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Genetik

Wie mutierte „Genschalter“ zu Extra-Fingern führen können

Veränderungen in der Genregulation können die körperliche Entwicklung stören

Angefärbte Knochen einer normalen Mäusehand und einer mit sechs Fingern
Änderungen einzelner Basen im Genom einer Maus führten zur Bildung eines zusätzlichen Fingers (rechts). © Fabian Lim und Genevieve Ryan, Farley Lab, UC San Diego

Störungen im Schaltplan: Forscher haben eine Schwachstelle in unserem Genom entdeckt, die zu Entwicklungsstörungen wie zusätzlichen Fingern und Herzerkrankungen führen kann. Demnach können einzelne Mutationen in bestimmten DNA-Abschnitten, den Enhancern, die Anweisungen für die Genexpression verändern, wie die Forschenden in „Nature“ berichten. In der Folge werden die falschen Proteine hergestellt und dadurch die körperliche Entwicklung gestört.

Unser Genom enthält präzise Anweisungen, wie unser Körper wachsen und sich entwickeln soll. Dabei steuern Millionen genomischer Schalter, sogenannte Enhancer, welche Gene zu welchem Zeitpunkt und in welchem Körperteil aktiv sein sollen. Das sorgt wiederum dafür, dass im Laufe unseres Lebens die richtigen Proteine zur richtigen Zeit in den richtigen Zellen hergestellt werden.

Wenn diese Schalter verändert oder defekt sind, kann es zu Entwicklungsstörungen und Krankheiten kommen. Tatsächlich gehen die meisten genetisch bedingten Erkrankungen auf Mutationen und Veränderungen in diesen Enhancern zurück, wie frühere Studien belegen. Doch nicht alle Enhancer-Varianten sind automatisch schädlich, manche Mutationen haben auch keine Auswirkungen. Die relevanten von den irrelevanten Veränderungen zu unterscheiden, war für Forschende jedoch bislang wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen.

Wie funktionieren die genomischen Schalter?

Eine Forschungsgruppe um Fabian Lim von der University of California in San Diego hat nun genauer untersucht, wie die Enhancer funktionieren. Dafür analysierten die Forschenden insbesondere den Enhancer namens ZRS, der bekanntermaßen bei Menschen und Mäusen mit zusätzlichen Gliedmaßen in Zusammenhang steht.

Die Biomediziner untersuchten in Mausmodellen und verschiedenen In-vitro-Experimenten zunächst, welches Gen der Enhancer ZRS aktiviert und über welchen molekularen Mechanismus dies geschieht. Anschließend verglichen die Biomediziner, wie sich dieser Mechanismus verändert, wenn sich im DNA-Abschnitt des Enhancers verschiedene Punktmutationen befinden.

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Intensität der Bindung ist entscheidend

Dabei zeigte sich, dass der genetische Schalter ZRS die Expression des Gens Shh aktiviert, indem er bestimmte Proteine, sogenannte Transkriptionsfaktoren, bindet – überraschenderweise jedoch nur äußerst schwach. Dasselbe Prinzip fanden Lim und seine Kollegen in Folgeversuchen auch bei anderen Enhancern und deren Transkriptionsfaktoren. Durch die schwache Bindung können die Enhancer in der Regel fein justieren, welches Gen an welchem Ort, zu welcher Zeit und in welchem Ausmaß aktiv sein soll, schließen die Forschenden.

Trat innerhalb des Genomabschnitts des ZRS-Enhancers jedoch eine Punktmutation auf, durch die ein Basenpaar ausgetauscht wurde, konnten sich die Transkriptionsfaktoren in einigen der untersuchten Fälle stärker an den Enhancer binden. Auch dieser Effekt ist auf andere Enhancer übertragbar, wie Folgeversuche zeigten. In allen Fällen ging durch die stärkere Bindung zum Transkriptionsfaktor die Feinjustierung der Genregulation verloren, wie Lim und seine Kollegen berichten. Dadurch kam es zu mehr oder weniger dramatischen Entwicklungsstörungen – beim ZRS-Enhancer beispielsweise zu ein oder zwei zusätzlichen Fingern.

Gezielte Suche nach mutierten Enhancern möglich

„Unsere Studie verdeutlicht eine zentrale Schwachstelle in unserem Genom: Einzelne Basenpaaränderungen, die dazu führen, dass Transkriptionsfaktoren noch etwas stärker an einen Enhancer binden, können zu Entwicklungsstörungen führen“, sagt Seniorautorin Emma Farley von der University of California in San Diego. Mutationen in Enhancern, die zu einer schwächeren Bindung der Transkriptionsfaktoren führten, hatten hingegen keine Entwicklungsstörungen zur Folge.

„Indem wir gezielt nach solchen DNA-Basenpaarveränderungen in Enhancern suchen, die zu einer stärkeren Bindung der Transkriptionsfaktoren führen, können wir nun deutlich schneller gesundheitsrelevante Enhancer-Varianten finden“, ergänzt sie. Dafür haben die Forschenden einen speziellen Test entwickelt, mit dem solche Mutationen schneller zu finden sind.

Aufnahme einer Seescheide mit zwei Herzen
Die Forscher mutierten einen Enhancer-Abschnitt im Genom einer Seescheide, was dazu führte, dass der Organismus zwei Herzen entwickelte (rot hervorgehoben). © Alexis Bantle und Granton Jindal, Farley Lab, UC San Diego

Folgen von schädlichen Mutationen vorhersagbar

Mithilfe dieses Tests haben die Biomediziner bereits verschiedene Genome und Enhancer-Varianten verglichen. Basierend auf den Erkenntnissen können sie nun detailliert vorhersagen, welche Enhancer-Mutationen zu Veränderungen in der Genexpression führen würden und welche Folgen dies für die körperliche Entwicklung hätte. Das gilt nicht nur für Veränderungen an Gliedmaßen und nicht nur beim Menschen. So haben Lim und seine Kollegen in einer zweiten Studie beispielsweise herausgefunden, dass Seescheiden ein zweites Herz entwickeln, wenn bestimmte Enhancer für die Herzentwicklung mutiert sind.

Das Wissen um die Funktionsweise genomischer Schalter eröffnet nun auch neue Chancen für die personalisierte Medizin, so die Forschenden. „Die Nutzung dieses Wissens wird es uns ermöglichen, besser vorherzusagen, welche Enhancer-Varianten einer Krankheit zugrunde liegen“, sagt Farley. (Nature, 2024; doi: 10.1038/s41586-023-06922-8)

Quelle: University of California in San Diego

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