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Astronomie

Kosmos: Materieverteilung passt nicht zur Theorie

Normale und Dunkle Materie sind homogener verteilt als das kosmologische Modell vorgibt

Teleskope
Eine neue Kartierung der kosmischen Materieverteilung zeigt erneut Abweichungen zum gängigen kosmologischen Modell. © Andreas Papadopoulos

Hartnäckige Diskrepanzen: Astronomen haben Daten von zwei verschiedenen Messmethoden kombiniert, um die bisher genaueste Karte der kosmischen Materieverteilung zu erstellen. Diese enthüllt erneut Diskrepanzen zum gängigen kosmologischen Modell. Demnach ist die normale und Dunkle Materie heute weniger „klumpig“, als sie es aufgrund der bekannten physikalischen Entwicklungsprozesse sein müsste, wie das Team berichtet. Das könnte auf eine Lücke im Standardmodell hindeuten.

Die Materieverteilung im Kosmos ist heute durch großräumige Strukturen wie Galaxienhaufen, gigantische „Voids“ und langgestreckte Filamente geprägt. Astronomen vermuten, dass diese Großstrukturen aus Fluktuationen von Strahlung und Materie in der Anfangszeit des Universums entstanden. Diese Dichteschwankungen wurden dann durch die kosmische Expansion verstärkt und erzeugten die heutige Materieverteilung – so die Theorie.

Doch in den letzten Jahren haben Kartierungen immer wieder Diskrepanzen in der Materieverteilung entdeckt. Verglichen mit den Fluktuationen des frühen Kosmos – ablesbar an der kosmischen Hintergrundstrahlung – scheinen die normale und die Dunkle Materie heute zu homogen verteilt. Die Diskrepanzen zeigen sich unter anderem im sogenannten S8-Parameter. Dieser Scherungsfaktor gibt an, wie stark die Dichte der Materie bei einer bestimmten Durchschnittsdichte schwankt.

DES und SPT
Für die Kartierung wurden Daten zur Materieverteilung vom Dark Energy Survey (links) und vom South Pole Telescope kombiniert. © Yuuki Omori

Zwei Messmethoden kombiniert

Um auszuschließen, dass diese Diskrepanzen auf Eigenheiten bestimmter Teleskope und Messmethoden zurückgehen, haben sich nun Astronomen zusammengetan, um Daten von zwei großen Himmelsdurchmusterungen miteinander zu kombinieren. Die erste ist der Dark Energy Survey (DES), der mithilfe eines Teleskops in der Atacama-Wüste sechs Jahre lang den Himmel im optischen und Nahinfrarotbereich kartiert hat. Der zweite Datensatz stammt vom South Pole Telescope, einem Radioteleskop am Südpol.

Der Clou dabei: Die Daten beider Teleskope zeigen auf unterschiedliche Weise, wie die sichtbare und unsichtbare Materie im Kosmos verteilt ist. Der Dark Energy Survey untersucht dies mithilfe des schwachen Gravitationslinseneffekts, den Vordergrundobjekte auf das Licht ferner Galaxien haben. Das Radioteleskop am Südpol ermittelt hingegen, wie solche Gravitationslinsen die kosmische Hintergrundstrahlung verzerren. Auch dies verrät die Verteilung der Materie zu verschiedenen Zeiten.

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Die Wissenschaftler kombinierten die mit beiden Methoden erstellten Kartierungen nun erstmals zu einem Gesamtbild. „Diese Datenkombination ist wie eine Kreuzprobe. Die Messergebnisse sind viel robuster und genauer, als wenn man nur die eine oder die andere Methode nutzt“, erklärt Koautor Chihway Chang.

Diskrepanzen halten sich hartnäckig

Das Ergebnis ist die bisher genaueste Karte der kosmischen Materieverteilung. „Die gekoppelte Analyse der Korrelationen zwischen den Galaxienpositionen, dem Gravitationslinseneffekt auf Galaxien und dem Linseneffekt auf den kosmischen Mikrowellenhintergrund liefert uns starke Eckwerte für die großräumige Struktur des Universums“, konstatiert das Team um Yuuki Yomori von der University of Chicago.

Doch auch diese neue Kartierung bestätigt die Diskrepanzen: Für den S8-Parameter der heutigen Materieverteilung ermittelten die Astronomen einen Wert von 0,736 bis 0,74. Damit liegen sie im Bereich früherer Messungen dieser Art – und deutlich unter dem vom Planck-Satelliten gemessenen Wert für das frühe Universum. „Wir finden demnach weniger Fluktuationen in unserem heutigen Universum als wir aufgrund unseres kosmologischen Standardmodells vorhersagen würden“, erklärt Koautor Eric Baxter von der University of Hawaii.

Ist das kosmologische Modell unvollständig?

Mit anderen Worten: Im heutigen Universum sind normale und Dunkle Materie homogener verteilt als sie es nach dem gängigen kosmologischen Modell der kalten Dunklen Materie (ΛCDM) sein dürften. Wendet man dieses an, um die Entwicklung des Universums von den ersten Dichtefluktuationen bis heute zu rekonstruieren, ergeben sich deutlich heterogener verteilte Großstrukturen von normaler und Dunkler Materie.

Nach Ansicht der Wissenschaftler könnten diese hartnäckigen Abweichungen darauf hindeuten, dass das gängige kosmologische Modell unvollständig ist. Im Universum oder vielleicht auch nur in bestimmten Phasen seiner Entwicklung scheinen physikalische Einflüsse am Werk gewesen zu sein, die sich bisher nicht mit gängigen Prozessen und Kräften erklären lassen. Dies könnte dann auch erklären, warum es ähnliche Diskrepanzen bei der Rate der kosmischen Expansion gibt – dem Tempo, mit dem sich unser Universum ausdehnt. (Physical Review D, 2023; doi: 10.1103/PhysRevD.107.023529, doi: 10.1103/PhysRevD.107.023530, doi: 10.1103/PhysRevD.107.023531)

Quelle: University of Chicago

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