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Mikrobiologie

Wie Bakterien ihren Fetthunger stillen

Chlamydien leiten Materiallogistik der Wirtszelle um

Chlamydien (grün) vermehren sich im Innern ihrer menschlichen Wirtszellen. Nachkolorierte rasterelektronenmikroskopische Aufnahme der Erreger in einem aufgebrochenen Einschlusskörperchen. © MPI für Infektionsbiologie

Chlamydien sind Bakterien, die sexuell übertragbare Erkrankungen verursachen können. Berliner Wissenschaftler haben nun herausgefunden, wie diese Bakterien ihren immensen Bedarf an Nährstoffen stillen: Sie nutzen den Golgi-Apparat, das Verteilungszentrum der Wirtszelle, und leiten geschickt die Materiallogistik um. Dieses Wissen könnte einen Ansatzpunkt für eine alternative Behandlung zu Antibiotika bieten, so die Forscher in der Online-Ausgabe des Wissenschaftsmagazins „Nature“.

Bakterien als Viren getarnt

Lange Zeit glaubten Wissenschaftler ein Virus entdeckt zu haben. Denn die infektiöse Form des Bakterium Chlamydia trachomatis ist nur etwa 0,3 µm groß und sucht – ähnlich wie Viren – Schutz im Inneren ihrer Wirtszellen, um sich zu teilen. Die meisten Fälle von Geschlechtskrankheiten beruhen auf Infektionen mit diesem Erreger, der vor allem Harnröhren, Gebärmutterhals und Eileiter befällt. Weltweit gehen Experten von etwa 90 Millionen Neuinfektionen pro Jahr aus.

Nach Angaben der „International Union against Sexually Transmitted Infections“ (IUSTI) sollen sogar bis zu 80 Prozent der Frauen von dem Erreger befallen sein, ohne etwas davon zu merken. Auch in Deutschland nimmt die Zahl der Infektionen wegen ungeschützten Geschlechtsverkehrs mit wechselnden Partnerinnen und Partnern stark zu. Die Erreger können zwar mit Antibiotika behandelt werden, doch ist diese Therapie langwierig und aufwändig.

Reaktivierbare Erreger

Da das Bakterium häufig durch Antibiotika-Behandlung in einen persistenten Zustand übergeht, ist es für die medikamentöse Behandlung nicht mehr zugänglich. Der Erreger kann zu einem späteren Zeitpunkt wieder reaktiviert werden und die Infektion erneut aufflammen.

Bislang war Wissenschaftler unklar, wie diese Erreger ihren großen „Appetit“ auf Fette stillen, den sie zum Aufbau ihrer Membranen benötigen. Im Inneren ihrer Wirtszellen bilden Chlamydien ein Einschlusskörperchen, in dem sie sich teilen. Im Verlauf der Infektion wächst dieser „Schutzraum“ und beherbergt schließlich hunderte von Bakterien. Diese Erreger haben einen enormen Bedarf an Nährstoffen, insbesondere an Fetten.

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Verteilungszentrum manipuliert

Am Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie haben Dagmar Heuer und ihre Kollegen nun herausgefunden, dass Chlamydien einen besonderen Trick anwenden, um ihren „Hunger“ zu stillen: Sie steuern das Verteilungszentrum der befallenen Zellen um. Dieses Zentrum, der Golgi-Apparat, ist ein komplexes Gebilde. Er besteht aus vielen Membranstapeln und schnürt beständig kleine Lipidvesikel ab, in denen unter anderem Nährstoffe zu den Verbrauchsstellen innerhalb der Zelle transportiert werden.

Mithilfe von mikroskopischen Techniken und der RNA-Interferenz konnten die Wissenschaftler herausfinden, dass die Chlamydien ein wichtiges Transmembranprotein des Golgi-Apparates verändern, das Golgin 84. „Der Golgi Apparat zerfällt daraufhin in kleinere Einheiten, die sich sodann entlang des Einschlusskörpers aufreihen. So können sich die Bakterien nun besser mit den dringend benötigten Fetten versorgen“, erklärt die Wissenschaftlerin.

Zwei inhibierende Substanzen entdeckt

Anhand von Tests in Zellkulturen haben die Forscher zwei inhibierende Substanzen ermittelt, die diese Prozesse unterbinden. Dann können sich die Chlamydien in den Zellen nur langsam vermehren: Die Einschlusskörper bleiben klein und die infizierten Zellen entlassen nur wenige infektiöse Partikel in die Umgebung, von wo aus sie weitere Zellen befallen können.

Die Wissenschaftler hoffen nun, diese Wirkstoffe zu neuen Medikamenten gegen Chlamydien-Infektionen weiterentwickeln zu können. Diese hätten im Gegensatz zu Antibiotika den Vorteil, direkt auf zelluläre Faktoren zu zielen. Dadurch könnten Resistenzen der Erreger gegen die behandelten Substanzen vermindert oder sogar vermieden werden.

(MPG, 08.12.2008 – DLO)

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