Anzeige
Biotechnologie

Erste Genfähre mit „Adresscode“

Präzisionsfähren für hochselektiven Gentransfer nur in bestimmte Zelltypen erzeugt

Die neue Genfähre (A) ist hochspezifisch für bestimmte Neuronen im Gehirn der Maus, die herkömmliche Genfähre (B) trifft viele Zelltypen. © H. Monyer / Universität Heidelberg

Durch „Protein-Engineering“ haben Forscher erstmals eine virale Genfähre konstruiert, die gezielt Gene nur in bestimmte Zelltypen einschleust. Dies könnte sich als entscheidender Durchbruch für die Gentherapie erweisen, da unspezifische Gentransfers hier vielfach gefährliche Nebenwirkungen und Spätfolgen auslösen. Die neue, jetzt in „Nature Methods“ vorgestellte Genfähre ist nicht nur hochselektiv, sondern auch noch vielseitig einsetzbar. So sind nur kleine Veränderungen nötig, um sie für so verschiedene Zellen wie Blutstammzellen, Lymphozyten oder Neurone zu nutzen.

Mutierte Gene durch intakte ersetzen – das Ziel der Gentherapie ist klar definiert. Mit Vektoren aus Lentiviren, einer Untergruppe von Retroviren, lassen sich zwar auch schon bisher Gene in Zellen einschleusen. Doch diese Genfähren können zwar Gene sehr effizient übertragen, dabei aber nicht zwischen verschiedenen Zelltypen unterscheiden. Sie sind nicht selektiv. „Dies liegt daran, dass sich Viren im Laufe von Jahrmillionen optimal an ihren Wirt angepasst haben und für den Zelleintritt Rezeptoren nutzen, die auf vielen Zellytpen vorhanden sind“, erläutert Professor Klaus Cichutek, Präsident und Leiter der Abteilung Medizinische Biotechnologie des Paul-Ehrlich-Instituts.

Hüllproteine des Masernvirus modifiziert

Forscher des Paul-Ehrlich-Instituts gemeinsam mit nationalen und europäischen Kollaborationspartnern haben jetzt die Hüllproteine eines Masernvirus so verändert, dass sie in lentivirale Vektoren eingebaut werden können. Dadurch werden diese weitaus spezifischer als bisher. Dies gelang erst durch „Protein-Engineering“ – die gezielte Verkürzung der Proteine – gelang dies den Wissenschaftlern. In einem zweiten Schritt veränderten die Forscher eines der beiden Hüllproteine – das Hämagglutinin-Protein – so, dass es jetzt nicht mehr an den Rezeptor binden kann, der auf vielen menschlichen Zellen vorhanden ist.

Wie aus Schlüsselrohlingen durch Einfräsen von Zacken der passende Schlüssel für ein Schloss gemacht wird, so wandeln Professor Christian Buchholz und seine Mitarbeiter durch das Anheften kleiner Antikörperfragmente ihren „Rohling“ zu Präzisionsfähren um. Die Antikörperfragmente passen nun zu charakteristischen Markern auf Zellsubtypen wie der Schlüssel ins Schloss. Damit binden die neuen Genfähren nun ganz spezifisch beispielsweise an Zellen des Nervensystems oder an Blutstammzellen.

Genfähren binden spezifisch nur an einen Zelltyp

Um zu prüfen, ob sich damit tatsächlich Gene in definierte Zellen übertragen lassen, bauten die Wissenschaftler mit Hilfe dieser modifizierten Genfähren Mäusen ein Gen für ein grün fluoreszierendes Protein ein. Durch die Fluoreszenz konnten sie nachweisen, dass die Gene tatsächlich ausschließlich in den gewünschten Zelltyp, eine bestimmte Sorte von Neuronen, übertragen werden. Dies gelang sowohl in Zellkulturen als auch in vivo nach Injektion winziger Mengen der Genfähren in das zentrale Nervensystem der Maus.

Anzeige

„Wir haben den Vektor mit einer Art Adresscode versehen, der ihm sagt, in welchen Zelltyp im Organismus das Gen übertragen werden soll“, erläutert Buchholz und ergänzt: „Wir decken mit den bisher entwickelten Vektoren bereits einen breiten Bereich relevanter Zelltypen im Organismus ab, die für ganz unterschiedliche Gentherapien in Frage kommen.“ So könnte mit Hilfe des blutstammzellspezifischen Vektors eines Tages die aufwendige Entnahme, Aufreinigung und Kultivierung von Blutstammzellen aus Patienten, die eine Gentherapie erhalten sollen, überflüssig werden.

Werkzeug für Gentherapie und Grundlagenforschung

Doch nicht nur für die Entwicklung gezielter Gentherapien ist die Genfähre, die sich die PEI-Forscher haben patentieren lassen, ein wertvolles Werkzeug: „Auch in der Grundlagenforschung wird der Vektor genutzt werden, beispielsweise um im Gehirn gezielt die Funktion einzelner Neuronen-Subtypen zu studieren“, erzählt Buchholz. Dass dies mit der neuen Genfähre möglich ist, haben die Wissenschaftler bereits nachgewiesen. „Wir haben das System so stark verfeinert, dass wir Gene sogar hochspezifisch in ganz spezielle Subtypen von Neuronen übertragen können“, erläutert der Biotechnologe. Mit ihrem Verfahren übertrugen die Forscher das Fluoreszenzgen selektiv in Subtyp-D-Glutamatrezeptor-positive

Neurone.

(Paul-Ehrlich-Institut – Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel, 12.10.2010 – NPO)

Teilen:
Anzeige

In den Schlagzeilen

News des Tages

Bändereisenerz

Ur-Magnetfeld ohne festen Erdkern?

Krebs kann auch ohne DNA-Mutation entstehen

Waffentruhe eines mittelalterlichen Flaggschiffs geöffnet

Neues fossiles Riesenkänguru entdeckt

Diaschauen zum Thema

Dossiers zum Thema

Chimären - Künstliche Mensch-Tier-Mischwesen: Hybris oder Chance?

Bücher zum Thema

Der erweiterte Phänotyp - Der lange Arm der Gene von Richard Dawkins

Der zweite Code - Epigenetik - oder wie wir unser Erbgut steuern können von Peter Spork

50 Schlüsselideen Genetik - von Mark Henderson

Liebling, Du hast die Katze geklont! - von Reinhard Renneberg, Jens Reich, Manfred Bofinger

Das egoistische Gen - von Richard Dawkins

Top-Clicks der Woche