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Medizin

Hirsche sind Reservoir für alte Corona-Varianten

Weißwedelhirsche tragen mehrere mutierte Varianten SARS-CoV-2 in sich

Weißwedelhirsch
Die in Nordamerika häufigen Weißwedelhirsche sind ein Reservoir für verschiedene Varianten des Pandemieerreger SARS-CoV-2. © EEI Tony; Koto_feja/ Getty images

Tierisches Sammelbecken: Viele Weißwedelhirsche in den USA tragen das Coronavirus SARS-CoV-2 in sich, wie eine Studie enthüllt. 30 bis 40 Prozent der Tiere haben sich im Laufe der Pandemie beim Menschen angesteckt und bilden nun ein Reservoir für frühere Varianten des Pandemieerregers wie Alpha, Delta und Gamma. Schon jetzt sind viele dieser Virusvarianten allerdings durch Mutationen verändert. Ob dies ihre Infektiosität für Menschen verringert oder zu neuen humanpathogenen Formen von SARS-CoV-2 führt, ist noch unklar.

Das Coronavirus SARS-CoV-2 wurde höchstwahrscheinlich durch einen Artsprung vom Tier zum Menschen zum Pandemieerreger. Als potenzielle Überträger gelten vor allem Fledermäuse und Schuppentiere, die zahlreiche sehr ähnliche Coronaviren beherbergen. Doch schon länger ist bekannt, dass auch der umgekehrte Ansteckungsweg existiert: Viele Säugetiere können sich bei uns Menschen mit SARS-CoV-2 anstecken, darunter Menschenaffen, Katzen, Nerze, Frettchen und Paarhufer wie Rentiere und einige Hirscharten.

Virusvarianten
Bei Hirschen und Menschen nachgewiesene Coronavirus-Varianten. © Caserta et al./ PNAS, CC-by-nc-nd 3.0

Virenfahndung bei Weißwedelhirschen

Zu den besonders anfälligen Wildtieren gehören die in Nordamerika heimischen Weißwedelhirsche (Odocoileus virginianus). Sie können sich über Wildtierfutter oder direkten Kontakt mit dem Menschen infizieren und das Virus dann untereinander weitergeben. Schätzungen zufolge liegt die Durchseuchung der Hirschpopulationen in den USA inzwischen bei bis zu 40 Prozent. Unklar war aber bisher, welche Virenvarianten in den Hirschen kursieren, wie sie sich in den Tieren entwickeln und ob eine Gefahr der Rückübertragung auf den Menschen besteht.

Um mehr Klarheit zu schaffen, hat dies nun ein Team um Leonardo Caserta von der Cornell University am Beispiel der Weißwedelhirsche im US-Bundesstaat New York untersucht. Für ihre Studie werteten die Forschenden mehr als 5.400 Gewebeproben aus, die von 2020 bis 2022 bei der Jagd erlegten Weißwedelhirschen entnommen wurden. Sie analysierten, wie viele und welche RNA-Sequenzen von SARS-CoV-2 in diesen Hirschen zu finden waren.

Pandemieerreger in verschiedensten Varianten

Das Ergebnis: Bis zu 20 Prozent der in diesem Gebiet beprobten Hirsche trugen das Coronavirus in sich. Dabei waren verschiedenste Varianten des Pandemieerregers vertreten – auch einige bei uns Menschen längst verschwundenen Virusformen. „Eines der erstaunlichsten Resultate war der Nachweis einer Co-Zirkulation der drei Variants of Concern Alpha, Gamma und Delta in der Hirschpopulation“, berichtet Seniorautor Diego Diel von der Cornell University.

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Insgesamt konnte das Team neun verschiedene, während der Pandemie bei uns Menschen aufgetretene Varianten von SARS-CoV-2 bei den Hirschen nachweisen. Das Interessante jedoch: „Die Alpha-Variante wurde zu einer Zeit bei den Weißwedelhirschen nachgewiesen, als diese Virusvariante schon lange nicht mehr bei Menschen in diesem Bundestaat zirkulierte“, berichten die Forschenden. Ähnliches galt für die Gamma- und Delta-Variante des Coronavirus.

Neues Tier-Reservoir für SARS-CoV-2

Nach Ansicht der Wissenschaftler spricht dies dafür, dass sich SARS-CoV-2 nachhaltig in den Hirschen etabliert hat und diese nun als Reservoirwirt für das Coronavirus dienen. „Ein Virus, das in Asien von einem tierischen Reservoirwirt zum Menschen übergesprungen ist, hat damit nun ein neues Reservoir in nordamerikanischen Wildtieren gefunden“, sagt Diel. Dabei können sich offenbar auch bei uns Menschen längst verdrängte und „ausgestorbene“ Virusvarianten in den Hirschen weiterhin halten.

„Das unterstreicht das Potenzial der Weißwedelhirsche als Reservoir für nahezu ausgestorbene SARS-CoV-2-Varianten“, erklären die Forschenden. „Es ist daher extrem wichtig, die Hirschpopulationen weiter genau zu überwachen.“ Unklar ist zudem, ob die Hirsche auch andere Wildtiere mit dem Coronavirus anstecken können und wie dann bei diesen die Durchseuchung aussieht.

Coronavirus ist weiter mutiert

Allerdings ist das Coronavirus in seinem neuen Tierreservoir nicht unverändert geblieben: Wie die Analysen viraler RNA enthüllten, hat SARS-CoV-2 in den Hirschen zahlreiche neue Mutationen akquiriert. „Die viralen Sequenzen aus den Hirschen unterscheiden sich inzwischen von den RNA-Sequenzen der aus Menschen isolierten SARS-CoV-2-Stämme“, berichtet das Team. „Einige Varianten haben mehr als 70 neue Mutationen in ihrem Genom angesammelt.“

In allen drei Hauptvarianten, Alpha, Gamma, und Delta, gab es dabei Mutationen an der Rezeptorbindestelle, aber auch an anderen für die Übertragbarkeit und Infektion wichtigen Proteinstrukturen. Diese Mutationen deuten darauf hin, dass sich die Coronaviren mit der Zeit besser an ihre neuen Wirte, die Hirsche, angepasst haben. Ob dies die Übertragbarkeit dieser Varianten von SARS-CoV-2 zwischen den Hirschen erhöht und was dies für die Rückübertragung auf den Menschen bedeutet, ist aber noch unbekannt.

„Es ist daher sehr wichtig, das Virus in diesen Tierpopulationen weiter zu überwachen“, sagt Diel. „Nur so können wir Veränderungen erkennen, die eine Rückübertragung auf den Menschen oder eine Ausbreitung auf andere Wildtiere begünstigen.“ (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2023; doi: 10.1073/pnas.2215067120)

Quelle: Cornell University

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