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Phänomene

Krieg der Affen

Der Schimpansenkrieg von Gombe

Die Suche nach dem Krieg der Tiere beginnt bei unseren engsten Verwandten: den Schimpansen. Da unsere beiden Spezies von demselben gemeinsamen Vorfahren abstammen, teilen wir einen Großteil unserer DNA. Auch sonst sind wir uns sehr ähnlich: Wir pflegen enge soziale Beziehungen, nutzen Werkzeuge und haben eine ausgeklügelte Kommunikation. Doch Schimpansen und Menschen teilen auch einige ihrer dunkelsten Seiten miteinander.

Schimpansen Kampf
Der Tod von Schimpanse Godi markierte die entscheidende Wende im Konflikt. © USO/ iStock

Überfall im Dschungel

Im Jahr 1974 sitzt ein Schimpansen-Männchen namens Godi friedlich auf einem Baum und tut sich dort an Früchten gütlich. Wie aus dem Nichts springen auf einmal sechs weitere Männchen aus dem Hinterhalt hervor. Godi hetzt zu Boden, rennt los, doch eines der Männchen packt ihn am Bein. Er fällt. Die Angreifer stürzen sich auf ihn, beißen, schlagen, treten ihn mehr als zehn Minuten lang. Als sie endlich von ihm ablassen und verschwinden, liegt Godi regungslos am Boden. An Gesicht, Bein und Brust klaffen schwere Wunden. Er stirbt.

Was ist passiert? Godi war in den 1970er Jahren das erste Opfer des sogenannten Schimpansenkrieges von Gombe. Die Kriegsfront bestand damals aus zwei verfeindeten Stämmen: dem Kasakela-Stamm im Norden des tansanischen Gombe-Nationalparks und dem Kahama-Stamm im Süden. Früher bildeten beide eine einzige große Gruppe, doch der Tod ihres Anführers im Jahr 1971 führte schließlich dazu, dass sich neun erwachsene Schimpansen samt Jungtieren abspalteten und eine separatistische Gruppe im Süden bildeten. Sie wurden zu den Kahama.

Schimpansengruppe
Im Schimpansenkrieg kämpfte der Kasakela-Stamm gegen die Kahama. © Editorial12/ iStock

Wie ein Guerilla-Krieg

In den folgenden Jahren wuchsen die Spannungen zwischen beiden Stämmen. Am Anfang äußerten sich die Aggressionen noch vorwiegend in Geschrei und Dominanzgehabe zwischen den verfeindeten Männchen. Doch der Überfall auf Godi markierte schließlich eine entscheidende Wende im Konflikt. Von dort an begannen die Kasakela-Männchen, die separatistischen Kahama systematisch zu jagen. Das Muster blieb dasselbe: Die Kasakela-Schimpansen warteten einen günstigen Zeitpunkt ab, um einen der Kahama einzeln zu erwischen und zerfleischten ihn dann gemeinsam.

Biologen vergleichen die Taktik der Schimpansen dabei mit der eines Guerilla-Krieges, bei der kleine Gruppen plötzliche, unerwartete Anschläge verüben und sich dann blitzschnell wieder in ihre Verstecke zurückziehen. Vier Jahre dauerte der blutige Guerilla-Krieg in Gombe an – bis den Kasakela 1978 schließlich auch das letzte Kahama-Männchen in die Falle ging. Die Kahama-Schimpansen waren damit komplett ausgelöscht, ihr Gebiet nun wieder im Besitz der Kasakela.

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„Hätten sie Gewehre, sie würden sie nutzen“

Die Beobachtung dieses Schimpansenkrieges stellte damals das Bild der angeblich friedliebenden Affen komplett auf den Kopf. Primatenforscherin Jane Goodall, die einige der blutigen Attacken mit eigenen Augen beobachtet hat, zieht das Fazit: „Wenn Schimpansen Gewehre und Messer hätten und wüssten, wie man mit ihnen umgeht – sie würden sie benutzen wie der Mensch.“ Das gilt längst nicht nur für die Schimpansen in Gombe. Seit den 1970er Jahren konnten Forschende auch andernorts ähnlich kriegerisches Schimpansen-Verhalten beobachten.

So organisierten etwa die Ngogo-Schimpansen im ugandischen Kibale-Nationalpark zwischen 1999 und 2009 regelmäßige Kriegszüge, bei denen freiwillige Trupps tief in die Gebiete ihrer Rivalen vordrangen und diese auch angriffen. Innerhalb von zehn Jahren konnten die Ngogo-Schimpansen so ihr eigenes Territorium um 22 Prozent erweitern. Der Preis: 13 tote Rivalen. Das eroberte Gebiet bot den Affen jedoch mehr und bessere Nahrung. Dadurch wuchs die Gruppe und auch ihre Lebenserwartung stieg, wie Biologen ermittelt haben.

