isoliert wurde, hatte sich schon ziemlich weit von dieser Wurzeln entfernt“, berichten die Forscher.

Von China aus sprang diese Virenvariante A relativ schnell nach Nordamerika und Ostasien über -wahrscheinlich über Reisende, die sich zur Ausbruchszeit in Wuhan aufgehalten haben. Der B-Typ von SARS-CoV-2 hat sich dagegen zunächst fast nur in Asien ausgebreitet. Er ist dort bis heute die häufigste Variante dieses Coronavirus. Erst nachdem dieser Stamm weitere Mutationen entwickelt hatte, gelangte er auch nach Nordamerika und vereinzelt nach Europa – auch einige deutsche Fälle gehören dazu.

In Europa am stärksten verbreitet ist jedoch Typ C – er ist durch eine Mutation aus dem B-Typ entstanden. „Der C-Typ ist das wichtigste in Europa vorkommende Typ von SARS-CoV-2“, berichten Forster und sein Team. „Von ihm gibt es Isolate aus Frankreich, Italien, Schweden und England, aber auch aus Kalifornien und Brasilien.“ So konnten die Forscher nachvollziehen, dass der erste brasilianische Covid-19-Patient dieses Virus nach einem Besch in Italien mitbrachte.

Mutationen konzentrieren sich an bestimmten Stellen im Virengenom

Doch welche Auswirkungen haben die Mutationen auf das Verhalten des Virus? Bisher können Virologen und Genetiker diese Frage nicht eindeutig beantworten – auch, weil die Mutationen so vielfältig und breit über das Genom von SARS-CoV-2 verteilt sind. „Mutationen als solche sind nichts Schlechtes und bisher können wir nicht sagen, ob SARS-CoV-2 dadurch mehr oder weniger ansteckend oder tödlich wird“, sagt Francois Balloux vom University College London.

Spike-Protein
3D-Struktur des Spike-Proteins vom Coronairus SARS-CoV-2.© Jason McLellan/Univ. of Texas at Austin

Er und sein Team haben auf Basis von gut 7.500 in GISAID gesammelten Gensequenzen des Coronavirus 198 verschiedene Mutationen identifiziert. Diese sind in vielen Fällen mehrfach und unabhängig voneinander aufgetreten, wie die Forscher berichten. Auffallend jedoch: Die Mutationen sind nicht gleichmäßig über das Virengenom verteilt. Den Analysen zufolge sind die Bauanleitungen von drei Proteinen und dem für die Bindung an die Wirtszellen wichtigen Spike-Protein von SARS-CoV-2 besonders häufig verändert.

Bedenkliche Veränderung am Spike-Protein

Vor allem die Veränderungen am Spike-Protein könnten darauf hindeuten, dass sich das Virus immer besser an den Menschen anpasst – es optimiert seine Bindungsstelle, um noch effektiver in die Zellen eindringen zu können. Erste Indizien dafür haben Bette Korber vom Los Alamos Laboratory gefunden. Unter den 14 Mutationen im Spike-Protein identifizierten sie eine, D614G, die möglicherweise die Vermehrung und Übertragung des Virus erleichtert.

„Wann immer diese Mutation eine Population erreichte, nahm ihre Häufigkeit rapide zu und in vielen Fällen wurde sie in nur wenigen Wochen die dominante Form“, berichten Korber und ihr Team. Das erste Coronavirus mit der D614G-Mutatation wurde Ende Januar in Deutschland nachgewiesen, Anfang April war es bereits die häufigste in europäischen Virenproben gefundene Variante.

Doch was macht diese Mutation? Wie Korber und ihr Team feststellten, scheint D614G die Vermehrung der Viren zu begünstigen – Patienten mit diesem Typ hatten im Schnitt eine höhere Virenlast, wie Untersuchungen im englischen Sheffield ergaben. Allerdings: Hinweise auf einen schwereren Verlauf gab es bei diesen Patienten nicht. Weil diese Mutation aber einen für Antikörper wichtigen Teil des Bindungsproteins verändert, könnte es sein, dass sie die Immunabwehr behindert, so die Forscher.

Genverlust
Aus dem ORF7a-Gen von SARS-CoV-2 sind ein ganzer Abschnitt verschwunden. Es fehlt der Code für 27 Aminosäuren. © Efrem Lim/ ASU Biodesign Institute

RNA-Verlust als Indiz für Abschwächung?

Doch es gibt auch Mutationen, die auf eine Abschwächung des Virus hindeuten. In den USA scheint SARS-CoV-2 einen ganzen Abschnitt seines Genoms auf einmal verloren zu haben, wie Forscher der Arizona State University feststellten. In Virenisolaten aus 382 Patienten fehlten 81 RNA-Basen aus der Bauanleitung für das virale Protein ORF7a. Dieses hilft dem Coronavirus normalerweise dabei, die befallene Zelle abzutöten. Durch die Mutation fehlen diesem Protein jedoch 27 Aminosäuren.

Das könnte bedeuten, dass diese Mutation das Coronavirus weniger aggressiv macht: „Diese Mutation ist so interessant, weil sie eine sehr ähnliche Löschung widerspiegelt, die 2003 im Genom von SARS-CoV aufgetreten ist“, erklärt Studienleiter Efrem Lim. Dieser Vorgänger des aktuellen Coronavirus hatte gegen Ende der SARS-Pandemie erste Anzeichen einer abnehmenden Aggressivität gezeigt.

Nach Ansicht der Forscher könnte der Verlust der 81 RNA-Basen bei SARS-CoV-2 ebenfalls auf eine abnehmende Pathogenität hindeuten. Dies ist auch deshalb wahrscheinlich, weil viele neu auftretende Viruserkrankungen im Laufe der Zeit zwar ansteckender, aber dafür harmloser werden. Denn für das dauerhafte Überleben eines Virus ist es eher ungünstig, wenn es seine Wirte zu schnell tötet oder zu krank macht – im Extremfall stirbt sein Wirt, bevor er andere anstecken kann. Auch das neue Coronavirus könnte daher im Laufe der Zeit an Aggressivität verlieren.

Konsequenzen für Impfstoffe

Es gibt allerdings noch eine wichtige Folge der Mutationen von SARS-CoV-2: Passieren sie am falschen Ort, könnten sie künftige Impfstoffe gegen das Virus unwirksam machen. Denn die meisten zurzeit erprobten Kandidaten für eine Vakzine nutzen Teile des Spike-Proteins oder seine genetische Bauanleitung als Grundlage. Das Immunsystem bildet daraufhin Antikörper, die an diesen Strukturen ansetzen und das Virus blockieren.

Wenn nun aber eine Mutation genau diese Erkennungs-Strukturen verändert, passen die Antikörper nicht mehr und die Immunreaktion geht ins Leere. „Um das zu verhindern, müssen wir unsere Impfstoff-Suche auf die Teile des Virus konzentrieren, die weniger wahrscheinlich mutieren werden – das erhöht die Chance, dass unsere Wirkstoffe auch auf lange Sicht effektiv sind“, erklärt Balloux. (Proceedings of the National Academy of Sciences, doi: 10.1073/pnas.2004999117; Infection, Genetics and Evolution, doi: 10.1016/j.meegid.2020.104351; bioRxiV, doi: 10.1101/2020.04.29.069054; Journal of Virology, doi: 10.1128/JVI.00711-20)

Quelle: MedRxiv, BioRxiv, University College London, Arizona State University

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