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Erdbeben

Erdbeben können noch Jahrhunderte nachwirken

Heutige Erschütterungen könnten Nachbeben aus dem 19. Jahrhundert sein

Seismograph
Erdbeben könnten deutlich länger nachwirken als gedacht. © Petrovich9 / Getty Images

Später Nachhall: In den USA könnten einige der heutigen Erdbeben tatsächlich Nachwirkungen von schweren Starkbeben vor 150 bis 200 Jahren sein, wie Forschende herausgefunden haben. Demnach können die Nachbeben solcher Intraplattenbeben nicht nur wie sonst üblich einige Wochen und Jahre später auftreten, sondern sogar noch nach Jahrhunderten. Die Ursache der seismischen Aktivität zu kennen, kann helfen, das künftige Erdbeben-Risiko der Regionen abzuschätzen.

Weil sich nach einem Erdbeben die Erdkruste entlang einer Verwerfung neu ausrichtet, kann dies zu einer erneuten Entladung von Spannungen im Gestein führen. Dadurch können in der betroffenen Region rund um das ursprüngliche Epizentrum noch einige Tage bis Jahre später kleinere Beben folgen. Manchmal treten diese sogenannten Nachbeben sogar am anderen Ende der Welt auf. Mit der Zeit werden sie seltener und schwächer, bis wieder die für diese Region normale seismische Aktivität erreicht wird. Insgesamt gilt: Umso stärker ein Beben war, desto mehr Nachbeben und späte Schäden löst es aus.

Das Rätsel der Intraplattenbeben

Typischerweise treten Erdbeben und ihre Nachbeben vor allem entlang der Grenzen der Kontinentalplatten auf, doch es gibt Ausnahmen, wie beispielsweise in Nordamerika. Obwohl dieses Gebiet fernab der Küsten und Plattengrenzen liegt, erschüttern auch im Zentrum der USA und in Teilen Kanadas bis heute immer wieder Erdstöße den Untergrund. „Die Ursache dieser Intraplattenbeben bleibt rätselhaft und umstritten“, erklären Yuxuan Chen von der Universität Wuhan und ihr Kollege Mian Liu von der University of Missouri.

Einige Wissenschaftler gehen davon aus, dass diese Erschütterungen eine harmlose und für die Region normale Hintergrundaktivität darstellen. Es könnte sich aber auch um Vorboten neuer, starker Intraplattenbeben handeln. Denn bisher lassen sich solche Vorbeben nur schwer von der seismischen Hintergrundaktivität unterscheiden. Es gibt aber auch die Theorie, dass die Erdstöße im Zentrum Nordamerikas eine Art verspäteter Nachbeben von historischen Starkbeben sein könnten.

Karte der Erdbeben um New Madrid
In der New-Madrid-Bebenzone wurden allein von 1974 bis 2011 mehr als 6.000 Erdstöße registriert. © Daten USGS, Grafik: Kbh3rd, CC-by-sa 3.0

Drei historische Starkbeben im Fokus

Diese Vermutung haben nun Chen und Liu näher untersucht. Ausgangspunkt waren die drei historisch größten Erdbeben und Erdbebenserien in der jüngeren Geschichte Nordamerikas. Alle drei waren Intraplattenbeben einer Magnitude zwischen 6,5 und 8,0. Das erste trat 1663 im südöstlichen Quebec rund um Charlevoix auf, das letzte 1886 bei Charleston in South Carolina. Zwischen 1811 und 1812 erschütterten zudem drei katastrophale Starkbeben die Gegend um New Madrid an der Grenze zwischen Missouri und Kentucky.

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Um herauszufinden, ob diese Starkbeben bis heute Nachwirkungen haben könnten, analysierten die Forschenden die Herde moderner Erdbeben, die maximal 250 Kilometer von den Epizentren der historischen Starkbeben entfernt auftraten und mindestens eine Magnitude von 2,5 aufwiesen. Dabei verwendeten sie die statistische „Methode des nächsten Nachbarn“, um die räumliche Verteilung der Epizentren und die Stärke der Beben zu vergleichen.

