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Mikrobiologie

Forscher entdecken rätselhafte Riesenviren

Die Viren sind so groß wie ein Bakterium und in Aussehen und Erbgut völlig fremdartig

Ein Pandoravirus im Elektronenmikroskop, deutlich ist die ovale Form mit der Öffnung an einem Ende zu erkennen. © Chantal Abergel / Jean-Michel Claverie

Ein internationales Forscherteam hat zwei Riesenviren entdeckt, die alle bisherigen Rekorde sprengen: Die Pandoravirus getauften Partikel sind so groß wie ein Bakterium und damit sogar mit einem normalen Lichtmikroskop sichtbar. Ihr Erbgut ist zudem länger als das der meisten Bakterien. Und: Die Gene dieser Viren ähneln keiner bisher bekannten Lebensform, auch mit anderen Megaviren scheinen sie kaum verwandt. Ihre Herkunft und ihre Position im Stammbaum des lebens sei daher ein völliges Rätsel, berichten die Forscher im Fachmagazin“Science“.

Sie gelten nicht einmal als Lebewesen und bevölkern doch nahezu alle Lebensräume der Erde: Viren sind ein Erfolgsmodell der Evolution. Trotzdem – oder gerade deshalb – bringen sie Forscher immer wieder zum Staunen. So sorgte vor gut zehn Jahren ein Fund in einem Kühlturm im englischen Bradford für weltweites Aufsehen. Forscher waren dort damals auf der Suche nach krankmachenden Bakterien – und glaubten zunächst auch, eines gefunden zu haben. Denn in ihren Proben entdeckten sie rundliche Objekte, die mit rund 0,7 Mikrometern Größe in etwa der eines kleinen Bakteriums entsprachen.

Bei näherer Untersuchung jedoch stellte sich heraus, dass es sich um einen Virus handelte – den größten, den man bisher kannte. „Dieser Fund forderte alle Kriterien und Grenzwerte heraus, mit denen man bisher Viren von lebenden Orgiasmen abgrenzte“, erklären Nadège Philippe von der Universität Aix-Marseille und ihre Kollegen. Denn er war nicht nur eigentlich viel zu groß, sein Erbgut war auch mehr als eine Million Basen lang und damit größer als das vieler Bakterien. In den Folgejahren stießen Wissenschaftler noch auf weitere Vertreter solcher Megaviren, die daraufhin zu einer eigenen Gruppe innerhalb der Viren zusammengefasst wurden.

Pandora aus dem Tümpel

Jetzt haben Philippe und ihre Kollegen zwei Riesenviren entdeckt, die die Grenze zwischen Viren und Lebewesen noch weiter verschieben. Einen davon entdeckten sie im Sediment einer Flussmündung vor der Küste von Chile, den anderen im Schlamm eines Tümpels nahe der australischen Stadt Melbourne. Obwohl der eine aus dem Salzwasser der andere aus Süßwasser stammt, sind sie sich so ähnlich, dass die Forscher beide in eine Gattung einordnen: Sie tauften sie Pandoravirus. „Ein Name, den wir ihnen gaben, weil sie so einzigartig sind und weil wir noch jede Menge Überraschungen von ihrer weiteren Untersuchung erwarten“, so Philippe und ihre Kollegen.

Pandoraviren in einer Amöbenzelle © Chantal Abergel / Jean-Michel Claverie

Beide Viren leben als Parasiten in Amöben, beide sind oval geformt mit einer Öffnung an einem Ende – und beide sind größer als jeder zuvor bekannte Virus. Ihre Länge liegt bei einem Mikrometer, ihre Breite erreicht immerhin noch einen halben Mikrometer, wie die Wissenschaftler berichten. Diese nach gängiger Definition nicht als Lebewesen geltenden Partikel seien damit größer als viele parasitische Bakterien. Deutsche Forscher hatten bereits 1997 und 2008 Vertreter dieser Riesenviren entdeckt, sie aber damals noch nicht als Viren identifiziert.

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Ein Genom wie von einem Alien

Um ganz sicher zu gehen, dass es sich auch tatsächlich um Viren handelte, analysierten die Wissenschaftler das Erbgut beider Pandoraviren – und erlebten gleich mehrere Überraschungen. Zum einen war das Genom beider Viren mit 2,8 und 1,9 Millionen Basenpaaren Länge rund doppelt so umfangreich wie das aller bisher bekannten Virenformen. Auch in der Anzahl der darin kodierten Protein-Bauanleitungen übertreffe Pandoravirus salinus mit 2.556 Genen die bisher für Viren bekannte Obergrenze um das Zweifache, so die Forscher. P.dulcis liegt mit 1.500 Genen ebenfalls knapp darüber.

Noch viel erstaunlicher aber: „93 Prozent der Gene dieser Pandoraviren sind völlig fremdartig, sie lassen sich auf keinen bekannten Zellstammbaum zurückführen“, erklären die Forscher. Die Wissenschaftler waren sich zunächst nicht einmal sicher, ob deren Erbinformation überhaupt den für alle Viren und Organismen typischen Regeln folgt: „Wir waren besorgt, ob vielleicht die Übersetzung ihrer Gene in Proteine gar nicht dem Standard-Gencode entspricht“, berichten sie. Und auch zu den bisher bekannten Megaviren konnten sie keinerlei Verwandtschaft feststellen.

Wo sich die Pandoraviren daher in den Stammbaum des Lebens einordnen und wie sie einst entstanden, ist noch völlig unklar. „Das ist eine Erinnerung daran, dass unser Zensus der mikrobiellen Vielfalt noch weit davon entfernt ist, vollständig zu sein“, konstatieren Philippe und ihre Kollegen. Einige entscheidende Hinweise auf die grundlegende Natur der Beziehung zwischen den Viren und der zellulären Welt könnten sich noch immer in dieser unerforschten Welt verbergen. (Science, 2013; doi: 10.1126/science.1239181)

(Science, 19.07.2013 – NPO)

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