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Medizin

Schlüssel zur Anpassung

Warum sind gerade behüllte Viren so epidemieträchtig?

Ob das neue Coronavirus SARS-CoV-2, Influenza, die Pocken oder Ebola: Es ist kein Zufall, dass viele Epidemien von behüllten Viren ausgelöst werden. Denn die Virenhülle erleichtert es diesen Erregern auch gleich mehrfache Weise, sich an neue Bedingungen anzupassen und so auch erfolgreich den Menschen zu befallen.

Raffinierte Tarnung

Ein Faktor ist ihr „Tarnmantel“: Die Membran der Virenhülle und einige in ihr sitzende Hüllproteine sind bei vielen Viren denen von typischen Wirtsmolekülen und Zellkomponenten sehr ähnlich. Dies hilft dem Erreger, sich gegenüber der Immunabwehr zu tarnen – er wird im Idealfall zunächst nicht als fremd erkannt. So besitzen beispielsweise einige Coronaviren Hüllproteine, die einem Teil der menschlichen Immunglobulin-G-Antikörper ähneln.

HI-Virus
Das HI-Virus nutzt die Glycoproteine seiner Hülle auch zur Tarnung vor dem Immunsystem. © NIH

Viele andere Viren nutzen zudem körpereigene Zuckermoleküle als Tarnüberzug. Diese Zucker, sogenannte Glykane, lagern sich an die Hüllproteine an und maskieren so deren charakteristische Enden. Gleichzeitig ähneln diese Zuckerüberzüge denen von körpereignen Proteinen, was die Erkennung des Virus als fremd zusätzlich erschwert. Beim HI-Virus machen diese Glykane fast 50 Prozent der Gesamtmasse seines Hüllproteins aus – sie bilden einen fast flächendeckenden Tarnmantel.

Täuschmanöver

Hinzu kommt: Die äußeren Enden der viralen Hüllproteine haben oft Vorsprünge oder schleifenförmige Seitenketten, die besonders variabel sind. Sie verändern sich schon durch kleine Mutationen im Erbgut des Virus, sind aber für die Funktion des Erregers nicht entscheidend. Das macht es ihm leicht, seine äußere Struktur schnell und oft zu variieren. Als Folge verlieren die Antikörper der Immunabwehr ihre Erkennungsmarker und Andockstellen – und das Virus bleibt ungeschoren.

Noch raffinierter ist die Strategie des Ebolavirus: Es produziert vor seinem Austreten aus der Wirtszelle „Täuschkörper“ – kleine Membranstücke mit aufsitzenden Proteinteilen, die die Antikörper des Wirts an sich locken und von den echten Viren ablenken.

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Zielgenaues Andocken

Doch es gibt noch einen Faktor, weswegen gerade behüllte Viren so oft neue Epidemien auslösen: Sie können sich relativ leicht an neue Wirte anpassen und so auch die Artbarriere vom Tier zum Menschen überspringen. Denn im Gegensatz zu unbehüllten Viren, die ihr Kapsid nur schwer verändern können, nutzen Influenza, Coronaviren und Co Teile eines Hüllproteins, um an bestimmte Rezeptoren auf ihren Wirtszellen anzudocken.

SARS-CoV-2
Das Spike-Protein auf der Virenhülle von SARS-CoV-2 dient dem Andocken an die Wirtszelle. © https://www.scientificanimations.com/ CC-by-sa 4.0

Nur wenn die Konfiguration dieser Bindungsstelle genau passt, kann das Virus die Zellen befallen. Weil nicht alle Körperzellen die gleichen Rezeptoren tragen, beeinflusst dies auch, welche Organe oder Gewebe ein Virus befällt. Beim Coronavirus SARS-CoV-2 beispielsweise ist das Spike-Protein so konfiguriert, dass es an den ACE2-Rezeptor auf menschlichen Atemwegs- und Lungenzellen andocken kann. Die Bindungsstelle des FSME-Virus, das die von Zecken übertragene Hirnhautentzündung hervorruft, ist dagegen an Rezeptoren auf Zellen des Nervensystems angepasst.

Prädestiniert für den Artsprung

Das Entscheidende jedoch: Die Bindungsstelle der behüllten Viren ist variabel und kann durch Mutationen ihre Konfiguration leicht ändern. Das ermöglicht es diesen Erregern, sich an die Zellrezeptoren neuer Wirte anpassen. Auch die Artbarriere zwischen verschiedenen Tierarten oder zum Menschen können sie so überwinden. Es ist daher kein Zufall, dass die meisten Zoonosen – neu von Tieren auf den Menschen überspringende Infektionskrankheiten – von behüllten Viren ausgelöst werden.

Das aktuellste Beispiel ist SARS-CoV-2: Ursprünglich hat sich dieses Coronavirus in Fledermäusen entwickelt, bevor es dann durch Mutationen die Fähigkeit erlangte, auch Menschen zu befallen. Über ein weiteres Tier – möglicherweise Pangoline – als Zwischenwirt ist es dann Ende 2019 in China auf den Menschen übergesprungen. Ob das Coronavirus alle dafür nötigen Anpassungen schon im Tier oder erst in den ersten menschlichen Wirten erworben hat, ist allerdings noch unklar.

Ebenfalls besonders gute „Artbarrieren-Springer“ sind die Influenzaviren. Viele der heute zirkulierenden Grippeviren stammen ursprünglich aus Vögeln, gleichzeitig entwickeln sich immer wieder neue Vogelgrippe-Varianten, die erste Anzeichen für eine Anpassung an den Menschen zeigen. Auch das Virus, das 1918 die verheerende Influenza-Pandemie verursachte, ist von einem Vogel auf den Menschen übergesprungen. Seine Nachfahren schafften es 2009, über den Umweg des Schweins erneut eine Pandemie auszulösen – die „Schweinegrippe“.

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Viren – Erfolgsmodell der Evolution
Was ist das Geheimnis von Coronaviren, Influenza und Co?

Sie sind überall
Viren in jeden Lebensraum und Organismus

Was sind Viren?
Simpler Aufbau mit maximaler Effizienz

Schlüssel zur Anpassung
Warum sind gerade behüllte Viren so epidemieträchtig?

Zellpiraten in Aktion
Wie sich Viren in unseren Zellen vermehren

Viren als Evolutionshelfer?
Wie Viren das Leben vorangebracht haben könnten

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