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Botanik

Leben auf dem Baum

Entstehung und Verbreitung von Misteln

Wenn bei uns im Winter die Laubbäume kahl werden, werden sie sichtbar: Misteln (Viscum). Die immergrüne Pflanze aus der Familie der Mistelgewächse findet sich hauptsächlich an den oberirdischen Teilen des Stamms und des Geästs von Gehölzen wie Laub- und Nadelbäumen und bildet dort typischerweise kleine Nester.

Misteln sind weltweit in den Tropen, Subtropen und gemäßigten Zonen verbreitet. In Deutschland ist vor allem die „Weißbeerige Mistel“ (Viscum album) bekannt. Je nachdem, auf welcher Pflanze sie wächst, unterscheidet man zwischen den Unterarten Tannen-, Kiefern- und Laubholzmistel. Da Misteln nicht auf dem Boden, sondern nur als Aufsitzer auf anderen Pflanzen wachsen, werden sie als Epiphyten bezeichnet.

Bestäubung und Verbreitung durch tierische Helfer

Doch wie gelangen die Misteln auf Tanne, Apfelbaum und Co.? Dafür hat sich im Laufe der Evolution eine raffinierte Strategie entwickelt, bei der die Misteln von unterschiedliche tierischen Helfern profitieren. Misteln sind zweihäusig, bilden also entweder männliche und weibliche Pflanzen. Sie sind daher auf eine Bestäubung angewiesen, den Transport des Pollens von der männlichen zur weiblichen Pflanze.

Mistelblüte
Die Blüten einer Mistelpflanze. © Frank Vincentz/ CC-by-sa 3.0

Die Mistel begünstigt dies, indem sie im Frühjahr etwa zwischen März und Mai blüht, während die Bäume, auf denen sie wächst, noch kahl sind. So entdecken Insekten, darunter vor allem Fliegen, die unscheinbar gelblich-grünen Blüten leicht und bestäuben die Mistelpflanzen. Im Spätherbst bilden die Misteln dann kleine meist weiße, gelbe oder auch rote Beerenfrüchte. Sie bleiben den gesamten Winter über etwa bis Januar oder März erhalten – und sind dann in den kahlen Ästen der Bäume leicht auszumachen.

Und auch das ist wieder ein „Trick“ der Misteln: Da die Vögel im Winter wenig Nahrung finden, sind die Mistelbeeren für sie eine auffällige und beliebte Futterquelle. Vor allem die Misteldrossel (Turdus viscivorus) oder der Seidenschwanz (Bombycilla garrulus) sowie die Blaumeise (Parus caeruleus) oder der Kleiber (Sitta europaea) verspeisen die Beeren.

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Der Vorteil für die Mistel: Die tierischen Helfer verbreiten dadurch die in den Beeren enthaltenen Samen. Denn diese sind nicht durch eine für Pflanzen typische Samenschale geschützt. Stattdessen hat sich im Laufe der Zeit einer klebrigen Schicht aus Cellulose und pflanzlichen Zuckern als deutlich vorteilhafter erwiesen. Denn durch diesen Schleim, das Viscin, bleiben die klebrigen Samen leicht am Geäst eines Baumes haften, wenn die Vögel die Samen vor dem Essen der Beeren mit dem Schnabel abstreifen.

Mistelbeeren
Die Beeren der Mistel tragen die klebrigen Samen in sich. © H. Zell/ CC-by-sa 3.0

Selbst wenn Drossel, Meise und Co. die Mistelbeeren samt der Samen verspeisen, erfüllt das Viscin seinen Zweck: Die Schleimhaut ist für die Vögel schwer verdaulich, sodass die Samen mit ihrer Viscinhülle nach der Verdauung durch den Tierdarm erhalten bleiben und über den Kot ausgeschieden werden. So können sich die Samen an die Zweige anheften, auf die der Vogel sie ablässt.

Wie der Keimling den Baum erobert

An einen Zweig von Laub- oder Nadelbäume geheftet, entstehen dann im Frühjahr aus den Samen der Mistel Keimlinge. Und auch dabei gibt es bei der Mistel eine Besonderheit: Statt den zarten grünen Keimling zur Sonne auszurichten, wie sonst bei Pflanzenkeimen üblich, wächst ihr Keimblattstamm, das Hypokotyl, der dunklen Rinde ihres Baums entgegen. Innerhalb von rund 60 Tagen bildet sich dann unter den winzigen Keimblättern an der Rinde eine Haftscheibe, die als Haustorium bezeichnet wird. Durch dieses Organ bekommt der Keimling genügend Halt am Baum.

Dann folgt der nächste Schritt: Aus dem Haustorium wächst eine sogenannte primäre Senkwurzel, die innerhalb mehrerer Wochen tiefer in das Holz eindringt und die Rinde des Geästs durchwächst. Dabei werden die Rindenzellen aufgelöst, indem die Mistel ein bestimmtes Enzym ausscheidet.

Diese erste Wurzel wächst so weit, dass sie den lebenden Teil des Baumes erreicht: In der Regel gelangt sie nach zwei Monaten an die Gewebeschicht des Baumes, das Kambium, und wird darin automatisch eingebettet. Im Umkreis des Primärsenkers wird der Baum dazu angeregt, seine Zellen zu vermehren, sodass der Zweig, auf dem die Mistel langsam wächst, anschwillt. Im Laufe der Monate entstehen ausgehend vom Primärsenker weitere Wurzeln, die waagerecht in den Ast und dann in den Baumstamm hineinwachsen und so ein Netz bilden.

Damit hat die Mistel sich nicht nur an ihrem Baum verankert, sondern sich auch Zutritt zu dessen Lebensadern verschafft.

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Misteln
Raffinierter Parasit und traditionsreiche Heilpflanze

Leben auf dem Baum
Entstehung und Verbreitung von Misteln

Halbschmarotzer Mistel
Misteln als „grüner Mitesser"

Folgen zunehmendes Mistelbefalls
Wie Misteln ihrem Wirt zum Feind werden

Mythen um Misteln
Medizinprodukt der Vergangenheit

Misteln als Heilmittel?
Heutige Anwendung des immergrünen Gewächses

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