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Umwelt

Bioplastik kann giftig sein

Test weist in 80 Prozent der Biokunststoff-Produkte potenziell schädliche Chemikalien nach

Plastiktüten
Sogar Tüten aus Bioplastik können zelltoxische Chemikalien enthalten, wie nun ein Test belegt. © LightFieldStudi

Von wegen öko: Bioplastik ist keineswegs ungiftiger als herkömmlicher Kunststoff – eher im Gegenteil, wie nun Labortests enthüllen. 80 Prozent der untersuchten Materialien enthielten zelltoxische oder anderweitig schädliche Chemikalien. Überraschenderweise galt dies besonders für stärke- und zellulosebasierte Kunststoffe. Zudem enthielten die meisten Objekte aus Bioplastik mehr als 1.000 verschiedene Chemikalien, einige sogar gut 20.000.

Angesichts der Flut an Plastikmüll gelten Biokunststoffe als die nachhaltigere Alternative. Denn viele dieser Materialen sind aus pflanzlichen Rohstoffen hergestellt, andere sind biologisch abbaubar oder sogar beides – so jedenfalls heißt es. In der Praxis allerdings hapert es vor allem mit der Abbaubarkeit vieler dieser Materialien wie Studien zeigen. Wissenschaftler befürchten zudem, dass der zunehmende Bedarf an pflanzlichen Rohstoffen zu vermehrter Waldrodung führen könnte.

Sind Biokunststoffe gesünder?

Sind die Biokunststoffe dann wenigstens gesundheitlich unbedenklicher? Immerhin enthält herkömmliches Plastik neben seinen Grundbeststandteilen jede Menge Weichmacher und andere Zusatzstoffe, mit teils erheblichen Schadwirkungen. Wie es damit bei den biologischen Alternativen aussieht, haben nun Lisa Zimmermann von der Goethe-Universität Frankfurt und ihre Kollegen in der bisher umfassendsten Studie dazu untersucht.

Dafür analysierten die Forscher 43 Alltagsobjekte aus neun verschiedenen Bioplastikmaterialien – vom Trinkbecher aus Polymilchsäure über Schokoladenfolie oder Zigarettenfilter aus Zellulose-Derivaten bis hin zu Plastiktüten aus Bio-Polyethylen. Alle Proben wurden chemisch auf ihre Komponenten hin analysiert, zudem prüften die Wissenschaftler die biologische Wirkung an Zellkulturen.

Drei Viertel wirken zelltoxisch

Das Ergebnis: „Drei Viertel aller untersuchten Produkte enthielten schädliche Chemikalien“, berichtet Zimmermann. „Schädlich heißt in diesem Fall, dass Substanzen toxisch auf Zellen wirken oder hormonähnliche Effekte hervorrufen.“ Konkret zeigte sich bei 67 Prozent der Proben eine Giftwirkung auf Zellen, 42 Prozent verursachten oxidativen Zellstress und 23 Prozent störten die Wirkung männlicher Geschlechtshormone.

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„Diese Ergebnisse zeigen, dass die biobasierten und bioabbaubaren Materialien keinesfalls weniger bedenklich sind“, sagt Zimmermann. Denn bei Alltagsobjekten aus normalen Kunststoffen kam ein früherer Test auf ähnliche Werte. Einziger Unterschied: Bei den Biokunststoffen war der Anteil zelltoxischer Proben größer, dafür enthielten die herkömmlichen Kunststoffe häufiger hormonähnlich wirkende Substanzen.

Stärke- und Zellulose-Kunststoffe sind am giftigsten

Überraschend jedoch: Als besonders schädlich erwiesen sich paradoxerweise Biokunststoffe aus stärke- und zellulosebasierten Materialien, wie sie beispielsweise in Einweggeschirr, Lebensmitteltüten oder auch Zigarettenfiltern eingesetzt werden. „Alle Stärke- und Zelluloseprodukte wirkten zellgiftig und viele von ihnen enthielten hormonähnlich wirkende Verbindungen“, berichten die Wissenschaftler. „Die Chemikalien in diesen Materialien sind demnach in vitro toxischer als andere.“

Und noch etwas enthüllten die Analysen: Die Biokunststoffe enthalten unerwartet viele chemische Komponenten. In 80 Prozent der Proben wiesen Zimmermann und ihr Team mehr als 1.000 Einzelchemikalien nach. Bei Bioplastik aus Stärke oder Zellulose waren es sogar bis zu 20.000 Komponenten. Die Forscher vermuten, dass diese Chemikalien größtenteils bei der Aufbereitung und Verarbeitung der Grundstoffe zugesetzt oder gebildet werden. Denn in ihren Tests gab es deutliche Unterschiede selbst bei Produkten aus dem gleichen Rohstoff.

„Das macht es nahezu unmöglich, allgemeingültige Aussagen zur Sicherheit bestimmter Materialien zu treffen“, erklärt Koautor Martin Wagner von der Universität Trondheim. „Eine lebensmittelechte Tüte aus Bio-Polyethylen kann toxische Substanzen enthalten, ein Weinkorken aus dem gleichen Material muss das nicht zwangsläufig und umgekehrt.“

„Bio“ heißt nicht harmlos

Nach Ansicht der Forscher demonstrieren ihre Ergebnisse, dass „Bio“ bei Kunststoffen nicht automatisch auch harmlos bedeuten muss. Zwar sagt der Test an Zellkulturen nur bedingt etwas darüber aus, wie schädlich diese Materialien im alltäglichen Einsatz sind. Dennoch belegen die Resultate, dass selbst Bioplastik aus pflanzlichen Rohstoffen nicht per se unbedenklich sein muss.

Weitere Studien im Zuge der Risikoforschung zu Plastik und seinen Alternativen seien daher dringend notwendig. „Gerade, weil es einen Trend zu Biomaterialien gibt, gilt es jetzt, die chemische Sicherheit von herkömmlichen Kunststoffen ebenso wie von biobasierten und bioabbaubaren Alternativen auf die politische Agenda zu setzen“, sagt Koautorin Carolin Völker vom Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE) in Frankfurt. (Environment International, 2020; doi: 10.1016/j.envint.2020.106066)

Quelle: ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung

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