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Medizin

Auch Nicht-Antibiotika stören die Darmflora

Jedes vierte Medikament hemmt unsere Darmbakterien

Viele Medikamente hemmen das Wachstum von Bakterien, die in unserem Darm leben. © Iulia Cartasiova/ EMBL

Unterschätzte Wirkung: Nicht nur Antibiotika können die nützliche Mikrobengemeinschaft in unserem Darm aus dem Gleichgewicht bringen. Andere Medikamente haben einen ähnlichen Effekt, wie eine Studie zeigt. Demnach hemmt jedes vierte der für die Untersuchung analysierten Nicht-Antibiotika das Wachstum von Bakterien, die natürlicherweise im menschlichen Darm vorkommen – vom Entzündungshemmer bis zum Antipsychotikum.

Unser Verdauungstrakt ist von Billionen winziger Organismen besiedelt: den Bakterien der Darmflora. Diese Mitbewohner üben eine erstaunliche Macht über unseren Körper aus. Sie lenken das Immunsystem, kontrollieren, wie Medikamente wirken oder steuern das Sättigungsgefühl. Auf diese Weise beeinflussen sie die Gesundheit entscheidend mit. Nur wenn es der „Wohngemeinschaft“ in unserem Darm gut geht, geht es auch uns gut.

Forscher wissen schon länger, dass Antibiotika die Darmflora empfindlich stören können. Doch die gegen Bakterien wirksamen Medikamente scheinen nicht die einzigen Feinde eines intakten Darm-Mikrobioms zu sein. In letzter Zeit mehren sich die Hinweise darauf, dass auch andere Medikamente unseren nützlichen Mitbewohnern schaden können.

„Wirklich überraschend“

Lisa Maier vom European Molecular Biology Laboratory (EMBL) in Heidelberg und ihre Kollegen haben dieses Phänomen nun genauer untersucht. Die Wissenschaftler analysierten die Wirkung von etwa 1.000 auf dem Markt erhältlichen Arzneimitteln. Wie würden die Medikamente das Wachstum von 40 unterschiedlichen Bakterienarten beeinflussen, die typischerweise im menschlichen Darm vorkommen?

Das Ergebnis: Rund jedes vierte der getesteten Nicht-Antibiotika hemmte mindestens eine Spezies von Darmbakterien. Der negative Effekt betraf dabei Mittel aus allen therapeutischen Klassen, wie das Team betont – vom Entzündungshemmer bis zum Antipsychotikum. „Wie viele verschiedene Arten von Medikamenten die Darm-Mikroben in Mitleidenschaft ziehen, war wirklich überraschend“, sagt Maiers Kollege Peer Bork.

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Zusammenhang mit Resistenzen?

Die damit einhergehende Veränderung der Zusammensetzung der Darmflora kann den Forschern zufolge einerseits Teil der gewünschten Wirkung der Mittel sein – andererseits aber auch zu Nebenwirkungen beitragen. Darüber hinaus zeigte sich: Bakterien, die immun gegenüber Antibiotika waren, waren es oft auch gegen andere Mittel und umgekehrt. Dies spreche dafür, dass bestimmte Resistenzmechanismen gegen beide Arten von Medikamenten wirken, wie die Wissenschaftler berichten.

Und das bedeutet wiederum: Auch die Einnahme von Nicht-Antibiotika kann womöglich zu einer Antibiotikaresistenz beitragen. „Das ist wirklich beängstigend, wenn man bedenkt, dass viele Menschen ihr ganzes Leben lang und häufig über längere Zeiträume hinweg Medikamente einnehmen“, sagt Mitautor Athanasios Typas.

Genaue Mechanismen unklar

Wie genau das Zusammenspiel zwischen den unterschiedlichen Medikamenten und dem Mikrobiom funktioniert und welche Folgen das hat, ist mit den neuen Ergebnissen jedoch noch längst nicht geklärt: „Das ist erst der Anfang“, sagt Maiers Kollege Kiran Patil. „Wir wissen noch nicht, auf welche Art die meisten dieser Medikamente auf die Mikroben wirken, wie diese Effekte beim Menschen zutage treten und wie sich das auf die Gesundheit der Patienten auswirkt“, betont der Forscher.

Welche Mittel der Darmflora potenziell schaden, könnte dabei zum Beispiel auch eine individuelle Frage sein. Denn die Zusammensetzung des Mikrobioms unterscheidet sich von Mensch zu Mensch. „Wir sind gespannt auf die Ergebnisse weiterführender Untersuchungen, die darauf abzielen, diese Wechselwirkungen besser zu verstehen“, schließt das Team. (Nature, 2018; doi: 10.1038/nature25979)

(Nature Press/ EMBL, 20.03.2018 – DAL)

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