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Genetik

Erster lückenloser Gencode des Menschen

DNA-Abfolge des menschlichen Genoms erstmals vollständig entschlüsselt

Genom
Zum ersten Mal ist der komplette, lückenlose DNA-Code des menschlichen Genoms bekannt. © ktsimage/ iStock.com

Meilenstein der Genetik: 21 Jahre nach der ersten Entschlüsselung des menschlichen Erbguts ist jetzt erstmals der gesamte DNA-Code des Menschen lückenlos sequenziert. Das neue Referenzgenom ergänzt die acht Prozent unseres Erbguts, die zuvor wegen zu vieler Code-Wiederholungen nicht sequenzierbar waren. Damit eröffnen sich neue Einblicke in die Genregulation, die genetische Variationsbreite und die Ursachen von Krankheiten, wie Wissenschaftler in gleich sechs Fachartikeln in „Science“ berichten.

Im Jahr 2001 gelang es dem Humangenomprojekt erstmals, das menschliche Erbgut zu entschlüsseln – ein Meilenstein der Medizin und Genetik. Doch dieses erste Referenzgenom war nicht vollständig – rund acht Prozent der DNA-Abfolge konnten nicht sequenziert werden. Dazu gehören vor allem Erbgutabschnitte an den Chromosomenenden und in den Centromeren, den zentralen Knotenpunkten der Chromosomen.

Chromosomen
Sequenzierungslücken gab es bisher vor allem im Zentrum der Chromosomen und an ihren Enden. © peterschreiber.media/ Getty images

Der Grund: Die DNA-Abfolgen in diesen Abschnitten bestehen aus vielen nahezu identischen Kopien und Wiederholungen. Die gängigen Sequenzierungsmethoden zerteilen das Erbgut aber in kurze, nur wenige hundert Basen lange Fragmente, die dann nachträglich wieder richtig zusammengesetzt werden müssen. Das aber ist unmöglich, wenn diese Fragmente nahezu identisch sind – ähnlich wie bei einem Puzzle aus lauter gleichfarbigen Teilen.

Ein neues Kapitel im Buch des Lebens

Doch das hat sich nun geändert: Dank der Fortschritte der Sequenzierungstechnik ist es dem Telomere-to-Telomere (T2T) Konsortium nun gelungen, die noch verbleibenden Lücken in unserem Genom zu schließen. Zum ersten Mal liegt nun ein Referenzgenom vor, das die gesamte DNA-Abfolge des menschlichen Erbguts von den Enden der Chromosomen bis zu ihrem Centromer vollständig aufgeschlüsselt zeigt.

„Damit sehen wir jetzt Kapitel im Buch des Lebens, die wir noch nie zuvor lesen konnten“, sagt Evan Eichler von University of Washington. Das T2T-CHM13 getaufte Referenzgenom enthüllt die Abfolge der rund 200 Millionen bisher nicht lesbaren Basen und ermöglicht damit den ersten Blick in die bisher „dunklen“ acht Prozent unseres Erbguts. Zudem korrigiert die neue Entschlüsselung tausende strukturelle Fehler im bisherigen Referenzerbgut.

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Zwei Methoden kombiniert

Möglich wurde dieser Durchbruch durch die Kombination zweier neuer Sequenzierungssysteme: Die sogenannte Oxford-Nanoporen-Sequenzierung kann bis zu eine Million Basen lange DNA-Abschnitte lesen, wenn auch nur mit mittlerer Genauigkeit. Dabei fädeln sich einzelne DNA-Moleküle durch eine enge Öffnung und das Gerät registriert subtile Spannungsänderungen, die je nach DNA-Base auftreten. Dieses System wurde 2020 genutzt, um erstmals das weibliche X-Chromosom lückenlos zu kartieren.

Die Wissenschaftler des T2T-Konsortiums haben dieses Verfahren mit einem zweiten kombiniert. Das System von Pacific Biosciences erstellt rund 20.000 Basen lange Abschnitte, kann diese aber mit 99-prozentiger Präzision auslesen. Dies ermöglichte es, alle noch fehlenden Abschnitte des menschlichen Genoms lückenlos und mit hoher Präzision zu dekodieren. Das für die Sequenzierung verwendete Erbgut stammte von einer menschlichen Zelllinie, bei der durch einen Zufall alle Schwesterchromosomen nur von einem Elternteil stammen. Dies erleichterte die Sequenzierung, wie das Team erklärt.

Neue Gene und Genvarianten

Die neue Sequenzierung eröffnet nun ganz neue Einblicke in den Bauplan des Lebens und in den Code, der uns zu Menschen macht. Unter den neu entschlüsselten DNA-Abschnitten haben die Forschenden schon jetzt 99 bisher unbekannte proteinkodierende Gene und fast 2.000 weitere Genkandidaten identifiziert. Auch viele zuvor unbekannte Genvarianten treten nun zutage.

„Das neue Referenzgenom ist unglaublich präzise bis auf die Ebene der Einzelbase hinunter und das erlaubt es uns, hunderttausende von Varianten aufzuspüren“, erklärt Karen Miga von der University of California in Santa Cruz. „Viele dieser neuen Varianten liegen in Genen, die bekanntermaßen zu Krankheiten beitragen.“ Sie zu kennen, eröffnet damit neue Chancen, die genetische Basis vieler Erkrankungen besser zu verstehen.

Erster Einblick in die Centromere

Ebenfalls bedeutsam sind die neuen Einblicke in die Struktur der Centromere, der Knotenpunkte, die die beiden Hälften der Chromosomen zusammenhalten. Sie spielen eine entscheidende Rolle bei der Meiose, der Reifeteilung, die diese Schwesterchromatiden trennt. „Wenn dieser Schritt der Meiose schiefläuft, kann es zu Chromosomen-Anomalien kommen, die Fehlgeburten oder genetisch bedingte Krankheiten verursachen“, erklärt Nicolas Altemose von der University of California in Berkeley. Auch Krebs kann die Folge einer solchen fehlregulierten Teilung sein.

Umso wichtiger ist es, den genetischen Code der Centromere und seine Varianten zu kennen, um die Ursachen solcher Anomalien identifizieren zu können. Genau dies ist nun dank des neuen T2T-Referenzgenoms möglich. „Vorher hatten wir nur ein extrem verschwommenes Bild dessen, was sich dort verbirgt. Aber jetzt ist es klar bis in die einzelne DNA-Base hinein“, so Altemose.

Die Arbeit geht weiter

„Die erste vollständige Entschlüsselung des menschlichen Erbguts ist ein bedeutsamer Meilenstein“, kommentiert Bob Waterston von der University of Washington, einer der Mitarbeiter am ursprünglichen Humangenomprojekt. „Wir hätten das liebend gern schon vor 20 Jahren gemacht, aber damals war die Technologie einfach noch nicht so weit.“

Doch die Arbeit des T2T-Konsortiums ist damit noch nicht beendet: Sie arbeiten bereits daran, nun auch ein Erbgut mit dem normalen, von beiden Elternteilen stammenden Chromosomensatz zu entschlüsseln. Außerdem wollen sie das Genom von Menschen aus verschiedenen Populationen mit ähnlicher Genauigkeit und Vollständigkeit sequenzieren – dies könnte neue Einblicke in die Gemeinsamkeiten, Unterschiede und die Evolution der verschiedenen Menschentypen liefern. (Science, 2022; doi: 10.1126/science.abp8653; doi: 10.1126/science.abj6987 und weitere)

Quelle: Johns Hopkins University, NIH/National Human Genome Research Institute, Howard Hughes Medical Institute, University of California Santa Cruz, University of California Berkeley

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