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Archäologie

Altar mit 150 zahnlosen Schädeln

Schädel aus mexikanischer Höhle entpuppen sich als mögliche Ritualopfer

Schädel
Diese in Chiapas entdeckten Schädel stammen aus präkolumbischer Zeit und stammen vermutlich von Opfern einer rituellen Enthauptung. © INAH

Gruselige Opfergaben: Als Forscher vor rund zehn Jahren fast 150 Schädel in einer mexikanischen Höhle entdeckten, hielten sie diese zunächst für Mordopfer moderner Menschenhändler. Doch jetzt zeigen nähere Analysen: Die Schädel sind schon rund tausend Jahre alt und gehörten wahrscheinlich Opfern einer rituellen Enthauptung. Reste von Holzstäben deuten darauf hin, dass die Schädel einst aufgespießt waren – möglicherweise als Teil eines Tzompantlis, eines präkolumbischen Schädelaltars.

Totenschädel hatten in vielen frühen Kulturen eine besonders Bedeutung – sowohl als Symbole der Macht und des Sieges über Feinde wie auch als Opfergaben für die Götter. Schon in der Steinzeit trennten Menschen die Köpfe von Toten ab und opferten sie bei Ritualen, wie am Steinzeitheiligtum Göbekli Tepe. Anderswo wurden Totenschädel auch aufgespießt und zur Schau gestellt. Die Azteken errichteten in ihrer Hauptstadt Tenochtitlan sogar ganze Altäre aus Schädeln, die sogenannten Tzompantlis.

Vom Polizeifall zum archäologischen „Cold Case“

Über einen weiteren Fund dieser Art berichten nun Archäologen des mexikanischen Nationalinstituts für Anthropologie und Geschichte (INAH). Vor rund zehn Jahren hatten Bewohner der Stadt Carrizal in Chiapas zahlreiche Schädel in einer nahegelegenen Höhle gefunden. Sie alarmierten umgehend die Polizei, weil sie es für den Tatort eines Verbrechens hielten – immerhin war die Grenze zu Guatemala nicht weit und die Gegend wurde von kriminellen Menschenhändlern heimgesucht.

Doch nähere Untersuchungen ergaben, dass diese Schädel nicht aus der Neuzeit stammen. Der Fall wurde daher den Archäologen vom INAH übergeben. Diese haben seither die teils fragmentierten Schädel und begleitende Funde analysiert und sie auf die Zeit zwischen 900 und 1200 nach Christus datiert. Die Schädel müssen damit von einer präkolumbischen Kultur stammen, die schon einige hundert Jahre vor den Azteken existierte.

150 zahnlose Schädel aus der präkolumbischen Zeit

„Wir wissen noch nicht genau, wie viele Schädel es sind, weil einige stark fragmentiert sind“, berichtet INAH-Archäologe Javier Montes de Paz. „Aber bisher sprechen wir hier von rund 150 Schädeln.“ Auffällig war zudem, dass die meisten dieser Schädel von Frauen stammten und dass es nur wenige andere Knochen gab – meist die langen Knochen der Beine. Von keinem einzigen Toten aus der Höhle wurde ein komplettes Skelett gefunden.

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Ungewöhnlich auch: Keiner der Schädel besaß noch Zähne, wie der Archäologe berichtet. Ob diese vor oder nach dem Tode der Opfer entfernt wurden, konnte noch nicht ermittelt werden. Diese Zahnlosigkeit erinnert jedoch an einige frühere Funde in Höhlen der Provinz Chiapas, in denen ebenfalls zahnreiche zahnlose präkolumbische Schädel entdeckt worden waren. In einer dieser Fundstätten waren fünf solcher Schädel auf einem hölzernen Gitter aufgereiht worden.

Opfer ritueller Enthauptung

Nach Ansicht der Archäologen spricht einiges dafür, dass die 150 Schädel aus der Comalapa-Höhle von einer rituellen Enthauptung stammen. Das Fehlen der restlichen Skelettknochen, sowie die Zahnlosigkeit seien in Indiz für diese in präkolumbischen Kulturen verbreitete Praxis. Ein weiteres Indiz dafür sind hölzerne, weitgehend parallel angeordnete Stäbe, die zwischen den Schädeln gefunden wurden.

Nach Ansicht von Montes de Paz könnten diese Holzstäbe vom Gerüst eines Schädelaltars ähnlich dem Tzompantli von Tenochtitlan stammen. Zwar wurden die Schädel aus Chiapas anders als die des Aztekenaltars nicht durchbohrt, um sie auf dem Gerüst zu befestigen. Wie der Archäologe erklärt, gab es damals aber auch Konstruktionen, an denen die Schädel ohne Durchbohrung der Knochen befestigt wurden. Möglicherweise wurden die Schädel auch einfach auf den Holzstäben aufgespießt.

Montes de Paz und seine Kollegen hoffen, dass weitere Funde künftig mehr Aufschluss über die präkolumbischen Opfer- und Bestattungspraktiken dieser Region geben werden. Sie haben bereits an die Bewohner der Region appelliert, potenziell interessante Funde unverzüglich zu melden, damit sie näher untersucht werden können.

Quelle: Instituto Nacional de Antropología e Historia (INAH)

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