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Geowissen

Kann man Katastrophen planen?

Logistiker entwerfen Konzept für ein globales Katastrophenmanagement

Bei Erdbeben, Überschwemmungen und Vulkanausbrüchen kommt es immer wieder bei der Versorgung der Betroffenen mit Medikamenten, Nahrungsmitteln, Trinkwasser, Zelten und Decken zu Problemen. Häufig ist bei Katastrophen auch die Rede von der fehlenden beziehungsweise unzureichenden Koordination der Hilfsmaßnahmen. Die ersten 24 Stunden sind jedoch entscheidend bei der Rettung von Überlebenden. Wissenschaftler der TU Berlin entwickeln nun ein Logistik-Konzept für solche Naturkatastrophen, das unter anderem eine schnellere und bessere Hilfe für die Opfer ermöglichen soll.

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„Was in der Wirtschaft weltweit funktioniert, und zwar logistische Abläufe vernetzt zu steuern, muss bei Katastrophen erst recht lösbar sein“, sagen die Logistiker Professor Helmut Baumgarten und Philippe Tufinkgi von der TU Berlin. Seit über drei Jahren beschäftigen sich die Wirtschaftsingenieure am Institut für Technologie und Management mit den logistischen Prozessen in Krisensituationen.

Es mangelt generell nicht an Kapazitäten und Ressourcen, um den Menschen zu helfen. Das eigentliche Problem liegt vor der Katastrophe. „Eine vorbereitende Planung gibt es bislang kaum“, sagen die Forscher. „Deshalb geht es darum, erst einmal die Strukturen zu schaffen, auf die man sofort zurückgreifen kann.“

Vorausplanung immer wichtiger

Dabei wird die Notwendigkeit einer Vorausplanung immer dringlicher. Die Zahl der Naturkatastrophen hat sich in den letzten 50 Jahren verdreifacht. Der volkswirtschaftliche Schaden sogar verneunfacht. Der wissenschaftliche und technische Fortschritt – dies zeigt nicht nur die jüngste Vergangenheit – wird Katastrophen nicht verhindern. Im Gegenteil: Das Risiko schwerwiegender Katastrophen wird vielmehr durch menschliche Eingriffe in die Natur weiter gesteigert. Trotz dieser Entwicklung existiert ein übergreifendes logistisches Konzept, auf das die Krisenmanager von Hilfsorganisationen im Fall des Falles sofort zurückgreifen können, meist nicht.

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Diesem Problem sind Baumgarten und Tufinkgi in einem von der Kühne-Stiftung geförderten Forschungsprojekt nachgegangen. Die Schweizer Stiftung unterstützt unter anderem Wissenschaft und Forschung auf den Gebieten der Verkehrswirtschaft und Logistik. Die Wissenschaftler befragten zahlreiche Hilfsorganisationen und Logistikdienstleister und analysierten deren logistische Strukturen. „Die Rahmenbedingungen in der Katastrophenlogistik sind völlig andere als in der Unternehmenslogistik“, sagt Baumgarten. Der Einsatzumfang ist meist ebenso unklar wie die finanzielle Ausstattung. Viele, ganz unterschiedliche Akteure sind beteiligt, die es zu koordinieren gilt. Die Informationsabläufe sind komplex, der Materialfluss muss erst aufgebaut werden – im Notfall auch durch ungewöhnliche Maßnahmen, wie etwa das Air-Drop-Verfahren, also die Versorgung der Menschen aus der Luft.

Defizite in der logistischen Planung

Die beiden Wissenschaftler kamen zu dem Ergebnis, dass sowohl Defizite in der logistischen Planung als auch in der operativen Abwicklung bestehen. So kämen die Hilfsorganisationen über internationale Häfen und Flughäfen zwar schnell in das Land, aber die Verteilung der Hilfsgüter im Land selbst gerate erst einmal ins Stocken. Der Grund dafür: Es fehlten sowohl Kenntnisse über mögliche Transportzugänge in das von einer Katastrophe betroffene Gebiet als auch über Dienstleister im Land, auf deren Service und Logistik beim Transport der Hilfsgüter zurückgegriffen werden könnte.

Auf der Grundlage ihrer Analysen erarbeiteten die Forscher ein Ablaufmodell, das die wesentlichen logistischen Prozesse bündelt und sinnvoll verknüpft. Diese beginnen bereits bei der Bedarfsplanung: Das Risiko einer Katastrophe ist in den meisten Regionen bekannt. In der Türkei oder dem Iran sind es etwa Erdbeben. In Chile oder Mexiko könnten Vulkane ausbrechen. In Bangladesh oder China können Fluten ganze Städte und Dörfer wegschwemmen. Darüber hinaus kann aus der Erfahrung vergangener Katastrophen ziemlich exakt bestimmt werden, welche Hilfsgüter in welchem Umfang für welche Katastrophe benötigt werden. Das betrifft etwa den Bedarf an Trinkwasser, Zelten, Decken und medizinischer Versorgung. So ist zum Beispiel bei Überschwemmungen die schnelle Bereitstellung von sauberem Trinkwasser wesentlich.

Mit diesem Wissen – also der Analyse von Risiko und typischem Bedarf – lassen sich für die vorgehaltenen Ressourcen dann auch geeignete Standorte für die Lagerung bestimmen. So wäre es wichtig, dezentrale Lager weltweit mit Artikeln für die Versorgung der Betroffenen in den ersten 24 Stunden einzurichten, um etwa bei einem Erdbeben näher am Katastrophengebiet dran zu sein, als an dem jetzigen zentralen System mit weiten Transportwegen festzuhalten.

(idw – Technische Universität Berlin, 10.08.2005 – DLO)

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