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Physik

Nano-Nadeln beim Schlittschuhlaufen erwischt

Dünne Nanofasern in paradoxer Zickzack-Bewegung beobachtet

Zickzack-Bewegung der Nadel © Universität München

Münchener Wissenschaftler haben das Verhalten von Systemen aus langen, dünnen Nano-Nadeln genauer analysiert. Weil die Fasern in Bewegung kollidieren, kommt es normalerweise zu einer starken gegenseitigen Behinderung, wie man es etwa auch von Molekülen in Flüssigkeiten kennt. Die Physiker konnten nun aber einen unerwarteten, neuen Effekt nachweisen: Die Diffusion der Fasern wird trotz der Behinderung nicht langsamer, sondern die Fasern bewegen sich sogar bis zu über 100mal schneller als erwartet – und zwar in einer weiträumigen Zickzackbewegung.

„Die Spuren der Bewegung ähneln denen eines Schlittschuhläufers“, berichtet Thomas Franosch vom Lehrstuhl für Statistische Physik der Universität München in der Fachzeitschrift „Physical Review Letters“. „In unserer Arbeit konnten wir die grundlegenden Mechanismen der erhöhten Diffusion erklären. Wir erwarten, dass diese Ergebnisse zu weiterer herausfordernder Grundlagenforschung führen werden.“

Das Verhalten einfacher Gase wie Sauerstoff oder Helium ist sehr gut verstanden, seit die Physiker Rudolf Clausius, James Clerk Maxwell und Ludwig Boltzmann Mitte des 19. Jahrhunderts die kinetische Gastheorie entwickelten. Völlig anders aber stellt sich die Situation für dichte Systeme aus sehr langen, dünnen Fasern dar, wie sie aktuell in der Nanotechnologie sehr intensiv untersucht werden. Wenn sich eine solche Faser dreht, stößt sie sofort mit vielen anderen Fasern zusammen, und es kommt zu einer starken gegenseitigen Behinderung – ähnlich wie in Flüssigkeiten.

Schlittschuhlaufen in der Nanowelt

Die Wissenschaftler Felix Höfling, Professor Erwin Frey und Franosch fanden nun aber einen unerwarteten neuen Effekt: Die Diffusion der Fasern wird trotz der starken Behinderungen nicht langsamer, vielmehr erhöht sich ihre Geschwindigkeit dramatisch. „Anhand eines einfachen Modells und umfangreicher Computersimulationen konnten wir beobachten, dass sich die Fasern über 100mal schneller bewegen als erwartet“, berichtet Franosch.

Dieser Effekt lässt sich auf eine weiträumige Zickzack-Bewegung der Fasern zurückführen, die Spuren der Bewegung ähneln den Bahnen eines Schlittschuhläufers. Physikalisch formuliert: Ein Axiom der kinetischen Gastheorie ist die Hypothese des molekularen Chaos, von Boltzmann Stoßzahlansatz genannt. Demnach ist die Bewegung der Moleküle nach einem Stoß unabhängig von ihrer vorherigen Bewegung.

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Dadurch aber wird eine statistische Beschreibung mit Hilfe zufälliger Prozesse möglich, und die makroskopischen Eigenschaften sind von den mikroskopischen Details der Stöße unabhängig.

Hypothese nur teilweise gültig

Für lang gestreckte Fasern, so ein Ergebnis der Arbeit, ist diese Hypothese nur noch teilweise gültig. Obwohl die Bewegung nicht deterministisch vorhersagbar ist, wird sie nicht vollständig zufällig. Die Fasern laufen vielmehr lange Strecken geradeaus und ändern nur sehr langsam ihre Orientierung. Dadurch werden mikroskopische Details verstärkt und in der makroskopischen Zickzack-Bewegung sichtbar.

Wie eine Faser an den Spitzen ihrer Zickzack-Bewegung genau abgebremst wird und schließlich rückwärts läuft, führt zur Erklärung für die erhöhte Diffusionskonstante. Eine sorgfältige Analyse zeigt, dass die Diffusionskonstante mit der Dichte der Nadeln über ein Fraktal zusammenhängt.

Obwohl die Wissenschaftler die grundlegenden Mechanismen für die erhöhte Diffusion erklären konnten, gibt es Hinweise, dass für eine präzisere Beschreibung die Mathematik der Fraktale, des Chaos und der quasi-periodischen Orbits eine wesentliche Rolle spielt, was weitere herausfordernde Grundlagenforschung anregen wird.

(idw – Universität München, 26.09.2008 – DLO)

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