Anzeige
Astronomie

Schwarze Löcher als Neutrino-Schleudern?

Energiereichste Neutrinos könnten aus aktiven Galaxienkernen stammen

IceCube
IceCube-Detektor: Bisher ist die Herkunft der energiereichsten von ihm eingefangenen Neutrinos unklar – jetzt liefern Astronomen neue Hinweise. © IceCube Collaboration/ NSF

Astronomen könnten herausgefunden haben, wo die besonders energiereichen Neutrinos herkommen. Denn es gibt auffallende zeitliche und räumliche Übereinstimmungen solcher Neutrino-Signale mit Radioausbrüchen von aktiven Galaxienkernen, wie sie im „Astrophysical Journal“ berichten. Demnach könnten die Neutrinos direkt am supermassereiche Schwarzen Loch solcher Galaxien entstehen.

Neutrinos sind ebenso allgegenwärtig wie rätselhaft. Denn obwohl pro Sekunde Milliarden dieser Teilchen durch unseren Körper rasen, ist ihre Herkunft nur zum Teil bekannt. Zwar weiß man, dass in der Sonne, der Atmosphäre und bei vielen Zerfallsprozessen Neutrinos entstehen. Doch die Quelle der energiereichsten kosmischen Neutrinos mit hunderten bis tausenden Teraelektronenvolt (TeV) ist ungeklärt – einige Physiker vermuten in ihnen sogar Indizien für eine Physik jenseits des Standardmodells.

Das Problem: Gerade die besonders energiereichen Neutrinos werden von Detektoren wie dem antarktischen IceCube-Observatorium nur sehr selten eingefangen. Die im Detektor registrierten Teilchenspuren machen es zudem meist schwer, den genauen Herkunftsort am Himmel zu lokalisieren. Erst 2018 gelang es Astronomen, immerhin eines dieser energiereichen Neutrinos zu einem Blazar zurückzuverfolgen – einem Röntgen- und Gammastrahlung aussendenden supermassereichen Schwarzen Loch im Herzen immer Galaxie.

Fahndung mit Radioteleskopen

Doch war das nur ein Einzelfall? Oder stammen womöglich alle energiereichen Neutrinos aus solchen aktiven Galaxienkernen (AGN)? Das haben nun Alexander Plavin vom Moskauer Institut für Physik und Technologie (MIPT) und seine Kollegen untersucht. Für ihre Studie ermittelten sie mithilfe der IceCube-Daten die ungefähre Lage der Quelle für 56 Neutrinos mit mehr als 200 TeV Energie.

Diese Himmelspositionen und die Eintreffzeiten der Teilchen glichen sie dann mit Daten von Radioteleskopen ab, die mittels Very Long Baseline Interferometry (VLBI) zu einer virtuellen Antenne miteinander verkoppelt waren. Im Speziellen suchten die Astronomen nach Radioausbrüchen in aktiven Galaxienkernen, die zeitlich und räumlich mit den Neutrino-Signalen übereinstimmen.

Anzeige

Auffällige Übereinstimmung

Tatsächlich wurden sie fündig: Die vier stärksten Ausbrüche aus aktiven Galaxienkernen passten auffällig gut zum Timing und der Flugrichtung von vier Neutrino-Ereignissen, wie die Forscher berichten. Auch für weitere Neutrinos gab es signifikante Korrelationen. Demnach waren die Galaxienkerne, die mit solchen Teilchen-Nachweisen verknüpft waren, im Radiobereich eine aktivere und großflächigere Quelle als der Rest der AGNs.

AGN
Galaxie mit aktivem supermassereichen Schwarzen Loch. Radiodaten (orange) zeigen Jets und Akkretionsscheibe, blau erscheint die Röntgenemission des AGN. © ESO/WFI (Optical); MPIfR/ESO/APEX/A.Weiss et al. (Submillimetre); NASA/CXC/CfA/R.Kraft et al. (X-ray)

„Nach sorgfältiger Prüfung konnten wir bestätigen, dass die Neutrino-Ereignisse eindeutig mit den Signalen assoziiert waren, die die Radioteleskope eingefangen hatten“, sagt Koautor Sergey Troitsky vom Institut für Kernforschung in Moskau. „Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Übereinstimmungen zufällig sind, liegt bei nur 0,2 Prozent.“ Nähere Analysen ergaben zudem, dass vor allem Galaxienkerne mit uns zugekehrten Jets und Strahlenkegeln die Quellen von Neutrinos zu sein scheinen.

„Damit sprechen unsere Ergebnisse dafür, dass Hochenergie-Neutrinos in aktiven Galaxienkernen entstehen – vor allem während Radioausbrüchen“, sagt Plavin. Das könnte auch erklären, warum frühere Abgleiche mit Galaxienkern-Beobachtungen im Röntgenbereich nicht fündig wurden: Offenbar ist die Stärke der Radioabstrahlung solcher AGNs enger mit Neutrinoproduktion verknüpft als ihre Röntgenemission, wie die Forscher erklären.

Ursprung direkt am Schwarzen Loch

Doch wie entstehen die Neutrinos? Die VLBI-Daten waren so hochauflösend, dass die Astronomen sogar den Entstehungsort der Neutrinos genauer eingrenzen konnten. Demnach stammen diese energiereichen Teilchen nicht aus dem Außenbereich der Galaxienkerne – also beispielsweise den Gaswolken und Jets, die vom Schwarzen Loch ausgehen. Stattdessen werden sie direkt im Zentrum unmittelbar am Schwarzen Loch erzeugt.

Das Szenario: „Nahe am zentralen supermassereichen Schwarzen Loch wird das akkretierte Material auf relativistische Geschwindigkeiten beschleunigt“, berichten die Forscher. Dadurch werden in dieser rasend schnell um den Ereignishorizont kreisenden Materiescheibe energiereichen Protonen freigesetzt. Wenn diese mit Photonen und anderen Teilchen interagieren, entstehen die energiereichen Neutrinos.

Wie genau dies geschieht und welche aktiven Galaxienkerne Neutrinos aussenden, muss aber noch weiter untersucht werden. „Unsere Entdeckung erfordert nun theoretische Erklärungen“, sagt Troitsky. (Astrophysical Journal, 2020; doi: 10.3847/1538-4357/ab86bd)

Quelle: Moscow Institute of Physics and Technology

Teilen:
Anzeige

In den Schlagzeilen

News des Tages

Bändereisenerz

Ur-Magnetfeld ohne festen Erdkern?

Krebs kann auch ohne DNA-Mutation entstehen

Waffentruhe eines mittelalterlichen Flaggschiffs geöffnet

Neues fossiles Riesenkänguru entdeckt

Diaschauen zum Thema

Dossiers zum Thema

Bücher zum Thema

Geheimnisvoller Kosmos - Astrophysik und Kosmologie im 21. Jahrhundert von Thomas Bührke und Roland Wengenmayr

Quarks, Atome, Moleküle - Auf der Jagd nach den kleinsten Bausteinen der Welt von Gerhard Staguhn

Top-Clicks der Woche