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Biologie

Ameisen: Lebendimpfstoff auf sechs Beinen

Kontakt mit kranken Artgenossenm macht gesunde Ameisen immun

Pilzinfizierte Gartenameise: Pilzsporen von Metarhizium anisopliae bohren sich durch die Körperoberfläche befallener Insekten und töten diese. Nach eingen Tagen wachsen - vor allem an dünnhäutigen Stellen wie den Gelenken - weisse Hyphen aus dem Tier, an deren Enden sich die grünen Sporenpakete ausbilden. © S. Cremer

Wenn Ameisen mit krankmachenden Pilzsporen infiziert sind, werden sie seltsamerweise nicht von ihren Artgenossen ausgestoßen – obwohl diese den veränderten Gesundheitszustand ihrer Nestgenossen sehr wohl wahrnehmen. Wie eine jetzt in „Current Biology“ veröffentlichte Studie zeigt, trägt der Kontakt mit dem infizierten sogar dazu bei, die Artgenossen resistanter gegenüber dem Erreger zu machen. Eine solche „soziale Immunität“, die auf Ebene der Gemeinschaft Epidemien verhindert, wurde damit erstmals auch bei Ameisen nachgewiesen.

Die Vorteile von Kooperation und Arbeitsteilung lassen nicht nur Menschen in engen Gemeinschaften zusammenleben. Auch Ameisen, Termiten, Wespen und manche Bienenarten bilden Kolonien. Bei diesen astammen alle Nestbewohner von einer Königin ab und sind damit genetisch sehr ähnlich. Die enge Verwandtschaft der Nestgenossen ist eine Voraussetzung der extremen Arbeitsteilung – und wohl die größte Schwäche der sozialen Insekten. Denn wer sich genetisch ähnelt, ist für dieselben Infektionen anfällig. Die staatenbildenden Insekten haben deshalb eine Vielzahl von Strategien entwickelt, die als „soziale Immunität“ der Kolonie, nicht notwendigerweise aber den betroffenen Individuen zugute kommen.

Diese kollektiven Abwehrmaßnahmen hat Sylvia Cremer von der Universität Regensburg zusammen mit Kollegen untersucht. „Das ’soziale Fieber‘ bei Bienen etwa ist nur ein Beispiel, aber besonders anschaulich“, meint die Biologin. „Dabei erhöhen viele der Nestgenossen gleichzeitig ihre Körpertemperatur, um Bakterien im Bienenstock zu töten. Ein Tier alleine könnte nie ausreichend Wärme produzieren. Im Kollektiv aber kann die Taktik erfolgreich sein.“

Verhaltensänderung bei Pilzbefall

Ein besonders hohes Risiko geht von Nestgenossen aus, die an einer Infektion leiden oder daran gestorben sind. Verenden die Tiere im Nest, werden ihre Körper daher schnell entfernt und oft zu nur dafür genutzten „Friedhöfen“ gebracht. Vereinzelt werden kranke Tiere auch aus der Kolonie ausgeschlossen oder sogar getötet – infizierte Termiten etwa werden in manchen Fällen eingemauert. „Meist aber werden kranke Nestangehörige intensiv gepflegt“, so Cremer. „Es wurde lange vermutet, dass die gesunden Tiere dabei ein hohes Ansteckungsrisiko tragen. Umso überraschender waren unsere Ergebnisse, die das Gegenteil beweisen.“

In der Studie wurden Gruppen aus mehreren Individuen der Art Lasius neglectus, also der invasiven Gartenameise, gebildet: je drei Larven, fünf gesunde Arbeiterinnen sowie eine Arbeiterin, die experimentell einem Pilzparasiten ausgesetzt worden war. Dafür wurden Sporen des für Insekten tödlichen und auch in der Bekämpfung von Wanderheuschrecken und anderem Ungeziefer eingesetzten Pilzes Metarhizium anisopliae auf die Körperoberfläche dieser Tiere aufgebracht. Diese Sporen müssen für eine Infektion erst in das Körperinnere eindringen, was mindestens 24 Stunden dauert.

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Sporen vor Krankheitsausbruch erkannt

„Auffällig war, dass die exponierten Ameisen und auch ihre gesunden Nestgenossen sofort und über Tage hinweg eine Verhaltensänderung zeigten“, so Cremer. „Das galt allerdings nur für Tiere, die lebenden Sporen ausgesetzt waren. Durch UV-Licht abgetötete Sporen hatten dagegen keine Wirkung. Die Ameisen können demnach Sporen am Körper erkennen, bevor diese eine Immunantwort auslösen – und zudem noch unterscheiden, ob die Sporen gefährlich sind.“

Der soziale Kontakt zwischen gesunden und exponierten Ameisen blieb unverändert, bis hin zum intensiven gegenseitigen Putzen. „Dabei werden auch Pilzsporen vom Körper einer anderen Ameise abgeknabbert“, berichtet Cremer. „Diese wandern dann in ‚Backentaschen‘ und werden dort durch den Speichel abgetötet.“ Die befallenen Ameisen blieben allerdings der Brut fern, während sich die gesunden Tiere deutlich intensiver um den Nachwuchs kümmerten. Diese Strategie ist neu für parasitierte Ameisen. Von anderen sozialen Insekten ist aber bekannt, dass sie das wertvollste Nestmitglied besonders schützen: die Königin.

Sie wird bei Ameisen auch nur von jungen Tieren gepflegt, die wahrscheinlich gesund sind, weil sie das saubere Nest noch nie verlassen haben.

Erster Nachweis einer Kontaktimmunität bei Ameisen

Die größte Überraschung zeigte sich aber erst nach der Beobachtungszeit von fünf Tagen. Dann nämlich wurden die gesunden Arbeiterinnen ebenfalls lebenden Pilzsporen ausgesetzt. „Tiere in sozialem Kontakt mit den zuerst exponierten und mittlerweile erkrankten Ameisen hatten dabei einen klaren Überlebensvorteil“, berichtet Cremer. Das ist der erste Nachweis von Kontaktimmunität bei sozialen Insekten. Mit einer Ausnahme: Termiten zeigen ein ähnliches Verhalten. Interessant ist dabei, dass Termiten aber keine nahen Verwandten der Ameisen sind. Diese Strategie muss im Lauf der Evolution also mindestens zweimal unabhängig entwickelt worden sein.

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass kollektives Verhalten und physiologische Prophylaxe zusammenarbeiten, um Immunität in der Gesellschaft zu fördern und gleichzeitig das hohe Risiko der Krankheitsübertragung zu minimieren“, so Cremer. „Es reicht wohl ein einzelnes infiziertes Individuum, um mehrere Arbeiterinnen zu immunisieren, was wiederum genügen könnte, um einen Parasiten lokal zu kontrollieren. Wir wissen nicht, welche Immunantwort auf welche Weise in den gesunden Tieren durch den sozialen Kontakt mit kranken Ameisen ausgelöst wird. Deshalb wollen wir jetzt die Mechanismen dieser Impfung untersuchen und prüfen, wie weit verbreitet sie ist.“

(Universität Regensburg, 05.11.2007 – NPO)

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