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Archäologie

Amerika: Frühgeschichte wird komplexer

11.500 Jahre altes Kinderskelett enthüllt Existenz einer dritten Ur-Population

So könnte das Lager der "Ancient Beringians" am Upward Sun River in Alaska vor 11.500 Jahren ausgesehen haben. © Eric S. Carlson/ Ben Potter

Unbekanntes Volk: Das 11.500 Jahre alte, in Alaska entdeckte Skelett eines kleinen Mädchens enthüllt Überaschendes über die ersten Menschen in Amerika. Denn ihr Erbgut verrät, dass es wohl doch nur eine einzige große Einwanderungswelle aus Asien gab. Überraschend auch: Das Mädchen gehörte zu einer bisher unbekannten Population, den „Ancient Beringians“, die sich schon vor 20.000 Jahren von den ersten Einwanderern in die Neue Welt abspalteten, wie Forscher im Fachmagazin „Nature“ berichten.

Die Besiedlung Amerikas gibt bis heute Rätsel auf. Klar scheint zwar, dass die Vorfahren der Indianer einst aus Asien über die Bering-Straße nach Amerika zogen. Doch wann und wie die ersten Menschen die Neuen Welt besiedelten, ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Strittig ist unter anderem, ob es eine oder sogar mehrere Einwanderungswellen aus Asien gegeben hat und ob diese Einwanderer entlang der Küste oder durch einen eisfreien Korridor im Inland zogen.

Noch verwirrender ist das Timing der ersten Einwanderer: Lange gingen Forscher davon aus, dass die Besiedlung Amerikas frühestens vor rund 15.000 Jahren stattfand. Denn archäologische Funde belegen die Präsenz von Menschen im Süden Nordamerikas schon kurz nach dieser Zeit. Doch inzwischen wurden Tierknochen mit möglicherweise menschengemachten Ritz- und Schnittspuren gefunden, die bereits 24.000 Jahre und sogar 130.000 Jahre alt sind.

Eine dritte Population

Jetzt bringt ein in Alaska entdecktes Menschenfossil weitere Überraschungen. Das 11.500 Jahre alte Skelett eines kleinen Mädchens wurde vor einigen Jahren am Upward Sun River im Süden Alaskas gefunden. Nun ist es Ben Potter von der University of Alaska in Fairbanks und seinen Kollegen gelungen, DNA aus diesen Knochen zu isolieren und zu sequenzieren. Dadurch konnten sie das Erbgut dieses Mädchens mit dem anderer früher Ureinwohner Amerikas und mit dem der heutigen Indianer vergleichen.

Das überraschende Ergebnis: Das Mädchen gehört zu keiner der beiden großen Ureinwohner-Gruppen auf dem Kontinent. Stattdessen war sie Teil einer dritten, bisher unbekannten Population – und diese ist überraschend alt. Wie die DNA-Analysen enthüllten, spalteten sich diese „Ancient Beringians“ getauften Menschen schon vor rund 20.000 Jahren von den restlichen Einwanderern ab. Sie könnten damit die die ursprünglichsten und ältesten bekannten Bewohner Nordamerikas gewesen sein.

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Ausgrabungen am Upward Sun River in Alaska, dem Fundort des prähistorischen Kinderskeletts. © Ben Potter

Ursprung vor 20.000 Jahren

„Die Bedeutung dieser neuentdeckten Population könnte größer nicht sein“, sagt Potter. „Denn sie liefert uns erste direkte Belege über die Gründerpopulation der amerikanischen Ureinwohner und verrät uns, wie diese Menschen sich auf dem Kontinent ausgebreitet haben.“ Den Genvergleichen nach stammen alle Ureinwohner – auch die Ancient Beringians – von einer Menschengruppe ab, die bereits vor rund 36.000 Jahren halbisoliert im Nordosten Asiens lebte.

Bis vor rund 25.000 Jahren hatte diese Gruppe noch regelmäßig Kontakt mit anderen asiatischen Populationen, doch dann brach dieser Austausch ab – wahrscheinlich durch die Überquerung der Beringstraße. „Wir können zeigen, dass diese Menschen wahrscheinlich vor rund 20.000 Jahren Alaska erreichten“, berichtet Koautor Eske Willerslev von der Universität Kopenhagen.

Nur eine Einwanderungswelle

Das Spannende daran: Der genetische Stammbaum spricht dafür, dass alle nunmehr drei bekannten Hauptgruppen der Ureinwohner Amerikas auf diese erste Einwanderungswelle zurückgehen. „Dies ist der erste direkte genetische Beleg dafür, dass alle amerikanischen Ureinwohner auf eine einzige Ursprungspopulation zurückgehen“, sagt Willerslev.

Nach Ankunft in der Neuen Welt blieben die Ancient Beringians jahrtausendelang in Alaska, aus ihrem Volk stammt das Mädchen vom Upward Sun River. Die restlichen Einwanderer zogen dagegen weiter nach Süden in die jenseits der dicken Eisschilde liegenden Gebiete. Dort spalteten sie sich vor 17.000 bis 14.000 Jahren in die nördliche und südliche Hauptgruppe der Ureinwohner auf, wie Genstudien zeigen.

Nahezu restlos verdrängt

Erst als die Gletscher Nordamerikas abgetaut waren, kam es zu einer Art Rückwanderung: Vor rund 6.000 Jahren zogen Vertreter der nördlichen Indianerstämme zurück in den Norden und verdrängten die Ancient Beringians. DNA-Vergleiche zeigen, dass die heutigen Bewohner Alaskas und Nordkanadas die Nachkommen dieser nachträglichen Rückwanderer sind. Von den Ancient Beringians gibt es dagegen heute kaum noch genetische Spuren, wie die Forscher berichten.

„Diese neuen Informationen geben uns nun ein viel genaueres Bild der amerikanischen Vorgeschichte“, sagt Potter. „Sie ist deutlich komplexer als wir bisher dachten.“ (Nature, 2018; doi: 10.1038/nature25173)

(University of Cambridge, University of Alaska Fairbanks, 04.01.2018 – NPO)

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