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Botanik

Misteln als Heilmittel?

Heutige Anwendung des immergrünen Gewächses

Obwohl die Mistel heute nicht mehr als heilige Zauberpflanze angesehen wird, gilt sie dennoch als ein natürliches Heilmittel.

Pflanze mit Vielzahl an Wirkstoffen

Zwar sind die Pflanzenteile und insbesondere die Beeren von Misteln im rohen Zustand und in zu hoher Dosis für den Menschen giftig. In der richtigen Zubereitung und Menge sollen aber einige Inhaltsstoffe der Mistel gegen verschiedene Erkrankungen wirksam sein. Dazu gehören zum Beispiel Proteine wie die sogenannten Mistellektine, sekundäre Pflanzen Inhaltsstoffe wie Flavonoide und Polyphenole sowie verschiedene Enzyme, Fette, und Mineralien wie Kalium.

Um diese Wirkstoffe für den Menschen nutzbar zu machen, können beispielsweise einige getrocknete Mistelblätter über Nacht im kalten Wasser angesetzt, abgeseiht, dann erwärmt und als Misteltee getrunken werden. Oder die Blätter und Zweige der Mistel werden ausgepresst, mit Wasser verdünnt und mit weiteren Stoffen angereichert, sodass ein Mistelextrakt entsteht. Dieser kann dann unter die Haut injiziert oder als Saft eingenommen werden kann. Auch in Salben oder Tabletten werden Misteln verarbeitet.

Krebs den Kampf ansagen

Mistelblätter
Misteln bilden etwa zwei Jahre nach der Keimung ihre typischen immergrünen Blätter aus, die heute zu Arzneien verarbeitet werden. © Lamers Sabine/ gemeinfrei

Besonders bekannt ist der Einsatz von Mistelextrakten bei Krebstherapien. Bereits vor rund 95 Jahren führte der Anthroposoph Rudolf Steiner erste tierexperimentelle Versuche zur Wirksamkeit der Mistel durch. Sein Ergebnis: 188 von 282 mit Krebs infizierten Mäusen, denen zehn bis 20 Tage lang Mistelextrakte injiziert wurden, reagierten deutlich positiv, 39 wurden sogar völlig geheilt.

Als entscheidende Inhaltstoffe der Mistel gelten dabei die Lektine, die das Immunsystem aktivieren sollen, sowie das Polypeptid Visotoxin, das als zellteilungshemmend angesehen wird und wie ein mildes Zellgift wirkt. Bei der Aktivierung des Immunsystems spielen außerdem auch weitere Inhaltstoffe der Mistel wie die Aminosäure Arginin, pflanzliche Poly- und Oligosaccharide sowie ein recht hoher Anteil an Vitamin C eine Rolle.

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„Fieber-Effekt“ hervorrufen

Auf Basis von Steiners Ergebnissen entwickelte die Ärztin Ita Wegman ein erstes Mistelpräparat, Iscador. Und durch weitere Forschung werden dieses und weitere Mistelextrakte noch heute zur unterstützenden Krebsbehandlung benutzt. Laut der deutschen Krebsgesellschaft behandeln Mediziner um die 60 bis 70 Prozent aller Patienten mit Mistelextrakten. Jedoch nur als Neben- oder Nachbehandlung – nicht, um den Krebs direkt zu bekämpfen.

„Mit der Misteltherapie ist es nicht möglich, einen Tumor zu beseitigen“, betont der Onkologe Bernd Labonte vom Gemeinschaftskrankenhaus Witten-Herdecke. Dazu sind Operation, Chemotherapie und Bestrahlung erforderlich, so der Mediziner.

Denn die Mistelextrakte selbst können die Tumorzellen nicht abtöten. Sie wirken stattdessen anregend auf das Immunsystem, indem sie unter anderem wie beim Fieber eine erhöhte Körpertemperatur erzeugen. Dadurch arbeitet dann das Immunsystem auf Hochtouren und der Körper wird angeregt sich selbst zu heilen. Außerdem können die Lektine nach aktuellem Kenntnisstand dafür sorgen, dass die Zahl natürlicher Killerzellen, Lymphozyten und Granulozyten ansteigt, die für die Immunabwehr nötig sind.

Nebenwirkungen abgeschwächt

Zusätzlich sollen die Extrakte auch die Nebenwirkungen von Chemo- und Strahlentherapien vermindern, so Labonte. Erfahrungsberichten zufolge verbessert sich bei manchen Betroffenen durch die Einnahme von Mistelextrakten ihr Allgemeinbefinden: ihr Appetit steigert sich, sie nehmen an Gewicht zu, leiden seltener unter Erbrechen und Übelkeit und haben ein gesteigertes Leistungsvermögen sowie bessere Stimmung und klagen weniger über Schlafstörungen.

Zudem zeigte sich bei einer Studie, dass über 700 Brustkrebs-Patientinnen, die das Mistelpräparat Iscador begleitend zur Basisbehandlung einnahmen, im Vergleich zur Kontrollgruppe deutlich weniger durch die herkömmlichen Therapien bedingte Nebenwirkungen hatten. Zudem hatten die Patientinnen eine längere Überlebenszeit.

Brustrekbszelle
Beim Kampf gegen solche Brustkrebszellen sollen Mistelextrakte helfen. © National Cancer Institute

Auch die Behandlung von Patienten mit Leber- oder Bauchspeicheldrüsenkrebs könnte mit Mistelextrakten unterstützt werden: Wissenschaftler der Universitätsklink Münster um Johannes Müthing haben untersucht, inwiefern das Zellgift Viscumin aus der Mistel bösartigen Tumore bekämpfen kann. Viscumin gilt als zellschädigend, da es den Aufbau lebenswichtiger Eiweißstoffe hemmt. In ihren Tests konnten die Forscher bereits beobachten, dass im Labor hergestellte Varianten des Viscumins bevorzugt an Krebszellen binden und anschließend in die Zelle gelangen.