Auch die Schimpansen in Uganda bekriegen sich. © Still Watching Netflix

Auch bei einer ungewöhnlichen Auseinandersetzung im Jahr 2019 könnte die Konkurrenz um Nahrung eine entscheidende Rolle gespielt haben. Damals beobachteten Wissenschaftler um Lara Southern von der Universität Osnabrück im Loango-Nationalpark in Gabun gleich zwei Schimpansenangriffe – in diesem Fall allerdings nicht auf Artgenossen, sondern auf Gorillas. Zwei Gorilla-Jungtiere starben. „Es könnte sein, dass die Schimpansen die Gorillas als Konkurrenten um Nahrung und Lebensraum ansahen und ähnlich aggressiv reagierten wie auf rivalisierende Schimpansengruppen“, vermutet das Forschungsteam.

Auf Patrouille

Die Kriegsakte der Schimpansen ähneln jedoch nicht nur hinsichtlich ihrer Brutalität denen von uns Menschen, sondern auch in Bezug auf ihr taktisches Vorgehen. So lassen sich Schimpansen zum Beispiel immer wieder dabei beobachten, wie sie in kleinen Gruppen entlang ihrer Gebietsgrenzen auf Patrouille gehen. „Während dieser Patrouillen sind die Tiere untypisch ruhig und bleiben oft stehen, um aufmerksam zu lauschen, offenbar auf Anzeichen anderer Schimpansen“, beschreiben Joseph Manson von der University of Michigan und seine Kollegen die Grenzgänge.

Spähposten
Verteilung der Spähposten im Grenzbereich zweier Schimpansen-Territorien © Lemoine et al./ PLoS Biology, 2023/CC-by 4.0

In einem Nationalpark der Elfenbeinküste beobachten Biologen außerdem immer wieder, wie Schimpansen auf „Spionage-Hügel“ klettern, um von dort feindliche Gruppen auszuhorchen und so deren Position und Anzahl in Erfahrung zu bringen. Diese Informationen helfen den „Spionen“ dann dabei, sichere Routen durchs Feindesland zu planen. Ein Forschungsteam um Sylvain Lemoine vom Taï Chimpanzee Project fand heraus, dass die Schimpansen mit 40-prozentiger Wahrscheinlichkeit ins fremde Gebiet vordringen, wenn ihre Feinde 500 Meter entfernt sind. Bei einer Entfernung von drei Kilometern liegt die Wahrscheinlichkeit bereits bei 60 Prozent.

„Die Nutzung der Landschaft zur Kontrolle des Territoriums ist tief in unserer Evolutionsgeschichte verwurzelt. In dieser kriegsähnlichen Strategie der Schimpansen sehen wir vielleicht Spuren der Proto-Kriegsführung in kleinem Maßstab, die wahrscheinlich in prähistorischen Jäger- und Sammlerpopulationen existierte“, so Lemoine.

Schimpanse aggressiv
Wie menschlich sind die Kriege der Schimpansen wirklich? © USO/ iStock

Düster, aber nicht böse

Ist das, was die Schimpansen da tun, also wirklich Krieg im menschlichen Sinne? Gut möglich, sagte Jane Goodall in einem Spiegel-Interview. Sie sieht aber dennoch einen entscheidenden Unterschied zwischen Mensch und Schimpanse: „Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass das Böse etwas ist, wozu nur Menschen fähig sind.“ Wenn Schimpansen in den Krieg ziehen, geht es ihnen wahrscheinlich nicht um die Gewalt an sich, sondern um die Erschließung neuer Nahrung und Gebiete. Dass die Kasakela die Kahama angegriffen haben, lag also eher nicht darin begründet, dass sie es den „Abtrünnigen“ heimzahlen wollten.

Auch könnte die Kriegsführung den Fortpflanzungserfolg der Schimpansen erhöhen. Denn wenn Weibchen nach Erreichen der Geschlechtsreife ihre Gruppe verlassen, schließen sie sich bevorzugt großen, wehrhaften Schimpansengruppen an. Es ist daher gut möglich, dass einige der gewaltsamen Akte dem Zweck dienen, Weibchen in die eigene Gruppe zu locken.

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Krieg im Tierreich
Von tierischen Patrouillen, Schlachten und Lazaretten

Die Kultur des Krieges
Liegt das Kämpfen in unserer Natur?

Krieg der Affen
Der Schimpansenkrieg von Gombe

Sex auf dem Schlachtfeld
Paarungsbereite Zebramangusten zetteln Schlachten an

Mein Land, dein Land
Wenn territoriale Streitigkeiten eskalieren

Im Lazarett
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