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Neurobiologie

Wie unser Gehirn Erinnerungen löscht

Neuronen-Gruppe hemmt nachts das Abspeichern von Träumen und Unwichtigem

Vergessen
Warum vergessen wir unsere Träume sofort wieder? DIe Ursache dafür könnten nun Forscher gefunden haben. © Victor Tongdee/ iStock.com

Aktives Vergessen: Forscher haben herausgefunden, wie unser Gehirn unnötige Erinnerungen löscht – und warum wir Träume sofort wieder vergessen. Schuld daran ist eine Gruppe spezieller Gehirnzellen, die besonders im Traumschlaf aktiv sind. Sie produzieren einen Botenstoff, der offenbar aktiv das Abspeichern von Gedächtnisinhalten hemmt, wie Forscher im Fachmagazin „Science“ berichten. Diese Hemmung könnte auch erklären, warum wir uns fast nie an unsere Träume erinnern.

Der Schlaf ist nicht nur wichtig für unseren Körper – auch das Gehirn braucht diese Pause. Denn nachts schwemmt unser Denkorgan Abfallstoffe aus, rekalibriert und stutzt seine Synapsen und sortiert das tagsüber Gelernte. Dabei werden wichtige Inhalte im Langzeitgedächtnis abgespeichert, Unwichtiges dagegen wird gelöscht. „Das Vergessen ist ein aktiver Prozess, nicht einfach etwas Passives“, erklären Shuntaro Izawa von der Nagoya Universität und seine Kollegen.

Schlaf
Schlaf ist für unser Gedächtnis wichtig - aber auch für das Vergessen. © Damtr Khabirov/ iStock.com

Verdächtige Zellen im Hypothalamus

Doch wie dieses aktive Vergessen funktioniert, war bisher unbekannt. Wissenschaftler waren sich nicht einmal sicher, in welcher Schlafphase das Gehirn die überflüssigen Erinnerungen löscht. Deshalb haben Izawa und sein Team diesen Prozess bei Mäusen näher untersucht – und dabei ihren Fokus auf eine „verdächtige“ Zellgruppe im Hypothalamus gelegt – dem Steuerzentrum vieler Hormone und vegetativen Funktionen.

In diesem Hirnareal liegen Zellen, die das melaninkonzentrierende Hormon (MCH) produzieren. Dieser Botenstoff beeinflusst unseren Appetit, spielt aber auch eine wichtige Rolle für die Länge des REM-Schlafs – der Schlafphase, in der wir träumen. Für ihre Studie führten die Forscher zunächst Lernversuche mit Mäusen durch und aktivierten danach gezielt die MCH-Zellgruppe einiger Tiere mit einer Injektion.

Gedächtnis-Speicherung gehemmt

Das überraschende Ergebnis: Die Aktivierung der MCH-Zellen machte die Mäuse vergesslich – sie konnten sich an das zuvor Gelernte nicht mehr erinnern. Ihre unbehandelten Artgenossen dagegen erkannten die gelernten Objekte wieder und waren sich auch negativer Erfahrungen noch bewusst, wie die Forscher berichten. Nähere Analysen zeigten, dass die aktiven MCH-Neuronen das Feuern von Nervenzellen im Hippocampus unterdrückten – dem Gedächtniszentrum des Gehirns.

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„Diese Ergebnisse sprechen dafür, dass die MCH-Neuronen dem Gehirn aktiv dabei helfen, neue, unwichtige Informationen zu vergessen“, sagt Koautor Thomas Kilduff vom Center für Neuroscience in Kalifornien. Dabei steuern diese „Löschzellen“ das Vergessen über direkte Nervenverbindungen zum Hippocampus. Dort werden spezielle Neurotransmitter freigesetzt, die dann das Abspeichern der Informationen verhindern. Welche Botenstoffe dies sind, ist allerdings noch unbekannt, wie die Forscher berichten.

MCH-Zellen und Vergessen
Die Rolle der MCH-Zellen für das aktive Vergessen im Traumschlaf. © panoji.com

Löschen passiert im REM-Schlaf

Doch wann genau findet dieses Löschen statt? Aus früheren Studien war bekannt, dass die MCH-Zellen sowohl im Wachzustand als auch im REM-Schlaf aktiv sind – in der Zeit, in der wir träumen. In ihren Mäuseversuchen fanden Izawa und sein Team nun heraus, dass nur die im Traumschlaf aktiven MCH-Zellen zu Gedächtnislücken führen. Nur diese Zellgruppen sorgen demnach für das Löschen von unnötigen Erinnerungen.

„Diese Studie liefert damit den bisher direktesten Beleg dafür, dass unser Gehirn im REM-Schlaf entscheidet, welche Informationen es speichert und welche nicht“, kommentiert Janet He von den US National Institutes of Health.

Warum wir unsere Träume vergessen

Das Spannende daran: Die neuen Erkenntnisse könnten erklären, warum wir unsere Träume sofort vergessen. „Träume treten primär im REM-Schlaf auf – und damit ausgerechnet in der Zeit, in der die MCH-Zellen sehr aktiv sind“, erklärt Kilduff. „Ihre Aktivität könnte daher verhindern, dass die Trauminhalte im Hippocampus gespeichert werden – und dadurch vergessen wir auch unsere Träume.“

Zwar haben die Forscher diese Erkenntnisse an Mäusen gewonnen. Sie halten es aber für sehr wahrscheinlich, dass dieser Löschmechanismus auch bei uns Menschen so funktioniert. In weiteren Studien muss nun geklärt werden, wie genau die MCH-Zellen das Gedächtniszentrum am Speichern hindern – und wie dabei zwischen Wichtigem und Unwichtigen selektiert wird. (Science, 2019; doi: 10.1126/science.aax9238)

Quelle: NIH/National Institute of Neurological Disorders and Stroke

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