Die Wirkstoffe der Mistel künstlich herzustellen, funktioniert heute bereits über gentechnische Verfahren. Sie können so in gleichbleibender Konzentration und Qualität produziert werden, was eine Misteltherapie effektiver machen kann.

Nicht unumstritten

Vor der Anwendung von Mistelextrakten als Begleitung zur Krebstherapie ist aber immer ein Gespräch mit dem behandelnden Arzt ratsam. Denn die Einnahme wird nicht von allen Wissenschaftlern und Ärzten empfohlen. Beispielsweise ist ein Forscherteam um Anna-Maria Lange-Lindberg vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information in einer Metaanalyse mit rund 500 Studien zur Misteltherapie zu dem Schluss gekommen, dass eine Misteltherapie begleitend zur Chemotherapie weder ratsam, noch sehr empfehlenswert ist.

Insbesondere für bestimmte Patienten sollen Mistelextrakte nicht geeignet sein: Umstritten ist zum Beispiel die Anwendung bei Krebsarten, die vom Immunsystem ausgehen wie Leukämie. Denn bei diesen Erkrankungen sind besonders Zellen des Abwehrsystems betroffen, die durch die immunstimulierenden Mistel-Wirkstoffe möglicherweise beeinträchtigt werden.

Auch Patienten mit speziellen Hirntumoren wird meist von Mistelextrakten abgeraten, da ein erhöhtes Risiko besteht, dass sich unter anderem Wassereinlagerungen bilden. Zudem sollten die Mistel-Medikamente nicht während der Therapie mit anderen immunanregenden Medikamenten angewendet werden.

Gegen Bluthochdruck

Neben der seit Langem bekannten Krebstherapie mit Misteln, wurde das immergrüne Gewächs vor einigen Jahren auch als das beste Pflanzenmittel gegen Bluthochdruck gepriesen Für eine ausreichende Blutdrucksenkung sollte man drei Tassen Misteltee pro Tag trinken und zusätzlich weitere Heilpflanzen wie Sanddorn in den Tee geben.

Heute ist die Mistel als Blutdrucksenker zwar weiterhin bekannt, aber wird gezielter und nur in bestimmten Fällen in der Naturheilkunde eingesetzt: Manche Heilkundler nutzen Mistelsaft unter anderem als Rohstoff für blutdrucksenkende Präparate oder verschreiben Tabletten mit Mistelanteilen zur unterstützenden Behandlung bei leicht erhöhtem Bluthochdruck. Zudem werden manchmal auch speziell zusammengestellte Injektionen mit Inhaltsstoffen der Mistel wie die Lektine gespritzt. Diese Mistelwirkstoffe sollen unter anderem die Ausschüttung von Botenstoffen wie Seratonin, das eine starke Wirkung auf den Blutdruck hat, verringern können. Andere Heilkundler vertrauen hingegen auf einen Trank aus Misteln und Apfelessig.

Zudem stellten Forscher um Sagar Bachhav vom Institut für pharmazeutische Ausbildung und Forschung im indischen Bundesstaat Maharashtra an Versuchen mit Ratten fest, dass die aus der Mistel gewonnene Oleanolsäure in bestimmten Fällen blutdrucksenkend wirken kann. Laut ihrer Studie kann dieser Mistelwirkstoff eingesetzt werden, wenn Patienten mit blutdruckerhöhenden Steroidhormonen, wie zum Beispiel Cortison, behandelt werden. Für den Menschen muss diese Wirksamkeit aber noch getestet werden.

Auch gegen Herzbeschwerden, Unfruchtbarkeit und Co.?

Obwohl es dafür bisher keine handfesten wissenschaftlichen Beweise gibt, versprechen sich manche Naturheilkundler noch weitere Nutzen von Mistelpräparaten: Bestimmte Injektionen sollen das Herz-Kreislauf-System unterstützen und Schlaganfällen vorbeugen oder gegen Alterserscheinungen am Herzen helfen. Auch sowie bei Arteriosklerose und Herzstörungen bei jüngeren Patienten sollen die Inhaltsstoffe des immergrünen Gewächses angeblich helfen.

Zusätzlich versprechen sich manche von Mistelextrakten eine krampflösende und blutstillende Wirkung und empfehlen sie deshalb bei übermäßigen Unterleibsblutungen oder Nasenbluten. Misteltropfen sollen zudem angeblich die Unfruchtbarkeit der Frau beheben können, wenn man davon zweimal täglich 25 Tropfen vor dem Essen einnimmt. Andere Naturheilkundler versprechen sich auch eine Linderung von Gelenkschmerzen, wenn der Misteltee für einen Umschlag genutzt wird.

Diese Heilmethoden sind aber nicht nur kaum wissenschaftlich geprüft, sondern können auch zu Nebenwirkungen führen: Die Einnahme von Mistelpräparaten kann beispielsweise unter anderem zu leichten Rötungen und Schwellungen, grippeähnliche Symptome, allergische Reaktionen oder Verhärtungen im Fettgewebe führen.

 

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Misteln
Raffinierter Parasit und traditionsreiche Heilpflanze

Leben auf dem Baum
Entstehung und Verbreitung von Misteln

Halbschmarotzer Mistel
Misteln als „grüner Mitesser"

Folgen zunehmendes Mistelbefalls
Wie Misteln ihrem Wirt zum Feind werden

Mythen um Misteln
Medizinprodukt der Vergangenheit

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