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Physik

Zeitumkehr im Quantenreich

Physiker ermitteln Parameter für die quantenmechanische Überlagerung des Zeitpfeils

Zeit
Im Reich der Quanten kann die Zeit rückwärts laufen oder sogar vorwärts und rückwärts zugleich. © ChakisAtelier/ iStock.com

Verwischte Zeit: Was in der klassischen Physik unmöglich ist, wird in der Welt der Quanten Wirklichkeit – die Umkehrung der Zeit. Durch das Phänomen der Überlagerung kann die Zeit in solchen Systemen sogar gleichzeitig vorwärts und rückwärts fließen. Wie sich dies messen lässt und welche physikalischen Konsequenzen dies hat, haben nun Physiker ermittelt. Dabei stellten sie fest, dass es Bedingungen gibt, unter denen es zu besonders komplexen Zeitfluktuationen kommt.

In der klassischen Physik und damit auch in unserer Alltagswelt kennt die Zeit nur eine Richtung: vorwärts. Denn Zeit und Entropie sind eng verknüpft und das zweite Gesetz der Thermodynamik gibt vor, dass die Entropie, der Grad der Unordnung, in einem geschlossenen System zunehmen muss. Dadurch können viele Prozesse in unserer makroskopischen Welt nur in eine Richtung ablaufen: Eine zerbrochene Tasse setzt sich nicht von selbst wieder zusammen.

Überlagerung auch beim Zeitpfeil

Doch in der Quantenphysik herrschen andere Regeln. Durch das Phänomen der Überlagerung kann ein Quantensystem mehrere Zustände gleichzeitig einnehmen. Dadurch kann unter einem dieser Überlagerungszustände theoretisch auch einer sein, dessen Entropie ab- statt zunimmt. Einen solchen Rücksprung in der Zeit haben Physiker schon bei Qubits in einem Quantencomputer beobachtet.

Wie man die Zeitrichtung bei solchen Quantenprozessen messen kann, haben nun Forscher um Giulia Rubino vom Institut für Quantenoptik und Quanteninformation in Wien näher untersucht. „In einem mikroskopischen System verwischen Fluktuationen die Richtung des Zeitpfeils, der Fluss der Zeit ist dadurch nur als Durchschnitt definiert“, erklärt das Team. „Die beiden entgegensetzten Zeitpfeile sind klassisch nicht mehr unterscheidbar.“

Indikator-Wert für die Zeit-Überlagerung

Für ihre Studie ermittelten die Physiker, unter welchen Bedingungen es in einem Quantensystem zu deutlichen Überlagerungen der beiden Zeitrichtungen kommt und wie man dies messen kann. Als Indikator eignet sich demnach eine Kombination aus der Entropie, gemessen am irreversiblen Energieverlust, und der Umkehrung eines Temperaturfaktors, der sich aus der Temperatur des Systems und der Boltzmann-Konstante ergibt. Letztere beschreibt den Zusammenhang von Temperatur und der Bewegung der kleinsten Teilchen bei dieser Temperatur.

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Was kompliziert klingt, läuft letztlich auf einen einfachen Indikator-Wert hinaus. Liegt dieser über Eins, ergibt sich trotz Überlagerung primär eine Vorwärts-Richtung der Zeit. Liegt der Wert unter minus Eins, deutet die Überlagerung auf rückwärtslaufende Prozesse hin. Bei Werten um Eins halten sich die thermodynamischen Prozesse so die Waage, dass es zu maximalen quantenmechanischen Interferenzen kommt und keine „klassische“ Zeitrichtung mehr definiert werden kann.

Vorwärts, rückwärts und dazwischen

Damit helfen diese Ergebnisse, den Zeitfluss in Quantensystemen zu bestimmen – jedenfalls meistens. „In unserer Arbeit haben wir die Entropie quantifiziert, die von einem System erzeugt wird, das sich in Quantensuperposition von Prozessen mit entgegengesetzten Zeitpfeilen entwickelt“, erklärt Koautor Gonzalo Manzano von der Universität der Balearen. In den meisten Fällen lässt sich demnach die Richtung des Zeitpfeils anhand der physikalischen Parameter klar bestimmen – auch, wenn er rückwärts zeigt.

Doch es gibt auch Überlagerungen, bei denen gar keine klare Zeitrichtung mehr fassbar ist. „Wenn nur wenig Entropie im Spiel ist, dann kann man physikalisch beobachten, wie sich das System gleichzeitig in der Vorwärts- und in der Rückwärtsrichtung der Zeit entwickelt und welche Folgen dies hat“, sagt Manzano. Ihre Studie hat nun gewissermaßen ein Rezept für solche nichtklassischen und nicht mit den üblichen Theoremen der Fluktuation beschreibbaren Fälle geliefert.

Komplexer als gedacht

Nach Ansicht der Wissenschaftler bestätigt dies, dass sich die Zeit in Quantensystemen anders verhält als in klassischen. „Obwohl die Zeit oft als kontinuierlich zunehmender Parameter angesehen wird, deutet unsere Studie daraufhin, dass die Gesetze, die ihren Fluss in quantenmechanischen Zusammenhängen regeln, viel komplexer sind“, sagt Rubino.

Möglicherweise müsse man neu überdenken, wie man die Zeit in von Quantengesetzen dominierten Systemen repräsentiere. (Communications Physics, 2021; doi: 10.1038/s42005-021-00759-1)

Quelle: Universität Wien, University of Bristol

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