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Archäologie

Die verschwundenen Ur-Europäer

DNA liefert neue Einblicke in die frühesten Vertreter des Homo sapiens in Europa

Schädel aus Zlaty kun
Dieses Schädelfragment stammt von einer der ältesten Vertreterinnen des Homo sapiens in Europa: Sie lebte vor 45.000 Jahren. © Martin Frouz

Verschollene Pioniere: Vor 45.000 Jahren kamen die ersten Vertreter des Homo sapiens nach Europa – konnten sich aber nicht etablieren, wie nun Genom-Analysen der bislang ältesten Menschenfossilien Europas nahelegen. Demnach blieben diese ersten Pionier-Populationen offenbar nicht halten – ihr Erbgut hat keine Spuren in heutigen Europäern hinterlassen, wie Forschende nun in zwei Publikationen in „Nature“ und „Nature Ecology & Evolution“ berichten.

Vor rund 45.000 Jahren endete die lange Ära der Neandertaler und die ersten Vertreter des Homo sapiens wanderten nach Europa ein. Doch ob sich diese ersten Einwanderer auf unserem Kontinent halten und verbreiten konnten und wie sie mit späteren Jägern und Sammlern in Europa verwandt waren, liegt noch weitgehend im Dunkeln. Einer der Gründe: Es gibt nur eine Handvoll Menschenfossilien aus dieser Zeit. Zu ihnen gehören das rund 40.000 Jahre alte Fossil „Oase 1″ aus Rumänien, 45.000 Jahre alte Relikte im sibirischen Ust‘-Ishim, sowie die kürzlich in der Bacho-Kiro-Höhle in Bulgarien entdeckten Fossilien mehrerer Individuen etwa aus der gleichen Zeit.

Hinzu kommt: DNA-Analysen solcher Funde sind aufwändig und nicht immer möglich. „Bislang konnten nur drei Genome von Individuen isoliert werden, die nahe an der Zeit der ersten Besiedelung Europas und Asiens vor mehr als 40.000 Jahren lebten“, erklären Mateja Hajdinjak vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und ihre Kollegen.

Zahn aus Bacho Kiro
Backenzahn eines der Individuen aus der Bacho-Kiro-Höhle. © Rosen Spasov/ MPI-EVA Leipzig

Blick ins Erbgut der ersten Europäer

Jetzt liefern DNA-Analysen von weiteren frühen Vertretern des Homo sapiens neue Einblicke in die Anfänge der europäischen Menschheitsgeschichte. Bei den Funden handelt es sich um die Überreste dreier Individuen aus der Bacho-Kiro-Höhle in Bulgarien und den Schädel einer Frau aus Zlaty kun in Tschechien. Zwei Forschungsteams – eines um Hajdinjak und eines um Kay Prüfer vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena – haben diese Fossilien nun genetisch untersucht und teilweise neu datiert.

Um diese frühen Menschen einzuordnen, verglichen die Wissenschaftler ihr Genom mit dem der modernen Europäer und Asiaten, aber auch mit dem Erbgut der drei schon sequenzierten Menschenfossilien aus Europa. Besonderes Augenmerk richteten sie zudem auf den Anteil und die Länge von Neandertaler-Gensequenzen, denn dies verrät, wann und wie intensiv sich die Vorfahren dieser frühen Homo-sapiens-Vertreter mit Neandertalern kreuzten.

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Bacho Kiro: Nachfahren nur noch in Ostasien

Das erste Ergebnis: Die Menschenfossilien aus der Bacho-Kiro-Höhle gehören zwar zu den ältesten Europas, dennoch waren sie offenbar keine direkten Vorfahren der heutigen Europäer. „Die drei Individuen teilen mehr Allele mit heutigen Populationen Ostasiens, Zentralasiens und den Ureinwohnern des amerikanischen Kontinents als mit Populationen aus dem westlichen Eurasien“, berichten Hajdinjak und ihr Team.

Die Forschenden schließen daraus, dass diese frühen Einwanderer damals zwar sowohl nach Europa wie nach Asien zogen. Anders als in Ostasien konnte sich diese Population bei uns aber nicht dauerhaft etablieren. Ihre Nachfahren wurden durch später einwandernde Vertreter des Homo sapiens verdrängt und ihr Erbgut verschwand aus der europäischen Genpool.

