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Medizin

Herzmuskelzellen in „Einzelhaft“

Neue Methode untersucht Entstehung von Zellschäden beim Herzinfarkt

Herz-Kreislauferkrankungen sind die häufigste Todesursache in den Industriestaaten. Aber was genau geschieht in den betroffenen Zellen des Herzens bei einem Infarkt? Was lässt sie absterben? Um dies beantworten zu können, haben Forscher jetzt eine neue Methode entwickelt, mit der sie einzelne Herzzellen gezielt unter Sauerstoffmangel halten können.

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Herz-Kreislauferkrankungen sind für fast die Hälfte aller Todesfälle verantwortlich. Deutschlandweit sterben jedes Jahr mehr als 60.000 Menschen an den Folgen eines Herzinfarkts. Dabei blockiert ein Pfropf die Blutgefäße, die normalerweise den Herzmuskel mit Blut versorgen. "Durch diesen Stau wird der Herzmuskel nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt und schädliche Stoffwechselprodukte sammeln sich außerhalb der Zelle an", erklärt Prof. Dr. Klaus Benndorf, Direktor des Instituts für Herz-Kreislauf- Physiologie am Klinikum der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Im ungünstigsten Fall stirbt durch diesen Prozess – medizinisch auch Ischämie genannt – das betroffene Herzmuskelgewebe ab.

"Worauf diese Ischämieschäden beruhen, ist auf molekularer und zellulärer Ebene bisher nicht ausreichend verstanden", so Benndorf. Der Grund: Bisher war es den Wissenschaftlern nicht gelungen, wesentliche Funktionen isolierter Zellen unter ischämischen Bedingungen zu studieren. So zum Beispiel die Funktion der Mitochondrien, den "Kraftwerken" der Zelle, die den Sauerstoff verbrauchen oder von so genannten Ionenkanälen. Das sind Eiweiße in den Zellmembranen, durch die bestimmte Ionen fließen können. Bislang wurde vermutet, dass bestimmte Ionenkanäle, die nur für Kalium-Ionen durchgängig sind, wesentlich am Ischämiegeschehen beteiligt sind.

Versuchskammern für Einzelzellen

"Das Problem bestand bisher darin, definierte ischämische Bedingungen für eine einzelne isolierte Herzmuskelzelle herzustellen und die Sauerstoffzufuhr minutiös genau zu regulieren und so einen Herzinfarkt zu simulieren", erläutert Benndorf. Und genau dieses Problem haben der Forscher und sein Team nun gelöst. Zusammen mit dem Jenaer Institut für Fügetechnik und Werkstoffprüfung GmbH entwickelten sie Glaschips, an deren Oberfläche winzige Kammern mit Mikrostrukturtechniken aufgebracht sind. In diese Kammern setzten die Forscher unter dem Mikroskop einzelne Herzmuskelzellen von Mäusen ein.

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Die Kammern sind nur wenig größer als die Zellen selbst: 150 Mikrometer (Tausendstel Millimeter) lang, 40 Mikrometer breit und 32 Mikrometer tief. In der Kammer sind die Zellen vollständig von nur wenig Nährlösung umschlossen, gerade so wie eine Sardine in einer geöffneten Dose. "Über die umgebende Luft an der Oberseite der Kammer wird die Zelle mit großer Genauigkeit mit Sauerstoff beliefert", erläutert Benndorf das Prinzip.

Dazu lassen die Elektrophysiologen von der Universität Jena mit Wasserdampf gesättigte Luft über die Zellkammer strömen. Wird die Luft durch das Gas Argon ersetzt, sinkt der Sauerstoffgehalt. Je nach Strömungsgeschwindigkeit des Gases lässt sich der Sauerstoffdruck so in definierten Schritten steuern. "So können wir den Zellen sprichwörtlich die Luft abdrehen und sie damit in einen 'Herzinfarkt' mit einem sehr gut definierten Grad treiben", sagt Benndorf.

„Technischer Quantensprung“

Diesen bahnbrechenden methodischen Ansatz haben die Jenaer Wissenschaftler kürzlich im renommierten Fachjournal "Circulation Research" publiziert. Die Herausgeber der Zeitschrift würdigten den wissenschaftlichen Stellenwert der Jenaer Publikation mit einem eigenen Editorial. Darin bezeichnet der Autor Benndorfs Methode als einen "technischen Quantensprung". "Eine solche Einschätzung freut uns natürlich sehr", so Benndorf. Zumal der Jenaer Experte für Elektrophysiologie des Herzens mehr als acht Jahre seiner Forschungstätigkeit in diese Entwicklung investiert hat.

Übrigens: Die genannten Kalium-Kanäle, so belegen die nun publizierten Messergebnisse von Prof. Benndorf, zeigen kein Ischämie-spezifisches Verhalten. Stattdessen konnten die Jenaer Forscher unter anderem zeigen, mit welcher Dynamik die Herzmuskelzellen unter Sauerstoffmangel so genannte reaktive Sauerstoffradikale freisetzen und wie diese die Funktion der Mitochondrien kontrollieren. Welche Folgen dies für die Herzmuskelzellen hat, das müssen weitere Untersuchungen erst klären. "Es gibt also genügend Stoff für künftige Forschungsprojekte", resümiert Benndorf.

(Universität Jena, 11.09.2006 – NPO)

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