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Neurobiologie

Sinn für Fairness erst bei Siebenjährigen

Die Abneigung gegen Ungleichheit entwickelt sich erst im Laufe der Kindheit

Wie fair sind Kinder? © SXC

Der Sinn für Fairness entwickelt sich bei Kindern erst allmählich: Während Dreijährige noch eigennützig handeln, sorgen Achtjährige beim Teilen bereits dafür, dass es gerecht zugeht. Aus entsprechenden Experimenten schließen Wissenschaftler im Fachmagazin „Nature“, dass diese bei Tieren nicht nachgewiesene Entwicklung möglicherweise der Schlüssel für die außergewöhnliche Kooperationsfähigkeit der Menschen sein könnte.

Menschliche Gesellschaften basieren auf Arbeitsteilung und Kooperation zwischen genetisch nicht verwandten Individuen – eine im Tierreich nur selten vorkommende Form des Sozialverhaltens. Die evolutionären Wurzeln dieser außergewöhnlichen Kooperationsfähigkeit und des ausgeprägten Sinns für Fairness sind bisher allerdings weitgehend unbekannt.

Teilen von Süßigkeiten als Test

Eine von Ernst Fehr und Helen Bernhard an der Universität Zürich und Bettina Rockenbach von der Universität Erfurt durchgeführte experimentelle Studie ist der Frage nach dem Zeitpunkt der Entwicklung eines Fairness-Sinns jetzt nachgegangen. Bisher ist der genaue Zeitpunkt, wann diese Vorlieben entstehen, unbekannt, daher wählten die Forscher die jüngsten Kinder aus, mit denen ein Experiment dieser Art überhaupt durchführbar ist. An der Studie nahmen 229 Kindern im Alter von drei bis acht Jahren teil.

Die Studie bestand aus drei Experimenten, in denen die Kinder jeweils entscheiden mussten, wie sie verschiedene Süßigkeiten zwischen sich und einem anderen, für sie nicht sichtbaren anderen Kind aufteilen. Einer Teilgruppe erklärten die Wissenschaftler, das andere Kind sei aus demselben Kindergarten beziehungsweise derselben Schule. Eine andere Gruppe erhielt die Information, dass das andere Kind aus einem anderen Kindergarten oder einer anderen Schule sei.

Vom Eigennutz zum Sinn für Fairness

Es zeigte sich, dass bei den drei- bis vierjährigen Kindern der Eigennutz noch die vorherrschende Verhaltensweise ist. Sie teilten die Süßigkeiten so auf, dass sie selbst entweder alles oder doch immer am meisten erhielten. Die fünf- bis sechsjährigen Kinder waren zwar ein wenig freigiebiger, aber auch hier dominierte der Eigennutz. Anders dagegen die sieben- bis achtjährigen: Fast die Hälfte der Kinder diesen Alters teilte mit dem anderen Kind.

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Eine deutliche Mehrheit von ihnen sorgte dafür, dass ihr Gegenüber nicht benachteiligt wurde. Das andere Kind sollte weder mehr noch weniger als das aufteilende erhalten. Offenbar war in diesem Alter der Sinn für Fairness und Gleichbehandlung bereits ausgeprägt, bei den Jüngeren dagegen noch nicht.

Eigene Gruppe wird bevorzugt

Der Freigiebigkeit hing jedoch nicht nur vom Alter der Kinder sondern auch von dem Wissen um die Gruppenzugehörigkeit des jeweiligen Gegenübers ab: Kinder des eigenen Kindergartens oder Schule erhielten mehr Süßigkeiten zugeteilt als die einer fremden Gruppe. Diese Art der Gruppespezifischen Aufteilung nahm mit steigendem Alter noch zu. Zwischen drei und acht Jahren entwickelt sich offenbar nicht nur das Gefühl für Fairness und eine Aversion gegen Ungleichheit, sondern auch eine starke Bevorzugung der eigenen Gruppenmitglieder.

„Die simultane Entwicklung von altruistischem Verhalten und Gruppenbevorzugung gibt interessante neue Impulse für die Vermutung, dass diese beiden Prozesse durch denselben evolutionären Prozess getrieben werden“, betont Ernst Fehr, Wirtschaftswissenschaftler von der Universität Zürich. Er weist zudem darauf hin, dass dies keinesfalls die Bedeutung der zeitgleich stattfindenden kulturellen und sozialen Entwicklung der Kinder schmälert. „Im Gegenteil: die kulturelle Bedeutung des Teilens mag ein entscheidender Faktor für die Evolution der Ungleichheitsaversion sein“, so Fehr.

Deutlicher Unterschied zu Schimpansen

Bettina Rockenbach, Wirtschaftswissenschaftlerin von der Universität Erfurt weist auf die Unterschiede zum Verhalten von Schimpansen hin: „Erwachsene Schimpansen zeigen in einer Aufteilung mit einem identifizierbaren Bekannten keine Präferenz für das Teilen auf. Fast die Hälfte der sieben- bis achtjährigen Kinder hingegen teilt sogar mit einem anonymen Gegenüber“. Schimpansen behalten in ähnlichen Versuchen den Großteil des Futters für sich, selbst wenn es sich um einen ihnen bekannten Partner handelt.

„Dass uns Menschen – im Gegensatz zu anderen Spezies – das Wohle der Anderen ‚am Herzen liegt‘, mag eine entscheidende Erklärung für die außergewöhnliche Kooperationsfähigkeit der Menschen sein“ schlussfolgern die Wissenschaftler.

(Universitäten Zürich, Erfurt, 28.08.2008 – NPO)

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