Anzeige
Zellbiologie

„Töpferwerke“ von Mutter Natur

Wie Reibung die Embryonalentwicklung von Seescheiden vorantreibt

Seescheide
Seescheiden haben einiges mit uns Menschen gemeinsam – zumindest hinsichtlich ihrer Embryonalentwicklung. © Shutterstock/ISTA

Diese violett-weißen Röhren sehen aus wie Alien-Knollen von einem fernen Planeten, leben aber in den Meeren unserer Erde. Außerdem sind sie keine Knollen, sondern Tiere: Es handelt sich um Seescheiden und sie helfen der Wissenschaft dabei, die menschliche Embryonalentwicklung besser nachzuvollziehen. Gerade erst hat ein Forschungsteam mit ihrer Hilfe herausgefunden, wie genau Eizellen nach der Befruchtung ihre Form verändern. Demnach ist alles eine Frage der Reibung, wie die Forschenden in „Nature“ berichten.

Mit ihrem bunten, röhrenförmigen Körper gehören die zu den Manteltieren zählenden Seescheiden (Ascidiacea) wahrscheinlich zu den seltsamsten Geschöpfen des Meeres. Es ist daher nur schwer zu glauben, dass sie unter den wirbellosen Tieren als engste Verwandte des Menschen gelten. Die große Ähnlichkeit zeigt sich jedoch weniger in der gummiartigen Röhrenform, die erwachsene Seescheiden annehmen, wenn sie sich an Felsen und Korallen festankern, sondern vielmehr im Larvenstadium der Tiere.

Denn Seescheiden verbringen die erste Zeit ihres Lebens freischwimmend im Meer und durchlaufen dabei eine ähnliche Entwicklung wie embryonale Wirbeltiere – nur nicht ganz so komplex. In der Forschung gelten sie daher als idealer Modellorganismus, der mehr über die frühe menschliche Embryonalentwicklung offenbart.

Blick in die Eizelle

Genau wie bei uns Menschen und allen anderen Tieren beginnt auch das Leben einer Seescheide, wenn ein Spermium auf eine Eizelle trifft. Als Folge der Befruchtung fängt das Innere der Eizelle nun damit an, sich zu verändern. Im Falle der Seescheide bildet sich zum Beispiel eine kleine Beule – auch Kontraktionspol genannt –, in der sich wichtige Materialien für die spätere Reifung des Embryos sammeln.

Forschende um Silvia Caballero-Mancebo vom Institute of Science and Technology Austria (ISTA) haben nun erstmals untersucht, wie genau dieser Kontraktionspol entsteht. Dafür warfen sie einen mikroskopischen Blick in das Innere befruchteter Seescheiden-Eizellen und konzentrierten sich dabei insbesondere auf eine dynamische Struktur unter der Zellmembran: den Aktomyosin-Kortex. Er besteht aus Aktinfilamenten und Motorproteinen und dient im Allgemeinen als Motor für Formveränderungen in Zellen.

Anzeige

Reibung als Schlüssel

So auch im Fall der Seescheide: „Wir haben herausgefunden, dass sich der Aktomyosin-Kortex bei der Befruchtung von Zellen durch die erhöhte Spannung zusammenzieht und sich dadurch bewegt, was zu den ersten Formveränderungen der Zelle führt“, berichtet Caballero-Mancebo. Eine weitere entscheidende Rolle bei dieser Formwandlung spielt aber offenbar auch das Myoplasma, eine Schicht aus Zellorganellen und Molekülen.

Bewegt sich der Aktomyosin-Kortex, faltet sich das Myoplasma und bildet aufgrund der Reibungskräfte zwischen beiden Komponenten zahlreiche Knicke, wie die Forschenden erklären. Stoppt die Aktomyosin-Bewegung, verschwinden auch die Reibungskräfte. „Dieser Stillstand führt schließlich zur Ausdehnung des Kontraktionspols, da sich die zahlreichen Myoplasmawölbungen in einer gut definierten, glockenförmigen Beule auflösen“, so Caballero-Mancebo.

Das Forschungsteam vergleicht den Vorgang mit einem Töpfer, der weichen Ton allein mit dem Druck und der Reibung seiner Hände in neue Formen bringt. Ob auch in menschlichen Zellen derart „getöpfert“ wird, bleibt allerdings offen. (Nature Physics, 2024; doi: 10.1038/s41567-023-02302-1)

Quelle: Quelle: Institute of Science and Technology Austria

Teilen:
Anzeige

In den Schlagzeilen

News des Tages

Diaschauen zum Thema

Dossiers zum Thema

Wunderwelt Ozean - Zehn Jahre Volkszählung im Meer - „Census of Marine Life“

Schneekristall

Symmetrie - Geheimnisvolle Formensprache der Natur

Bücher zum Thema

Das Geheimnis des Lebens - Genetik, Urknall, Evolution von Joachim Bublath

Wunder Mensch - Eine Reise durch unseren Körper von Alexander Tsiaras und Barry Werth

Top-Clicks der Woche