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Archäologie

Mysteriöse antike Schrift entziffert

Felsritzung liefert entscheidende Hinweise zur Sprache hinter den Kuschana-Schriftzeichen

Inschrift in der Almosi-Schlucht
Diese zweisprachige Inschrift in der Almosi-Schlucht in Tadschikistan war der Schlüssel für die Entzifferung der rätselhaften Kuschana-Schrift. © Bobomullo Bobomulloev

Spannender Durchbruch: Linguisten haben erstmals die rätselhafte Schrift des antiken Kuschana-Reichs in Zentralasien entziffert. Dank eines in Tadschikistan entdeckten „Rosetta-Steins“ mit Kuschana-Zeichen und griechisch-baktrischer Schrift konnte das Team erste Namen und Wortfolgen entziffern und insgesamt 15 Konsonanten und vier Vokalzeichen zuordnen. Dies enthüllte auch zum ersten Mal, in welcher Sprache die Inschriften der Kuschana verfasst waren – einem der einflussreichsten Reiche der Antike.

Das ursprünglich von zentralasiatischen Nomaden gegründete Kuschana-Reich war eines der einflussreichsten Imperien der Antike – auf einer Ebene mit dem römischen Reich oder dem alten China. In seiner Blütezeit zwischen 100 und 250 nach Christus reichte es vom Tadschikistan bis an den Indus und das Kaspische Meer. Die Kuschana schufen monumentale Architektur und Kunstwerke, unterhielten Handelsbeziehungen mit Rom und China und förderten die Ausbreitung des Buddhismus in Asien.

Rätselhafte Ritzzeichen

Ein großes Rätsel hat das Kuschana-Reich jedoch hinterlassen: Mysteriöse Schriftzeichen, eingeritzt in Felswände oder Tongefäße. Seit den 1950er Jahren wurden einige Dutzend dieser meist kurzen Inschriften entdeckt, mehrheitlich in Tadschikistan, Afghanistan und Usbekistan. Das Alter dieser Ritzzeichen und ihre Entdeckung im alten Verbreitungsgebiet der Kuschana legen nahe, dass sie von diesen stammen. Doch was sie bedeuten und in welcher Sprache sie verfasst sind, bleibt ein Rätsel.

„Alle Versuche einer Entzifferung blieben bisher erfolglos“, berichten Svenja Bonmann von der Universität zu Köln und ihre Kollegen. Ähnlich wie bei der ebenfalls noch nicht entzifferten Minoer-Schrift Linear A standen für eine Analyse zu wenige Inschriften zur Verfügung. Auch ein in den 1960er Jahren in Afghanistan entdeckter trilingualer Text konnte nur wenig weiterhelfen. Er besteht aus jeweils einigen Textzeilen in griechisch-baktrischer Schreibweise, in der altindischen Gandhari-Schrift und in den unbekannten Schriftzeichen.

Kuschana-Schriftzeichen
Dieser Ausschnitt der Kuschana-Inschrift bedeutet König der Könige (fett) und war für die Entzifferung entscheidend. © Bobomullo Bobomulloev/ Collège de France, Natalie Korobzow

„Rosetta-Stein“ der Kuschana

Doch jetzt ist den Linguisten ein Glücksfall zu Hilfe gekommen: In der Almosi-Schlucht im Nordwesten Tadschikistans wurde im Jahr 2022 eine weitere zweisprachige Inschrift entdeckt – und sie hat sich als echter „Rosetta-Stein“ für die Kuschana-Schrift erwiesen. Der in eine Felswand geritzte Text besteht aus einer kurzen Passage in griechisch-baktrischer Schreibweise und einem Passus aus den unentzifferten Kuschana-Schriftzeichen.

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Das Spannende daran: In der baktrischen Inschrift kommt der kuschanische Königsname Vema Takhtu und der Titel „König der Könige“ vor – und beide Phrasen tauchen auch in dem trilingualen Text aus Afghanistan auf. Dies ermöglichte es Bonmann und ihrem Team, die entsprechenden Schriftzeichen der Kuschan-Schrift zu identifizieren. Durch Vergleiche umliegender Zeichenfolgen und Wörter gelang es den Linguisten, nach und nach weiteren Schriftzeichen mögliche Buchstaben und Laute zuzuordnen.

Schon gut 20 Zeichen entziffert

Damit es nun erstmals möglich, Zeichen und Worte der rätselhaften Kuschana-Schrift zu entziffern. Bonmann und ihr Team haben bereits 15 Konsonantenzeichen, vier Vokalzeichen und zwei Ligaturen entschlüsselt. Dies entspricht rund 60 Prozent der bisher bekannten Kuschana-Zeichen. Einen ersten Test hat die Entzifferung auch schon bestanden: Bei einer trilingualen Inschrift in der Hoq-Höhle im Jemen konnten die Forschenden mithilfe ihrer Transkription einen in den beiden anderen Sprachen eingeritzten Namen auch in der Kuschana-Schrift identifizieren.

Anhand der Ähnlichkeiten von Schreibweise, Lauten und Zeichen vermuten die Forschenden, dass es sich bei der Kuschana-Schrift um eine Abwandlung der auch im altpersischen Achämenidenreich gängigen aramäischen Schrift handelt. „Der oder die Schöpfer der neuentzifferten Schrift müssen die aramäische Schrift gekannt haben, wandelten sie aber durch ein neues System diakritischer Zeichen ab“, erklärt das Linguistenteam.

Dazu passt, dass die Kuschana-Schrift wahrscheinlich von rechts nach links geschrieben und gelesen wurde. „An einige Stellen scheinen die Zeilen am rechten Rand ein wenig höher, nach links hin dagegen stärker geneigt und nach unten absinkend, als wenn der Schreiber Probleme hatte, die Buchstaben in gerader Linie zu halten“, berichten Bonmann und ihre Kollegen. Das spreche dafür, dass diese Texte rechtsbündig seien.

So wurde die mysteriöse Schrift entziffert.© Universität zu Köln

Erste Hinweise auf die Sprache

Und noch eine fundamentale Frage könnte das Team geklärt haben: die Sprache, in der die Kuschana-Schrift verfasst ist. Demnach handelt es sich dabei um eine zuvor unbekannte Variante der in der Antike gebräuchlichen mitteliranischen Sprachen. „Die Sprache teilt mindestens eine phonologische Innovation mit dem Baktrischen und mit Mittelpersisch und ist lexikalisch dem Baktrischen ähnlicher als dem Khotansakischen“, so Bonmann und ihre Kollegen.

Die vorläufig „Eteo-Tocharisch“ getaufte Sprache könnte neben dem Baktrischen, Sanskrit und Gandhari eine der offiziellen Sprachen des Kuschana-Reichs gewesen sein. „Die Entzifferung kann dazu beitragen, unser Verständnis der Sprach- und Kulturgeschichte Zentralasiens und des Kuschana-Reichs auf eine neue Grundlage zu stellen“, sagt Bonmann.

Zudem bieten die jetzt erzielten Durchbrüche in der Entzifferung eine gute Voraussetzung, um demnächst auch weitere Inschriften und Zeichen der Kuschana-Schrift zu entschlüsseln. Denn mit jedem weiteren Buchstaben oder Wort, das nun zugeordnet wird, wird die weitere Entzifferung leichter. (Transactions of the Philological Society, 2023; doi: 10.1111/1467-968X.12269)

Quelle: Universität zu Köln

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