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Medizin

Kommt die „Pille“ für den Mann?

Neuer Ansatz für Verhütung bei Männern entdeckt

Spermien
Der Wirkstoff blockiert die Spermienproduktion. © rez-art / GettyImages

Pille statt Kondom: Forschende haben einen Wirkstoff gefunden, der bei Mäusen die Spermienproduktion effektiv, aber reversibel hemmt. Dies könnte die medikamentöse Verhütung für den Mann ermöglichen. Das Mittel bindet an einen bestimmten Genschalter in den Hoden und ist nicht hormonell. Die Libido und Fruchtbarkeit sind daher nicht beeinträchtigt. Der Schalter ist damit ein vielversprechender Ansatzpunkt, um eine nebenwirkungsarme „Pille“ für den Mann zu entwickeln, so das Team.

Frauen haben heutzutage zahlreiche Verhütungsmöglichkeiten. Die zuverlässigsten Methoden wie die Pille, Spritze und Spirale basieren jedoch auf Hormonen und haben mitunter drastische Nebenwirkungen. Für Männer sind die Möglichkeiten der Familienplanung noch beschränkter: Sie haben vor allem die Wahl zwischen Kondomen, die in der Anwendung eher unzuverlässig sind, und operativen Vasektomien, die meist nicht rückgängig gemacht werden können. Eine „Pille für den Mann“ gibt es trotz zahlreicher Entwicklungsansätze bis heute nicht – wegen einer unzureichenden Wirkung oder hormonellen Nebenwirkungen.

Großer Protein-Komplex im Fokus

Eine Forschungsgruppe um Suk-Hyun Hong vom Salk Institute for Biological Studies in Kalifornien hat nun einen anderen, nicht-hormonellen Ansatz getestet. Dafür untersuchten die Forschenden einen bestimmten Proteinkomplex, zu dem der Retinsäurerezeptor (RAR), der Silencing Mediator für Retinoid- und Schilddrüsenhormonrezeptoren (SMRT) sowie Histon-Deacetylasen (HDACs) gehören. Vom RAR-Rezeptor ist bekannt, dass er zur Reifung von Spermien-Stammzellen beiträgt. Ihn auszuschalten, hat in einer früheren Studie bereits vielversprechende Ergebnisse erzielt.

Das Team um Hong wollte nun herausfinden, welche Rolle der SMRT-Mediator in diesem Komplex bei der Spermienproduktion genau spielt und ob er möglicherweise ein ebenso guter oder noch besserer Angriffspunkt wäre. Dies testeten die Wissenschaftler mit gentechnisch veränderten Mäusemännchen, deren SMRT-Proteine nicht mehr an den RAR-Rezeptor binden können. Bei diesen Tieren beobachteten sie die Spermienreifung in den Nebenhoden.

Spermienreifung in Nebenhodenkanälchen
Querschnitte der Nebenhodenkanälchen zeigen die typische Spermienreifung bei unbehandelten Mäusen (oben links). Nach der Behandlung mit einem Medikament, das die Aktivität des RAR-SMRT-Genrepressorkomplexes blockiert, fehlen reifende Spermien im Nebenhoden (oben rechts). Nach 60 Tagen ohne das Medikament beginnen die Spermien in den Nebenhodenkanälchen (unten rechts) wieder zu reifen, die den gleichaltrigen Kontrollmäusen (unten links) ähneln. © Suk-Hyun Hong

Defekter Komplex blockiert die Spermienproduktion

Die Experimente ergaben, dass die Mäusemännchen ohne intakten RAR-SMRT-Komplex tatsächlich keine reifen Spermien mehr produzierten. Ihr Sexualverhalten änderte sich dadurch jedoch nicht und auch die Spermien-Stammzellen der Tiere waren nicht beeinträchtigt, wie Hong und seine Kollegen berichten. Dies spricht dafür, dass weder die generelle Fruchtbarkeit noch die Libido durch diese Blockade betroffen sind.

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Auf zellulärer Ebene stellten die Forschenden fest, dass einige Gene, die in den Samenkanälen normalerweise nur periodisch aktiv sind, bei den Versuchsmäusen chronisch aktiviert waren. Hong und seine Kollegen schließen daraus auf einen zyklischen Mechanismus: Damit sich im Körper von männlichen Säugetieren aus Stammzellen reife Spermien bilden, werden spezifische Gene durch den RAR-SMRT-Proteinkomplex abwechselnd aktiviert und unterdrückt.

Im „ausgeschalteten“ Zustand unterdrückt dieser Komplex viele der für die Spermienproduktion relevanten Gene. Bindet jedoch Retinoidsäure an den Genschalter, löst sich der RAR-SMRT-Komplex auf und die Zielgene können in Proteine übersetzt werden. Die Kombination aus Retinoidsäure und dem SMRT-RAR-Komplex spielt demnach eine Schlüsselrolle bei der Spermienreifung und -produktion in den Hoden.

Medikament ermöglicht reversible Hemmung

Doch ist diese Hemmung der Spermienreifung auch reversibel? Und gibt es einen Wirkstoff, der dies bewerkstelligt? Das zeigte sich, als die Forschenden unveränderten Mäusmännchen ein Medikament aus der Klasse der Histon-Deacetylase-Inhibitoren (MS-275) verabreichten, das in den RAR-SMRT-Komplex eingreift: Die Spermienproduktion der Tiere wurde effektiv blockiert und sie bekamen keinen Nachwuchs. Ihre Libido war jedoch nicht beeinträchtigt. 60 Tage nach Absetzen des Wirkstoffs setzte die normale Spermienproduktion und Fruchtbarkeit der Tiere wieder ein.

Das Spannende daran: Damit kann dieser Schalter durch ein oral eingenommenes Medikament außer Gefecht gesetzt werden. Das ermöglicht die einfachere Verabreichung als Tablette, statt als Spritze oder Gel wie in früheren Ansätzen, die sich nicht durchgesetzt haben. Zudem ist der Wirkstoff MS-275 kein Hormon und greift daher nicht in den Stoffwechsel des Körpers ein. Darüber hinaus ist die Wirkung zeitlich begrenzt und damit umkehrbar, ohne die Stammzellen dauerhaft zu schädigen.

Wöchentliche Verhütungs-Pille für den Mann denkbar

„Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass der RAR-SMRT-Komplex ein brauchbares Ziel für die reversible, nicht-hormonelle Empfängnisverhütung für Männer sein könnte“, schreiben die Wissenschaftler. Mit anderen Worten: Der Genschalter ist ein guter Ansatzpunkt für eine „Pille für den Mann“, die wahrscheinlich weniger Nebenwirkungen hat als bisherige Ansätze.

„Angesichts der langen Halbwertszeit von MS-275 beim Menschen ist sogar die Einnahme einer Verhütungspille einmal pro Woche statt wie sonst täglich möglich“, heißt es in der Studie. Bis ein solcher Wirkstoff auf den Markt kommen kann, sind jedoch noch Folgeexperimente und klinische Studien nötig. (Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), 2024; doi: 10.1073/pnas.2320129121)

Quelle: Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS)

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