Interessant auch: Die Menschen aus der Bacho-Kiro-Höhle trugen zwischen 3,0 und 3,8 Prozent Neandertaler-DNA in ihrem Erbgut – mehr als die meisten heutigen Europäer. „Das deutet darauf hin, dass die Vermischung von Neandertalern und den ersten in Europa eintreffenden modernen Menschen häufiger vorkam als oft angenommen“, so die Wissenschaftler. Aus der Länge der Neandertaler-Genabschnitte schließen sie, dass die letzten Kreuzungen von Neandertalern und den Vorfahren dieser Menschen erst sechs bis sieben Generationen zurücklagen.

Zlaty kun: Die älteste Europäerin?

Auch die Genanalysen des Schädels aus Tschechien enthüllten Neues: Die Homo-sapiens-Frau aus Zlaty kun könnte demnach weit älter sein als gedacht. Bislang hatten Radiokarbondatierungen widersprüchliche Ergebnisse geliefert – die Spanne reichte von 15.000 bis 27.000 Jahren. Doch wie sich nun zeigte, beruhte dies auf einer nachträglichen Kontamination des Fundstücks: „Wir haben Belege für eine Verunreinigung mit Rinder-DNA gefunden, was darauf hindeutet, dass die Schädelteile in der Vergangenheit mit einem tierbasierten Kleber zusammengefügt wurden“, erklärt Co-Autor Cosimo Posth von der Universität Tübingen.

Doch wie alt ist die Homo-sapiens-Frau von Zlaty kun? Hinweise darauf lieferte die Neandertaler-DNA in ihrem Genom. Denn auch sie wies auffallend lange, ununterbrochene Neandertaler-Abschnitte in ihrem Erbgut auf. „Zlaty kun trägt Segmente, die im Schnitt länger sind als die aller anderen bisher untersuchten eurasischen Jäger und Sammler“, berichten Prüfer und sein Team.

Sie schließen daraus auch diese Frau aus den Anfängen der Besiedlung Eurasiens durch den Homo sapiens stammen muss. „Zlaty kun könnte damit das älteste europäische Menschenfossil mit erhaltenem Schädel sein“, so die Forschenden.

Verschwundene Populationen

Doch auch die Population dieser frühen Europäerin konnte sich in der neuen Heimat nicht halten: Weder im Erbgut moderner Europäer noch in dem moderner Asiaten finden sich Spuren dieser frühen Homo-sapiens-Vertreter. „Wie bei Ust‘-Ishim und Oase 1 zeigt auch Zlaty kun keine genetische Kontinuität mit modernen Menschen aus der Zeit vor weniger als 40.000 Jahren“, schreiben Prüfer und seine Kollegen.

Nach Ansicht des Forschungsteams spricht dies dafür, dass sich auch diese frühe Population nicht in Europa etablieren konnte. „Es ist ziemlich spannend, dass die frühesten modernen Menschen in Europa letztlich nicht erfolgreich waren“, sagt Seniorautor Johannes Krause vom MPI für Menschheitsgeschichte.

War ein Supervulkan schuld?

Eine mögliche Erklärung für das Scheitern der ersten Einwanderer könnte ein Ausbruch des Supervulkans unter den Phlegräischen Feldern in Italien vor rund 40.000 Jahren gewesen sein, wie das Forschungsteam erklärt. Studien zeigen, dass der Ascheregen dieser Eruption bis nach Russland reichte und dass die freigesetzten Aerosole das Klima Europas mehrere Jahre lang deutlich abkühlten – es herrschte in vulkanischer Winter.

„Diese Eruption beeinflusste das Klima der Nordhalbkugel stark und könnte die Überlebenschancen der Neandertaler und frühen modernen Menschen in großen Teilen des westlichen Eurasiens verringert haben“, mutmaßen Prüfer und sein Team. Den ohnehin schon stark dezimierten Neandertalern könnte dieser Ausbruch das endgültige Aussterben gebracht haben. Und auch die ersten europäischen Vertreter des Homo sapiens könnten vor der Kälte geflüchtet oder ebenfalls gestorben sein. (Nature, 2021; doi: 10.1038/s41586-021-03335-3; Nature Ecology /& Evolution, 2021; doi: 10.1038/s41559-021-01443-x)

Quelle: Nature, Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte

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