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Genetik

Erstes Pangenom des Menschen erstellt

Referenz-Erbgut spiegelt erstmals genetische Vielfalt des Menschen wider

Pangenom
Wissenschaftler haben erstmals ein Referenzgenom erstellt, das die genetischen Unterschiede und Gemeinsamkeiten von 47 Menschen auf einen Blick sichtbar macht. © GEtty aimges; Darryl Leja/ NHGRI

Meilenstein der Genetik: Ein internationales Forschungskonsortium hat erstmals ein sogenanntes Pangenom erstellt – ein Referenz-Erbgut, das genetische Gemeinsamkeiten und Unterschiede verschiedener Menschen und Populationen auf einen Blick sichtbar macht. Das aus den Einzelgenomen von 47 Menschen erstellte Pangenom spiegelt damit zum ersten Mal die genetische Diversität der menschlichen Spezies wider und deckt zudem Millionen Strukturvarianten mit potenziell medizinischer Bedeutung auf, wie die Wissenschaftler in „Nature“ berichten.

Seit der ersten Entschlüsselung des menschlichen Genoms im Jahr 2001 gilt das seither mehrfach ergänzte Referenzgenom des Humangenomprojekt als wichtigste Bezugsgröße für die genetische Forschung. Doch dieses offizielle Referenzgenom hat große Lücken, trennt nicht zwischen den von Vater und Mutter geerbten Chromosomenkopien und stammt zudem nur von einer Handvoll Menschen. Noch dazu ist es ein künstlich zusammengestelltes Mosaikgenom – es gibt wahrscheinlich keine einzige menschliche Zelle auf unserem Planeten, die genau diese DNA-Abfolge aufweist.

Erst im Jahr 2022 gelang es erstmals, das menschliche Erbgut vollständig und von einem Ende der Chromosomen zum anderen zu sequenzieren. Allerdings stammt das Erbmaterial für dieses neue Referenzgenom nur von einer einzigen Zelllinie und damit nur von einem einzigen Menschen. „Aber ein Genom ist nicht genug, um die menschliche Vielfalt zu repräsentieren“, sagt Benedict Paten von der University of California in Santa Cruz.

Ausschnitt aus dem Pangenom
Das Pangenom zeigt für jede Stelle im Erbgut, ob und wie sich die Sequenzen verschiedener Menschen unterscheiden. © Darryl Leja/ NHGRI

Gemeinsamkeiten und Unterschiede auf einen Blick

Jetzt hat sich dies geändert. Denn die Forschenden des Human Pangenome Reference Consortium (HPRC) haben erstmals ein sogenanntes Pangenom erstellt – eine Erbgut-Referenz, die auf 47 Einzelgenomen von Individuen verschiedenster Abstammung beruht. Das Pangenom zeigt erstmals für jeden Punkt entlang des Erbgutstrangs, wo sich die DNA-Sequenzen der verschiedenen Menschen gleichen oder aber voneinander abweichen.

Dort, wo alle Menschen die gleichen DNA-Abfolgen haben, ähnelt dieses Referenz-Pangenom einem einzigen Strang. An Stellen mit vielen individuellen Varianten fächert es sich dagegen in parallele Stränge mit abweichenden Sequenzen auf. So ist auf einen Blick zu erkennen, in welchen Genom-Regionen besonders viel oder wenig Vielfalt herrscht und wie sich das Erbgut je nach Mensch und Population unterscheidet. Insgesamt liegt die Genauigkeit des mithilfe mehrerer Methoden zusammengestellten Pangenoms nach Angaben des Konsortiums bei mehr als 99 Prozent und seine Vollständigkeit ebenfalls über 99 Prozent.

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Genauerer Blick auch auf elterliche Erbanteile

„Die früheren Genomstudien erzeugten den Eindruck, dass unser menschliches Erbgut ‚flach‘ und bei jedem Menschen sehr ähnlich sei, nur in einer Handvoll Punktmutationen voneinander abweichend“, sagt Erik Garrison vom Memphis College of Medicine. „Aber das menschliche Pangenom zeigt nun, dass jeder von uns ein wenig DNA in sich trägt, die ungewöhnlich oder sogar einzigartig ist.“

Das neue Pangenom umfasst zudem den gesamten diploiden Chromosomensatz und macht Unterschiede zwischen den Chromosomenkopien mit den väterlichen und mütterlichen Gensätzen sichtbar. Dies ist wichtig, um beispielsweise den Einfluss verschiedener von den Eltern geerbter Allele eines Gens zu erforschen. „Das Pangenom repräsentiert eine ganz neue Sichtweise der menschlichen genetischen Variation. Es hat das Potenzial, unser Bild der genetischen Vielfalt unserer Spezies zu transformieren“, sagt Evan Eichler von University of Washington in Seattle.

Millionen Strukturvarianten für die Medizin

Durch die genauere Aufschlüsselung der DNA-Sequenzen und ihrer Varianten ergänzt das Pangenom die bisherige Referenz um 1115 zuvor unerkannte Gen-Dopplungen und rund 90 Millionen Strukturvarianten – DNA-Abschnitte, die durch Sequenzwiederholungen, Einfügungen, fehlende Teile oder Umkehrungen von DNA-Abfolgen verändert sind. Damit erhöht sich die Zahl der bekannten Strukturvarianten um 104 Prozent. Viele dieser Varianten stehen im Verdacht, medizinische Effekte zu haben.

„Das Pangenom erlaubt vor allem die Untersuchung des Einflusses von strukturellen Varianten auf Merkmale und Erkrankungen, die bisher nicht in großen genomweiten Assoziationsstudien von sogenannten Volkskrankheiten berücksichtigt werden konnten. Man vermutet, dass noch wichtige Krankheitsfaktoren in diesen Teilen des Genoms ‚versteckt‘ sind. Das Pangenom eröffnet nun die Chance, Krankheiten und ihre genetischen Wurzeln besser zu erkennen und zu erforschen.

„Es wird damit einfacher, Sequenzabschnitte im Genom einer Person, die potenziell mit Krankheiten in Verbindung stehen, zu entdecken“, erklärt der nicht am Projekt beteiligte Siegfried Schloissnig vom Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie in Wien. „In vielen Individuen vorkommende Sequenzabschnitte können so ausgeschlossen werden. Alles, was noch nicht im Pangenom enthalten ist, stellt dann entweder die genomische Individualität einer Person dar oder könnte in Verbindung mit einer Krankheit stehen.“

Der Weg zum Pangenom.© NHGRI

Pangenom von 350 Menschen bis 2024

Doch dieser Meilenstein ist erst der Anfang: Das Human Pangenome Reference Consortium plant, die Genome von insgesamt 350 Menschen auf diese Weise zu sequenzieren und in das Pangenom einzufügen. Dabei sollen unter anderem mehr Personen aus dem Nahen Osten, aus Ozeanien und Afrika mit einbezogen werden. Schon im Jahr 2024 soll dann dieses neue, noch umfassendere Referenz-Erbgut fertig sein.

„Dies ist nicht das Ende eines Projekts, sondern der Anfang einer neuen Ära, in der die menschliche Diversität in vollerem Umfang in die biologischen, biomedizinischen und klinischen Wissenschaften integriert wird“, sagt Konsortiumsmitglied Ting Wang von der Washington University in St. Louis. „Die neue Genom-Referenz wird weiterwachsen, sich erweitern und optimiert werden, um die genetische Blaupause unserer Spezies zu zeigen.“ (Nature, 2023; doi: 10.1038/s41586-023-05896-x)

Quelle: Nature, NIH/National Human Genome Research Institute (NHGRI), University of California – Santa Cruz

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