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Genetik

Laubfrosch: Geschlechtsgene viel jünger als gedacht

Wie bei den Amphibien Männchen und Weibchen entstehen

Europäische Laubfrösche bei der Paarung. © Guillaume Evanno / SNF

Ein Schweizer Forscherteam hat herausgefunden, dass der Europäische Laubfrosch Hyla arborea ein genetisches System zur Geschlechtsbestimmung besitzt, das sich erst vor zwei oder drei Millionen Jahren entwickelt hat. Die in der Fachzeitschrift „Proceedings of the Royal Society B“ erschienene Studie wirft ein neues erstaunliches Licht auf die Theorie der für die Entstehung der beiden Geschlechter verantwortlichen Gene.

Das Sexualleben des Europäischen Laubfrosches ist bei Biologen ein begehrtes Forschungsthema geworden. Ihre Neugierde geweckt haben die genetischen Mechanismen, aufgrund derer beim kleinen grünen Frosch weibliche oder männliche Individuen entstehen. Die sexuelle Differenzierung in ihrer gegenwärtigen Ausprägung ist bei dieser Art nämlich erst vor zwei oder drei Millionen Jahren entstanden – im Zeitmassstab der Evolution also quasi gestern.

Noch erstaunlicher: In einer neuen Studie zeigt Nicolas Perrin, Professor an der Abteilung für Ökologie und Evolution der Universität Lausanne, dass die Analyse der Laubfroschgene der anerkannten Theorie der Entstehung der für die sexuelle Differenzierung verantwortlichen Gene und Chromosomen widerspricht.

Theorie widerlegt?

Nach dieser Theorie waren die X- und Y-Chromosomen der Säugetiere vor fast 300 Millionen Jahren identisch, ein Chromosomenpaar wie alle anderen. Dann entstand durch eine Mutation auf dem zukünftigen Y-Chromosom ein neues Gen, das SRY-Gen, das für die sexuelle Differenzierung verantwortlich wurde und einen früheren, völlig unbekannten Mechanismus ersetzte. Die Träger der neuen Mutation differenzierten sich zum männlichen, die anderen zum weiblichen Geschlecht.

Die Theorie geht weiter davon aus, dass andere Mutationen in unmittelbarer Nähe des SRY-Gens die Struktur des zukünftigen Y-Chromosoms schrittweise so veränderten, dass keine Rekombination mit seinem Zwilling, dem X-Chromosom, stattfinden konnte. Wenn sich das SRY-Gen nämlich gleichzeitig auf beiden Chromosomen befindet, macht dies jeden Vorteil des Gens zunichte. Im Gegensatz zu den anderen Chromosomenpaaren, die von Generation zu Generation ständig Gene austauschen, schläft das XY-Paar in getrennten Zimmern.

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Degeneration unausweichlich

Da dem Y-Chromosom eine regelmäßige Erneuerung versagt blieb, war seine Degeneration unausweichlich, und nur die an der sexuellen Differenzierung beteiligten Gene blieben erhalten. Bei allen anderen Genen sammelten sich die Mutationen an, bis sie schließlich – abgesehen von der Kopie auf dem X-Chromosom – verschwanden.

„Dasselbe Szenario wird im Allgemeinen auch für alle anderen Organismen mit differenzierten Geschlechtschromosomen, wie Vögel, Schlangen oder bestimmte Pflanzen, angenommen“, sagt Perrin. „Der Europäische Laubfrosch kümmert sich aber in keiner Weise um diesen Fahrplan.“

Junge Gene

Die Forscher haben bei diesem Lurch Geschlechtsgene gefunden, wissen aber noch nicht, auf welchem Chromosom sie sich befinden. Diese Aufgabe wird durch den Umstand erschwert, dass das Genom dieser Art noch nicht entschlüsselt ist. Außerdem sind die Gene noch so jung, dass unter dem Mikroskop noch keine Degenerationen der Chromosomen erkennbar sind.

Überraschend ist allerdings, dass die erforderliche Rekombination nicht nur in der Nähe der geschlechtsbestimmenden Gene oder auf dem betroffenen Chromosom unterbunden ist, wie es die etablierte Theorie erwarten lässt. Die Forscher haben eine allgemeine Hemmung der Rekombination im gesamten männlichen Genom festgestellt. Bei Männchen mischen sich die von der Mutter geerbten Chromosomen nicht mit denen des Vaters.

„Möglicherweise ist dies darauf zurückzuführen, dass die geschlechtsbestimmenden Gene so jung sind“, sagt Perrin. „Die Rekombinationsvorgänge bei Männchen einfach ohne Unterschied vollständig zu blockieren, könnte zu Beginn die sicherste Lösung der Natur gewesen sein, um den neuen Mechanismus zu erhalten. Im Verlaufe der Zeit kann diese Blockierung nach und nach gelockert werden, bis sie sich nur noch auf das betroffene Chromosom beschränkt.“ Es ist erstaunlich, dass die Natur den Lösungsansatz für ein scheinbar so einfaches Problem variiert: Individuen zweierlei Geschlechts zu produzieren.

Anpassung an Umweltveränderungen?

Die Antwort könnte nach Angaben der Wissenschaftler in der Anpassung an veränderte Umweltbedingungen liegen. Bei Fischen, Reptilien und Amphibien ist die Bruttemperatur ein wichtiger Faktor der Geschlechtsbestimmung der Nachkommen. Da diese Tiere wechselwarm sind, reagieren sie sehr empfindlich auf klimatische Veränderungen, die ihre Entwicklungsgeschichte prägten (und auch in Zukunft prägen werden). Vielleicht muss deshalb ihr genetisches System der Geschlechtsbestimmung anpassungsfähig bleiben, vermuten die Forscher.

Im Gegensatz dazu besitzen die Warmblüter, die Vögel und Säugetiere, die eine konstante Bruttemperatur aufrecht erhalten können, ein System, das sich seit langer Zeit nicht mehr verändert hat.

(idw – Schweizerischer Nationalfonds SNF, 22.10.2008 – DLO)

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