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Neurobiologie

Mentale Karte steuert Sozialverhalten

Vertrauen und Selbstbild neurophysiologisch lokalisiert

Schon Kinder haben die Fähigkeit, zwischen ihrem „Selbst“ und anderen zu unterscheiden. Aber wie wird diese Identifikation im Gehirn manifestiert? Und wie entsteht Vertrauen? Können diese psychologischen Grundlagen unserer Persönlichkeit an neurophysiologischen Prozessen abgelesen werden? Amerikanische Wissenschaftler haben genau dies versucht und berichten über ihre Ergebnisse in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Science.

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Neurowissenschaftler des Baylor College of Medicine (BCM) um Dr. Read Montague nutzten für ihre Untersuchung die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRI). Mit ihrer Hilfe kartierten sie die Gehirnaktivität bei Paaren von Probanden, während diese in einer Spielsituation miteinander in sozialen Austausch traten. Neu an diesem so genannten „Hyperscanning“-Verfahren ist die Möglichkeit, die Aktivität beider Gehirne dabei simultan zu erfassen und direkt miteinander zu vergleichen.

Mentale Karte im Gehirn

Die Untersuchungen enthüllten die Existenz einer neue Art von mentalen Karte im Gehirn – einem Abbild der sozialen Beziehungen zur Umwelt, das festhält, wer während einer sozialen Interaktion zwischen zwei Partnern die Initiative übernimmt. Die Forscher lokalisierten diese innere Karte im mittleren Bereich der Hirnrinde, im so genannten cingulaten Kortex, einem Bereich, von dem bereits bekannt war, dass er eine wichtige Rolle für Bindungen und soziale Interaktionen spielt.

Ähnlich wie auch die sensorischen Mechanismen des Gehirns, die beispielsweise optische und akustische Reize interpretieren und auf sie reagieren, werden auch Interaktionen mit anderen Menschen im Gehirn verarbeitet. Die Entscheidung, jemandem zu vertrauen beispielsweise beinhaltet zunächst die Bildung einer bestimmten Vorstellung, eines Modells dieses Menschen und seiner Verhaltensweisen, Auf der Basis dieses Modell entscheiden wir dann – meist unbewusst – ob wir demjenigen vertrauen entgegenbringen.

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Mensch als soziales Geschöpf

Diese sozialen Entscheidungen, wie es die Wissenschaftler nennen, sind für den Menschen extrem wichtig: „Dies ist eine Region, die beim Menschen und anderen sozialen Spezies überentwickelt ist und an ihr kann man beobachten, wie soziale Interaktionen zwischen Menschen mit funktionierenden oder aber nicht funktionierenden sozialen Fähigkeiten ablaufen“, erklärt Montague. „Der Grad des Vertrauens ist etwas, das unser Gehirn zuweist, bevor es überhaupt sozialen Austausch beginnt. Aber auch unser Selbstbild, das Maß, in dem wir uns selbst vom Rest der Welt abgrenzen, ist entscheidend, bevor wir überhaupt als soziales Geschöpf in Aktion treten.“

Frühere Untersuchungen, vor gut einem Jahr ebenfalls in Science veröffentlicht, hatten bereits gezeigt, wo im Gehirn das Vertrauen „angesiedelt” ist. Dr. Brooks King-Casas, Autor der damaligen Studie, begrüßt die neuen Ergebnisse, da sie das Verständnis einer ganzen Reihe von Störungen, die das Sozialverhalten betreffen, verbessern können. “Wir hatten eine harte Zeit, Krankheiten wie die Borderline Persönlichkeitsstörungen auf der biologischen Ebene zu verstehen, weil wir gerade erst beginnen, die grundlegenden neuronalen Mechanismen der Kooperation zu begreifen“, erklärt King-Casas. „Aber mit dem neuen Verfahren des Hyperscanning könne wir die Gehirnaktivität von zwei Menschen beobachten, während ihre interpersonalen Beziehungen sich entwickeln oder aber zerbrechen.“

(Baylor College of Medicine, 19.05.2006 – NPO)

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