„Man nutzt die Zeit, Entfernung und das Ausmaß von Ereignispaaren und versucht, die Verbindung zwischen zwei Ereignissen zu finden“, beschreibt Chen das Prinzip. „Wenn der Abstand zwischen zwei Erdbeben geringer ist als aufgrund von Hintergrundereignissen zu erwarten, dann ist ein Erdbeben wahrscheinlich das Nachbeben des anderen.“

Zwei Starkbeben wirken bis heute nach

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Antwort auf die Frage nach den Nachbeben kein einfaches Ja oder Nein ist“, berichten Chen und Liu. Denn die Studie lieferte für die drei Intraplattenbeben-Zonen jeweils unterschiedliche Antworten. So gehen die heutigen Erschütterungen im kanadischen Quebec offenbar auf die normale Hintergrundseismizität zurück, ein lokaler Zusammenhang zum Starkbeben von Charlevoix im Jahr 1663 sei nicht feststellbar, so die Forschenden.

Doch für die beiden anderen Bebenzonen sieht dies anders aus: Die beiden anderen historischen Erdbeben lösen jedoch wahrscheinlich noch heute Nachbeben aus, berichten die Wissenschaftler. Etwa 23 bis 30 Prozent aller Erdbeben, die zwischen 1980 und 2016 im Bereich der New-Madrid-Zone auftraten, waren wahrscheinlich Nachbeben der Starkbeben zwischen 1811 und 1812, berichten Chen und Liu. Die Spannbreite reiche dabei von 10,7 bis 65 Prozent. „Der Anteil langanhaltender Nachbeben in der New-Madrid-Bebenzone ist damit signifikant, wenn nicht sogar dominant“, schreiben sie.

In der Bebenzone von South Carolina könnte der Anteil der späten Nachbeben sogar noch höher sein: „Bis zu 72,4 Prozent der modernen Seismizität in der Charleston-Bebenzone könnten auf langanhaltende Nachbeben des Erdbebens von 1886 zurückgehen“, berichtet das Team.

Späte Intraplatten-Nachbeben auch anderswo?

Nach Ansicht der beiden Seismologen unterstreichen ihre Resultate, dass Nachbeben von Intraplattenbeben noch weit später auftreten können als landläufig gedacht. „Innerhalb stabiler Kontinente können Nachbeben-Sequenzen Jahrzehnte bis Jahrhunderte dauern“, schreiben sie. „Die heutige Seismizität in diesen Regionen kann daher sowohl Hintergrundbeben als auch späte Nachbeben umfassen.“ Dies könnte nicht nur für Nordamerika gelten, sondern auch für Intraplattenbeben auf anderen Kontinenten.

Den Anteil solcher später Nachbeben an der heutigen Seismizität zu kennen, ist auch für die Einschätzung des Erdbebenrisikos wichtig, wie Chen und Liu erklären: „Langanhaltende Nachbeben können ein Anzeichen für postseismische Prozesse im Untergrund sein und diese müssen berücksichtigt werden, wenn man wissen will, wie schnell die Spannung im Untergrund steigt und wann es das nächste Erdbeben geben könnte.“

Oder doch andere Ursachen?

Etwas kritischer sieht die nicht an der Studie beteiligte Geophysikerin Susan Hough vom United States Geological Survey (USGS) die Ergebnisse von Chen und Liu. Die räumliche Nähe der Erdbeben könne zwar auf Nachbeben hinweisen, dafür könne es aber auch andere Gründen geben. „Es könnte auch ein anderer schleichender Prozess stattfinden“, sagt sie.

Was die Ergebnisse genau bedeuten, sei daher noch fraglich und müsse genauer untersucht werden. „Um eine Gefahrenbewertung für die Zukunft erstellen zu können, müssen wir wirklich verstehen, was vor 150 oder 200 Jahren passiert ist“, sagt Hough. (Journal of Geophysical Research Solid Earth, 2023; doi: 10.1029/2023JB026482)

Quelle: American Geophysical Union

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