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Medizin

Verlorenes Y-Chromosom macht Krebs aggressiver

Zusammenhang zwischen Tumorwachstum, Geschlechtschromosom und Immunabwehr

Y-Chromosom
Das Y-Chromosom spielt für die Gesundheit von Männern eine größere Rolle als lange angenommen. © vchal/ Getty images

Folgenreicher Verlust: In manchen Krebstumoren von Männern verschwinden die Y-Chromosomen – mit erheblichen Folgen, wie nun Forschende am Beispiel des Blasenkrebses herausgefunden haben. Demnach hemmen die Y-negativen Krebstumore wichtige Abwehrzellen des Immunsystems und wachsen dadurch aggressiver. Auch die Überlebenschance der betroffenen Männer sinkt, wie das Team in „Nature“ berichtet. Die gute Nachricht jedoch: Eine Immuntherapie könnte bei solchen Y-negativen Krebstumoren besonders effektiv wirken.

Das Y-Chromosom der Männer ist ziemlich verkümmert: Es hat fast 90 Prozent seiner Gensubstanz verloren und ist nur noch ein Drittel so groß wie sein weibliches Gegenstück. Gängiger Annahme nach regelt es fast nur noch die Spermienproduktion und Geschlechtsentwicklung, die restlichen Funktionen sind weitgehend ungeklärt. Dazu schien zu passen, dass viele Zellen älterer Männer ihre Y-Chromosomen ganz verlieren – augenscheinlich ohne schwerwiegende Folgen.

Doch im Jahr 2022 wies eine Studie nach, dass genau dieser altersbedingte Y-Verlust das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Alzheimer und anderen altersbedingte Leiden erhöht. Das genarme, kleine Y-Chromosom spielt demnach auch jenseits der Fortpflanzung eine Rolle für die Gesundheit.

Wenn Krebszellen ihre Y-Chromosomen verlieren

Dies gilt auch für Krebs, wie nun Forschende um Hany Abdel-Hafiz vom Cedars–Sinai Medical Center in Los Angeles herausgefunden haben. Sie haben untersucht, welche Folgen der Verlust des Y-Chromosoms in Krebszellen hat. „Ein solcher Verlust wurde bereits in mehreren Tumorarten beobachtet, darunter auch bei 10 bis 40 Prozent der Blasenkrebsfälle“, erklärt das Team. „Die klinische und biologische Bedeutung dieses Phänomens ist jedoch unbekannt.“

Für ihre Studie entwickelten die Wissenschaftler zunächst ein Verfahren, mit dem sie den Grad des Y-Chromosomenverlusts in Gewebeproben von mehr als 1.100 männlichen Blasenkrebspatienten ermitteln konnten. Dafür glichen sie die an der RNA erkennbare Aktivität von 18 Genen des Y-Chromosoms mit Referenzwerten gesunder, intakter Zellen ab. Dann untersuchten sie, ob sich der Verlauf der Krebserkrankung und das Überleben bei Patienten mit und ohne Y-Chromosomenverlust unterschied.

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Das Ergebnis: Bei Krebspatienten mit Y-Chromosomenverlust in ihren Blasenkrebszellen verlief die Krebserkrankung meist schwerer und ihre Überlebenschance war geringer. Ähnliches zeigten vorläufige Vergleichsdaten für zwölf weitere Krebsarten.

Schnelleres Tumorwachstum, geringere Überlebenschance

Um herauszufinden, welche biologischen Mechanismen dahinterstehen, führten Abdel-Hafiz und sein Team Versuche mit Mäusen durch. Dafür züchteten sie zunächst Blasenkrebs-Zelllinien und entfernten bei einem Teil der Krebszellen die Y-Chromosomen mithilfe der Genschere CRISPR/Cas9. Diese Y-positiven und Y-negativen Krebszellen injizierten sie anschließend Mäusen, um das Wachstum der Tumore beobachten zu können.

„Wir stellten fest, dass die Y-negativen Tumore eine rund zweifach höhere Wachstumsrate aufwiesen als die Y-positiven Tumore“, berichten die Forscher. Als sie dieses Experiment jedoch mit Mäusen ohne funktionierendes Immunsystem wiederholten, gab es diese Unterschiede nicht: Krebstumore mit und ohne Y-Chromosom wuchsen gleich schnell. „Die Tatsache, dass wir die unterschiedliche Wachstumsrate nur dann gesehen haben, wenn das Immunsystem mit im Spiel war, war ein wichtiger Schlüssel „, erklärt Seniorautor Dan Theodorescu vom Cedars–Sinai Medical Center.

T-Zellen greifen Krebszellen an
Die T-Zellen des Immunsystems (weiß) erkennen Krebszellen und greifen sie an. Doch Y-negative Krebstumore bremsen sie aus. © wildpixel/ Getty images

Y-Verlust beeinträchtigt Immunabwehr

Nähere Analysen enthüllten, dass das rasantere Wachstum der Tumore ohne Y-Chromosom eng mit ihrer Wirkung auf die T-Zellen des Immunsystems verknüpft ist. Normalerweise verfügen diese Zellen über die Fähigkeit, krankhaft veränderte Zellen zu erkennen und gezielt anzugreifen. Doch in den Y-negativen Tumoren der Mäuse waren zwar reichlich T-Zellen vorhanden, ein Großteil von ihnen war jedoch inaktiv und nicht imstande, die Krebszellen abzutöten. „Unsere Daten stützen die Annahme, dass der Verlust der Y-Chromosomen die Mikroumgebung des Tumors verändert und die CD8+-T-Zellen vorzeitig erschöpft“, berichtet das Team.

„Dies ist das erste Mal, dass eine solche Verbindung zwischen dem Verlust des Y-Chromosoms und der Reaktion des Immunsystems auf Krebs nachgewiesen wurde“, sagt Theodorescu. Die Forschenden vermuten, dass sich der Verlust des Y-Chromosoms bei den Krebszellen als Anpassung entwickelt hat. Die Beseitigung des Chromosoms erleichtert es ihnen, den Angriffen des Immunsystems zu entgehen. Auf welchem Wege und warum die Krebszellen die T-Zellen beeinträchtigen, ist allerdings noch nicht geklärt.

Immuntherapie wirkt

Doch es gibt auch gute Nachrichten: Die Y-negativen Krebszellen können zwar die T-Zellen außer Gefecht setzen – dieser Effekt lässt sich aber durch eine Immuntherapie zumindest in Teilen rückgängig machen. Bei dieser schon an einigen Krebsarten erprobten Immuntherapie mittels Checkpoint-Inhibitoren werden spezielle Antikörper verabreicht, die an hemmenden Rezeptoren auf der Oberfläche der T-Zellen andocken. Dadurch lösen sie die „Bremse“ dieser Immunzellen und machen sie wieder aktiv.

In der Studie schlug diese Therapie bei Mäusen mit Y-negativen Tumoren deutlich besser an als bei Mäusen mit intakten Y-Chromosomen in ihren Krebszellen, wie Abdel-Hafiz und sein Team berichten. Ähnliches konnten sie auch bei Blasenkrebs-Patienten feststellen, die im Rahmen einer klinischen Studie mit Checkpoint-Inhibitoren behandelt worden waren. Ihrer Ansicht nach eröffnet dies neue Perspektiven für die gezielte Bekämpfung aggressiver, schellwachsender Krebstumore. (Nature, 2023; doi: 10.1038/s41586-023-06234-x)

Quelle: Cedars-Sinai Medical Center

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