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Mikrobiologie

„Leichenfresser“ im Toten Meer

Bakterien überleben extrem salzige Umgebung durch Verzehr von toten Archaeen

Totes Meer
Das Wasser des toten Meeres ist das salzigste der Welt, doch im Seegrund ist es noch extremer – und doch überleben dort offenbar Bakterien. © EvgeniT/ CC-by-sa 3.0

Nekrophilie als Überlebenshelfer: Das Tote Meer ist weniger tot als man glaubt, denn selbst tief im Sediment dieses Salzsees könnte es Mikroben geben. Darauf deuten spezielle Fettverbindungen hin, die Forscher in Sedimentbohrkernen aus dem Toten Meer nachgewiesen haben. Das Spannende daran: Als Rohstoffe für diese Wachsester dienen den Bakterien offenbar die Überreste toter Archaeen. Erst diese „Nekrophilie“ ermöglicht ihnen das Überleben unter diesen Extrembedingungen.

Das Tote Meer ist alles andere als lebensfreundlich. Denn das Wasser dieses tiefsten Sees der Erde ist zehnmal salziger als jedes Meer – kein anderer Salzsee enthält eine so konzentrierte Lauge. Je tiefer sich man Richtung Seegrund bewegt, desto salziger und lebensfeindlicher wird das Wasser. Dies macht es selbst den hartgesottensten Bakterien schwer, dort zu überleben. Deshalb wurden bisher auch nur die widerstandsfähigeren Archaeen im Toten Meer entdeckt – und auch dies vorwiegend an einigen wenigen Süßwasserquellen am Seegrund.

Spurensuche im Seegrund

Noch weitgehend unbekannt war jedoch, welche Organismen im Sediment des Toten Meeres leben. Denn aus zahlreichen Studien weiß man inzwischen, dass die Tiefe Biosphäre von einer großen Zahl von Bakterien, Archaeen und einzelligen Pilzen bevölkert wird – normalerweise. Aber wie sieht dies in den lebensfeindlichen Tiefen des Toten Meeres aus? „Unter dem Grund dieses Sees liegt eines der extremsten Ökosysteme unseres Planeten“, konstatieren Camille Thomas von der Universität Genf und ihre Kollegen.

Kann es dort trotzdem Leben geben? Um das herauszufinden, haben die Forscher einen aus der Mitte des Toten Meeres entnommenen Sedimentbohrkern untersucht. Mithilfe von chemischen Analysen suchten sie nach speziellen Fettmolekülen, die auf die Präsenz von Einzellern in den Ablagerungen des Seegrunds hindeuten könnten.

Wachsester verraten die Präsenz von Bakterien

Und tatsächlich: Ausgerechnet in den tiefsten und salzigsten Sedimenten des Seegrunds stießen die Forscher auf Wachsester – energiereiche Biomoleküle aus langkettigen Fettsäuren und Alkoholen. „Wachsester sind eine wichtige Form von Speichermolekülen, die von Bakterien und eukaryotischen Zellen produziert werden“, erklären die Wissenschaftler. Archaeen dagegen scheinen sie nicht herstellen zu können. Zudem enthalten die Ester Fettsäuren, die nur von Bakterien produziert werden.

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Das aber bedeutet: Tief im Toten Meer müssen Bakterien gelebt haben – und möglicherweise gibt es sie sogar noch heute. Diese Mikroben waren offenbar imstande, selbst die höchsten Salzkonzentrationen zu überstehen. Denn die Wachsester fanden sich bis zu 243 Meter tief unter dem Seegrund und stammten aus Zeiten, in denen das Wasser des Toten Meeres sogar noch viel salziger war als heute, wie die Forscher berichten.

Leichen von Archaeen als Rohstoff

Wie aber ist das möglich? Des Rätsels Lösung liegt in den Rohstoffen, aus denen die Bakterien ihre Wachsester hergestellt haben. Denn wie die Wissenschaftler feststellten, müssen die Mikroben dafür Reste toter Archaeen verwendet haben. Deren lipidreiche Membranen lieferten den Bakterien in diesem extrem harschen Lebensraum offenbar die nötige Nahrung und Energie.

„Unsere Daten stützen damit ein Szenario, bei dem sich Bakterien auf toten Archaeen entwickelten – auf der Nekromasse des Toten Meeres“, so Thomas und ihre Kollegen. Anders ausgedrückt: Die Mikroben im Toten Meer betreiben Nekrophilie an ihren entfernten Verwandten, um unter den extremen Bedingungen dieses Lebensraumes zu überleben.

Das Tote Meer ist demnach selbst tief unter seiner Oberfläche keineswegs tot. Selbst im salzigen Sediment des Sees könnte es eine Lebenswelt aus „leichenfressenden“ Bakterien geben. „Unsere Ergebnisse illustrieren damit die Anpassungskunst der Tiefen Biosphäre und ihre Fähigkeit, ganz unterschiedliche Strategien für die Energieproduktion und das Überdauern unter harten Bedingungen zu nutzen“, konstatieren die Forscher. (Geology, 2019; doi: 10.1130/G45801.1)

Quelle: The Geological Society of America (GSA)

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