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Neurobiologie

Fernsehen und Hörfunk stören Magnetsinn von Zugvögeln

Radiowellen-Frequenzen unter 116 Megahertz bringen die Vögel durcheinander

Mönchsgrasmücke
Verschiedene Radiowellen-Frequenzen können Zugvögel wie diese Mönchsgrasmücke durcheinander bringen. © mauribo/ Getty Images

Ablenkendes Radio: Forschende haben herausgefunden, ab wann Radiowellen den Magnetsinn von Zugvögeln stören. Demnach wirken Frequenzen unterhalb von 116 Megahertz, wie sie etwa Hörfunk und Fernsehen nutzen, offenbar desorientierend. Höhere Frequenzen – darunter unser Mobilfunk – haben dagegen keine negativen Auswirkungen auf den Magnetsinn. Diese Erkenntnisse liefern außerdem weitere Indizien dafür, dass der Magnetsinn der Zugvögel auf einer quantenchemischen Reaktion in ihrer Netzhaut beruht.

Unzählige Zugvögel fliegen jedes Jahr Tausende von Kilometern, um von ihren Brut- zu den Überwinterungsgebieten zu gelangen und umgekehrt. Dabei orientieren sie sich am Magnetfeld der Erde. Doch es gibt offenbar elektromagnetische Felder, die die Vögel bei ihrer Navigation stören und sie vom Kurs abbringen können, wie sich in Experimenten zeigte. Der schwache und für Menschen unbedenkliche Elektrosmog im Radiowellenbereich scheint demnach die komplizierten quantenphysikalischen Prozesse in den Netzhautzellen der Zugvögel beeinträchtigen.

Bisher ist allerdings unklar, welche Frequenzen diesen Effekt haben und ab wann eine Radiowelle als sicher für Zugvögel einzustufen ist. Ersten theoretischen Überlegungen zufolge müssten die kritischen Frequenzen jedoch im UKW-Bereich zwischen 120 und 220 Megahertz liegen.

Mönchsgrasmücken im elektromagnetischen Feldtest

Forschende um Bo Leberecht von der Carl von Ossietzky Universität in Oldenburg haben nun die Störanfälligkeit des tierischen Magnetsinns genauer untersucht. Dafür hielten sie Mönchsgrasmücken – kleine Singvögel – während der herbstlichen Wanderzeit in speziellen Kammern und setzten sie elektromagnetischen Feldern in unterschiedlichen Frequenzbereichen aus. Das Team beobachtete dann, in welche Richtung sich die Vögel orientierten: in die „richtige“ (Süd-West) oder in eine falsche.

Ergänzt wurden diese Verhaltensbeobachtungen durch quantenmechanische Berechnungen auf einem Supercomputer. Mit dieser Methodenkombi konnten Leberecht und seine Kollegen präzise ermitteln, ab welcher Frequenz Radiowellen die Navigation der Zugvögel beeinträchtigen und so gleichzeitig mehr über den Mechanismus erfahren, der ihrem Magnetsensor zugrunde liegt.

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Schwelle liegt bei 116 Megahertz

Das Ergebnis: Waren die Mönchsgrasmücken Frequenzen zwischen 140 und 150 Megahertz sowie zwischen 235 und 245 Megahertz ausgesetzt, beeinträchtigten die Radiowellen ihren Magnetsinn nicht. In beiden Fällen beobachteten die Forschenden, dass sich die Vögel ebenso wie ihre freilebenden Artgenossen in Richtung Süd-West ausrichteten.

Zusammen mit Ergebnissen aus früheren Experimenten, in denen die Vögel bei 75 bis 85 Megahertz die Orientierung verloren hatten, konnten Leberecht und seine Kollegen damit einen groben Schwellenwert ermitteln, oberhalb dem der Magnetsinn nicht von Radiowellen beeinträchtigt wird. Dieser liegt zwischen 80 und 145 Megahertz. Mit computergestützten Simulationen der Vorgänge im Magnetsensor gelang es den Forschenden in einem zweiten Schritt, diesen Bereich weiter einzugrenzen, nämlich auf einen Schwellenwert von 116 Megahertz.

Radio und TV stören Magnetsinn

Demnach sind Radiowellen mit Frequenzen über 116 Megahertz für den Magnetsinn der Zugvögel ungefährlich. Das gilt zum Beispiel für unseren Mobilfunk, der Frequenzen ab 890 Megahertz nutzt. Einige Hörfunk- und Fernsehsender hingegen verwenden Radiowellen, die unter 116 Megahertz liegen, und dadurch wahrscheinlich den Magnetsinn der Zugvögel durcheinanderbringen, wie Leberecht und sein Team berichten.

Dies gilt insbesondere für den CB-Funk, der von privaten und nichtkommerziellen Funkern genutzt wird. Für diese Anwendung ist ein Frequenzbereich von rund 26 bis 27 Megahertz reserviert. Damit jedoch liegen diese Funkwellen in dem Bereich, der die Navigation von Zugvögeln stören kann. Die Forschenden empfehlen daher, unter anderem an Zugvogelrastplätzen auf das Funken zu verzichten.

Annahmen zum Magnetsensor bestätigt

Der ermittelte Schwellenwert deckt sich außerdem mit bisherigen Annahmen zur Funktionsweise des Magnetsensors bei Zugvögeln. Dieser Sensor wurde offenbar zu Recht im Cryptochrom 4 vermutet, einem Protein der Vogel-Netzhaut. Fällt Licht auf Cryptochrom 4-Proteine, löst das in ihrem Inneren mehrere Elektronenübertragungen aus, durch die schließlich ein magnetisch reagierendes Radikalpaar aus Flavin- und Tryptophanradikalen entsteht. Dies löst dann Nervensignale aus, durch die die Vögel das Magnetfeld der Erde wahrnehmen können.

„Die Verhaltensexperimente und die Computersimulationen liefern gemeinsam einen weiteren starken Hinweis darauf, dass die Magnetwahrnehmung auf dem von uns vermuteten quantenmechanischen Mechanismus beruht und nicht auf einem völlig anderen Prozess, etwa magnetischen Nanopartikeln“, so Leberechts Kollege Henrik Mouritsen. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2023; doi: 10.1073/pnas.2301153120

Quelle: Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg, Proceedings of the National Academy of Sciences

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